Brief an Europa: Burkini-Gegner

, von  Gesine Weber

Brief an Europa: Burkini-Gegner
Frau im Burkini. © bellmon1 / Flickr / CC BY-SA 2.0-Lizenz

Das Sommerloch-Thema der Politik: Die inzwischen aufgehobenen Burkini-Verbote in Frankreich und die Diskussion um Burkinis weltweit veranlassen unsere Autorin, den Burkini-Gegnern einen Brief zu widmen.

Liebe Menschen, die ihr in den vergangen Wochen so über die Burkinis an europäsichen Stränden gewettert habt,

zunächst einmal mein Respekt: Es gehört wirklich ganz bestimmt ein großes Maß an Langeweile und Engstirnigkeit dazu, wenn man auf die Idee kommt, Frauen in langen Schwimmanzügen und Kopftuch vom Strand verbannen zu wollen, weil das der öffentlichen Ordnung schade. Ihr, liebe Burkini-Gegner in Frankreich, habt es geschafft, eine riesengroße Polemik auszulösen, und die von euch erlassenen Verbote haben es sogar bis vor den Staatsrat, die höchste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit, geschafft – um dort verfassungswidrig erklärt zu werden. Ihr habt es zu dem Twitter-Hashtag #WTFFrance gebracht, der stundenlang die Liste der meistgenutzten Hashtags anführte, und grenzübergreifend Reaktionen hervorgerufen hat. Und ihr, liebe Burkini-Gegner weltweit, seid (natürlich in kurzen Shorts und knappen Bikinis) auf die Hetzwelle eurer französischen Freunde aufgesprungen, sodass auch jetzt, nach dem Urteil, die Welt über das Tragen von Burkinis diskutiert.

Aber mal ganz ehrlich: Könnt ihr euch in eurer Rhetorik eigentlich selbst ernstnehmen? Lasst uns einmal gemeinsam ein Fallbeispiel durchgehen, um die Absurdität eurer Parolen zu erkennen. Man stelle sich einen vollen Strand vor: Ein blondes, hellhäutiges Kind, in einem Schwimmanzug mit langen Ärmeln und Beinen, das eine Kappe mit Nackenschutz trägt, baut eine Sandburg. Ein Taucher im langen Neoprenanzug und mit einer riesigen Schwimmbrille trägt gerade seine Sauerstoffflasche aus dem Wasser. Und eine Frau in einem langen Schwimmanzug, dessen Oberteil ein bisschen aussieht wie ein Kleid, und dessen Kapuze ausschließlich ihre Haare verdeckt, liegt auf einem Handtuch und ist in ihr Buch vertieft. Irgendjemand an diesem Strand, der lange Kleidung trägt, stört die öffentliche Ordnung und strahlt die Präsenz terroristischer Gefahr aus. Wie kann ich so naiv sein? Natürlich muss es die Frau im Burkini sein. Ganz bestimmt. Nicht. Eure Angst vor Überfremdung macht euch paranoid und verzerrt euren Blick. Auf einmal ist es eine Frau im langen Schwimmanzug eine Gefahr für die Republik – obwohl die viel eher von euren Mithetzern rechts von euch ausgeht.

Warum also diese ganze Diskussion? Weil ihr wisst, dass es muslimische Frauen sind, die Burkinis tragen – eine christliche Europäerin mit langer Kleidung und einem Tuch über den Haaren wäre völlig in Ordnung. Am Obststand stört euch das Kopftuch der muslimischen Verkäuferin wenig, aber sobald sie ein gleichberechtigtes Leben führt und einfach einen Tag am Strand verbringen will, könnt ihr das nicht akzeptieren. Und was eignet sich da besser als Grund zum Verbot als die Angst vor Terror, die in Europa so präsent ist? Sicher nichts, was derart medienwirksam wäre. Für euer Verhalten den muslimischen Frauen gegenüber gibt es übrigens einen Begriff: Er lautet „Diskriminierung“.

Ich möchte klarstellen: Ängste und Unsicherheit sind in meinen Augen nichts, was man vergessen darf. Euch zu unterstellen, dass eure Parolen ausschließlich von Langeweile und Engstirnigkeit genährt werden, wäre nicht nur falsch, sondern auch ungerecht. Ja, es ist befremdlich, Menschen – meist Frauen - unter Burka oder Niqab durch die Straßen laufen zu sehen, ohne ihre Gestik, Mimik, Reaktionen, ihr Gesicht erkennen zu können. In einer offenen Gesellschaft sollte man sich ins Gesicht schauen können, da stimme ich euch vollkommen zu. Aber das ist in einem Burkini absolut möglich. Sonnenschutz und Sport sind legitime Gründe für körperbedeckende Kleidung, Schutz vor (männlichen) Blicken nicht? Liebe Bikini-Feindinnen im Bikini: Ist am Strand, in der Nähe von eurem Handtuch, schon einmal ein Mann stehengeblieben und hat euch angestarrt, ganz offensichtlich? Danach vielleicht noch einen Kommentar gemacht, dass er euch gern mal ganz ohne Bikini begegnen würde? Das ist leider kein Einzelfall – und wenn sich eine Frau, ganz egal welchen Glaubens, davor schützen will, dann muss das ihr Recht sein.

Wisst ihr, was an dieser Debatte besonders aberwitzig ist? Konservative und Nationalisten in Europa kämpften Anfang der 1950er Jahre gegen den Bikini – zu viel nackte Haut, zu viel Erotik am Strand, das konnten sie nicht tolerieren. Und heute kämpfen ihre ideologischen Nachkommen genau für das Gegenteil. Mehr Haut! Weniger Stoff! Ein Burkini schadet der öffentlichen Ordnung! Ganz im Gegenteil: Der Burkini ist ein genialer Schachzug der Integration. Er gibt musliischen Frauen die Möglichkeit, im Meer zu schwimmen oder mit ihren Kindern am Strand zu spielen, was ihnen ansonsten wohl kaum möglich wäre. Als ich gestern am Strand in der Normandie lag, sah ich einen Mädchen-Schwimmkurs – und alle Mädchen trugen einen Burkini. Ich finde es phantastisch, dass Kinder schwimmen lernen können, und nicht wegen ihrer religiösen Zugehörigkeit ausgegrenzt werden. Der Burkini trägt dazu bei, dass wir uns Gedanken machen, wie unsere öffentliche Ordnung aussehen sollte. Ich meine: repräsentativ für unsere demokratische und freie Gesellschaft. Dabei sollte es die Stärke, dass Alleinstellungsmerkmal von Demokratie sein, dass sie Diversität nicht nur toleriert, sondern fördert und lebt. Und eine bunte Gesellschaft zeigt sich eben auch am Strand: Mit heller, dunkler und sonnenverbrannter Haut, in Shorts, Bikini oder Burkini.

Liebe Burkini-Feinde, ich wünsche euch noch sonnige letzte August-Tage, vielleicht ja an einem von Europas wunderschönen Stränden. Ich hoffe, ihr verbrennt euch nicht noch die Haut, nachdem ihr euch so gehörig die Zunge verbrannt habt. Um das zu vermeiden, habe ich einen Tipp für euch, den auch viele Hautärzte teilen: Lange Kleidung. Burkinis zum Beispiel schützen hervorragend gegen schädliche UV-Strahlung.

Sommerliche Grüße,

Gesine Weber

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