Britische Außenpolitik: der Winter naht

, von  Marc Nikolov, übersetzt von Johanna Varanasi

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Britische Außenpolitik: der Winter naht

Die traditionelle Außenpolitik des Vereinigten Königreichs mit ihren zwei Pfeilern – der Mitgliedschaft in der Europäischen Union und der „special relationship“ mit den USA – steht am Anfang eines langen Winters. Während der erste Pfeiler praktisch verschwinden wird, ist der zweite so unsicher wie der Inhalt von Donald Trumps nächstem Tweet. Was bleibt Großbritannien dann noch?

Es wird einen „harten Brexit“ geben. Hart wird es vor allem für die regionalen Regierungen des Vereinten Königreichs. Das House of Commons unterstützt den Gesetzesentwurf zu Artikel 50 und erlaubt Theresa May somit, ihren Zeitplan, den Brexit bis Ende März einzuleiten, umzusetzen. Inzwischen ist May nach Washington gefahren, um dort händchenhaltend mit Donald Trump die besondere Beziehung zwischen Großbritannien und den USA zu demonstrieren. Brexit und Trump sind allerdings weder für die Außenpolitik des Vereinten Königreichs noch für die Brexit-Verhandlungen besonders gute Nachrichten. Im Gegenteil, die britischen Außenbeziehungen müssen sich wohl auf einen langen und harten Winter einstellen.

Eine langersehnte Rede und eine vorhersehbare Entscheidung

Wie bereits vor einigen Monaten hier analysiert, wird es einen harten Brexit geben. In ihrer Rede im Januar skizzierte Premierministerin May ihre Kernpunkte für die Brexit-Verhandlungen. Großbritannien will die Kontrolle über die Anzahl und die Herkunft der EU-Migranten, die ins Land gelassen werden, übernehmen und wird nicht mehr in die Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofes fallen. Ein „globales Großbritannien“, durch den Abschluss eigener Abkommen mit Handelspartnern, ist fortan das Ziel. May wurde unerwartet deutlich über die Konsequenzen, die diese Vorgehensweise für die zukünftigen Beziehungen ihres Landes zur EU haben wird: Großbritannien wird nicht nur die EU sondern auch den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen. Das Land wird bei auserwählten EU-weiten Maßnahmen per Opt-in mitmachen, z.B. bei der Sicherheitspolitik, der Verteidigung und dem Kampf gegen organisierte Kriminalität, und dafür einen gewissen Beitrag zum Budget der EU leisten. May erkennt damit die Bedingungen der EU an, wenn auch nur implizit. Einige Fragen allerdings bleiben: das Vereinigte Königreich wird versuchen, den Zugang zu bestimmten Sektoren des Binnenmarktes – insbesondere der Automobilindustrie - zu behalten. Dies ist allerdings juristisch, technisch und politisch äußerst kompliziert. May hat darüber hinaus versäumt zu erwähnen, dass Großbritannien außerdem auch aus der Europäischen Atomgemeinschaft austreten wird.

Der Oberste Gerichtshof Großbritanniens hat gesprochen: die „royal prerogative“, das königliche Vorrecht, reicht nicht so weit, dass die Regierung das Artikel 50-Verfahren selbstständig einleiten kann. Eine Zustimmung des Parlaments ist erforderlich. Diese Entscheidung entspricht den Erwartungen sowie den Entscheidung des Londoner High Court. Das Unterhaus des Parlaments hat dem Gesetzesentwurf zu Artikel 50 am 1. Februar Unterstützung signalisiert, allerdings kann es durch die Parlamentarier noch abgeändert werden und die zweite Kammer, die „House of Lords“, muss ebenfalls zustimmen bevor es in Kraft treten kann. Es ist daher zu erwarten, dass von der Regierung weitere Erläuterungen gefordert werden. Die Abgeordneten im Parlament haben der Premierministerin bereits die Garantie abgerungen, dass sie das letzte Wort zu den Verhandlungen mit der EU haben werden. Die Entscheidung des Obersten Gerichts bringt der Regierung dennoch einen nicht zu verachtenden Vorteil: die Scheidung von der Europäischen Union ist eine britische Angelegenheit. Die Zustimmung der Regionalparlamente in Nordirland und Schottland ist hierfür nicht notwendig. Vielleicht war May deshalb so wichtig, den Nordiren zu versichern, dass sie eine faktische Grenze zur Republik Irland nicht wieder einführen möchte. Da Irland im Gegensatz zum Vereinten Königreich allerdings Teil des Binnenmarktes bleibt und damit auch die Reisefreiheit der Menschen nicht einschränken wird, kann man sich fragen, ob dieses Versprechen praktisch überhaupt einzuhalten ist.

Die Trump-May Verbindung und ihre Konsequenzen

Um das geplante „globale Großbritannien“ zu verwirklichen, besuchte Theresa May als erste europäische Staatschefin den neuen US-Präsidenten Trump in Washington. Ein Schachzug, der die Bedeutung der „special relationship“ zwischen den beiden Nationen untermauert und die sprichwörtliche Flagge der „Anglosphäre“ hisst. Auf den ersten Blick scheint der Besuch ein Erfolg gewesen zu sein. Händchenhaltend präsentierten sich die beiden den Kameras und Trump wiederholte noch einmal, dass der Brexit ein Erfolg werden werde. Die Zusicherung, dass die USA weiterhin „100% hinter der NATO“ stünden, kam allerdings aus Mays Munde, nicht aus Trumps. Es scheint, als wolle May Präsident Trump abstrafen - möglicherweise um aufzuzeigen, dass Großbritannien Einfluss auf die USA ausüben können – allerdings ohne Erfolg, wie man an Trumps kurze darauf erlassenen (und stark kritisierten) Einreisestopp für Bürger aus sieben Ländern sehen kann. Während ihrer Reise in die Türkei wurde May um Klarstellung ihrer Position bezüglich des Einreisestopps gebeten. Erst nach mehreren Stunden und des Auftauchens einer Petition, die fordert, Donald Trump nicht in Großbritannien zu empfangen, gab es überhaupt eine offizielle Stellungnahme: sie verkündete, mit dem Einreisestopp „nicht einverstanden“ zu sein. Tatsächlich klingt May nach dem Besuch in Washington anders: wenn es um den Abschluss von Handelsabkommen mit den USA geht, steht Großbritannien nun nicht mehr hinten an, sondern drängt sich nach vorn. Erste Gespräche laufen bereits. Allerdings steht das Königreich auch vor einigen Schwierigkeiten. Sehr wahrscheinlich werden auch die staatliche Krankenversicherung NHS sowie der Agrarsektor Teil eines potentiellen Handelsdeals mit den USA werden. May hat nicht ausgeschlossen, die NHS weiter zu privatisieren. In Kombination mit der abwertenden Meinung Trumps über Obamacare und seiner Parole „America first“ ist die Sorge berechtigt, dass sich die NHS bald in der Hand von US-Firmen befinden könnte. Erschwerend kommt hinzu, dass Großbritannien keine eigenen Handelsabkommen abschließen kann, solange es noch Mitglied der Europäischen Union ist.

Weitere Stolperfallen in den UK-US Flitterwochen stellen die unterschiedlichen Auffassungen von Multilateralismus, verschiedene Meinungen zu russischen Sanktionen sowie – vielleicht am wichtigsten von allen – das unterschiedliche Bedürfnis der beiden Länder nach Freihandel dar. Das „global Britain“ kommt möglicherweise zu spät, nun da sich die USA zurückziehen und auf Protektionismus setzen, von dem nach Innen gewandten China und dem nationalistischen Indien ganz zu schweigen.

Trump hat sich öffentlich dazu bekannt, dass er die EU auseinanderbrechen sehen will. Der Kuschelkurs mit dem US-Präsidenten scheint daher nicht die beste Option – auch wenn May ihrerseits öfters bekräftigt hat, dass eine vereinte Europäische Union eigentlich im Interesse aller sei. Letztendlich zählen Taten mehr als Worte. Aus europäischer Perspektive wird Trump immer mehr zum Problem. All dies kommt mit der immerwährenden britischen Drohung zusammen, die EU durch Steuersenkungen für Unternehmen zu unterlaufen, sollte bei den Verhandlungen ein schlechter Deal herauskommen. Diese Drohungen sind ein offensichtlicher Bluff – solche Steuersenkungen wären mit Mays Wählerschaft nicht machbar und die EU würde sicherlich zu einem Gegenschlag ausholen. Außerdem liegt der Körperschaftssteuersatz auf der Insel bereits unter dem EU-Durchschnitt. Ob noch niedrigere Steuern die Unternehmen in Scharen nach Großbritannien locken, ein Land welches vom größten Markt der Welt abgeschnitten ist und sich geographisch meilenweit von anderen großen Märkten befindet, bleibt zu bezweifeln.

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