Brief an Europa

Bankrotterklärung für die Europa-Union: Elmar Brok hält seinen eigenen Verband zum Narren

, von  David Schrock

Bankrotterklärung für die Europa-Union: Elmar Brok hält seinen eigenen Verband zum Narren
„Sie reden in Talkshows gerne davon, was für ein Herzenseuropäer Sie sind“ - Kritik von David Schrock an Elmar Brok (hier beim EVP-Kongress 2016) Foto: EVP / Flickr/ CC BY 2.0 - Lizenz

Die Abgeordneten der EVP-Fraktion, darunter auch Elmar Brok, Vorsitzender der Union Europäischer Föderalisten, haben im Europäischen Parlament gegen die Einführung transnationaler Listen gestimmt. Deshalb wendet sich der „Brief an Europa“ diese Woche an Elmar Brok.

Lieber Elmar Brok,

wir alle wissen: Die Europa-Union hat in den letzten Jahrzehnten mit ihren Inhalten noch nie das große Medienecho erzielt. Ihre Beschlüsse werden von Gremien gefasst und landen dann meistens im eigenen Verbandsarchiv, ohne großes Medienecho zu erzeugen. Die einfachen Mitglieder der Basis erdulden diesen Umstand meistens mit einer Mischung aus Gewohnheit und Resignation. Wer den Europäischen Bundesstaat erreichen will, braucht halt einen langen Atem und viel idealistischen Optimismus. Wir alle warten schon seit über 70 Jahren darauf und das Ziel erscheint immer noch in weiter Ferne.

Nur manchmal gibt es kleine Lichtblicke. Die Engländer, die nun bald die EU verlassen wollen, nennen solche Chancen „Fenster der Möglichkeit“. Auf solche Fenster warten europäische Föderalisten im Allgemeinen sehr sehnsüchtig. Die Mitglieder und Delegierten wählen dabei ihre Vorstände bewusst aus, damit diese solche Fenster im Optimalfall nicht vorbeifliegen lassen. Europäische Föderalisten gehen nämlich davon aus, dass ihre Vorstände versuchen werden, die in demokratischen Prozessen debattierten und abgestimmten Beschlüsse an entsprechender Stelle bei Entscheidungsträgern zu platzieren oder wenn sie selbst die Entscheidungsträger sind, auch entsprechend der Beschlüsse zu handeln.

Ein solches „Window of Opportunity“ bot sich Ihnen und Ihren Kollegen im Europäischen Parlament am Mittwoch, den 07.02.2018 ganz unverhofft. Ihnen wurde die Chance gegeben, die durch den Brexit freiwerdenden Abgeordnetensitze über sogenannte transnationale Listen zu europäisieren. Erstmals hätte es tatsächliche Europaabgeordnete gegeben, die nur einer europäischen Partei angehört hätten und die dem gesamten Europäischen Volk verpflichtet gewesen wären. Zusammen mit den bei der letzten Europawahl eingeführten Spitzenkandidaten hätte die Chance bestanden, einen entscheidenden Schritt auf dem Weg der Europäischen Integration voranzuschreiten. Seit Jahrzehnten streitet die Europa Union auf europäischer Ebene dafür, erst 2017 hat die Europa-Union ihre Forderung nach transnationalen Listen im Zuge des Brexit auf ihrem Bundeskogress in Bovenden noch einmal eindringlich mit überwältigender Mehrheit bekräftigt. Explizit wurde dabei auch das Präsidium der Europa-Union aufgefordert „offensiv und mit Nachdruck für diese politische Forderung zu werben und den Einfluss seiner Mitglieder in den verschiedensten europäischen und nationalen Institutionen dafür zu nutzen.“

Wie der glückliche Zufall es will, sitzen mit Ihnen und Rainer Wieland im Europäischen Parlament zwei Abgeordnete, die nicht nur einflussreich sind, sondern außerdem die Europa-Union an den zwei wichtigsten Positionen vertreten, die sie zu vergeben hat: als Vize-Präsident des Europäischen Parlament ist Rainer Wieland zugleich Präsident der Europa-Union Deutschland und des damit mit Abstand größten Mitgliedsverbands der Union Europäischer Föderalisten (UEF) dessen Präsident wiederum Sie sind.

Leider haben sowohl Sie als auch Rainer Wieland in der entscheidenden Abstimmung gegen die transnationalen Listen und damit gegen die Position Ihres eigenen Verbandes gestimmt. Nun haben Sie beide ein freies Mandat und sind bei Abstimmungen nur ihrem Gewissen verpflichtet. Darüber hinaus gibt es – auch wenn es demokratietheoretisch nicht schön ist – so etwas wie Fraktionsdisziplin. Ersteres ist Kernelement unserer Demokratie und nicht zu kritisieren. Zweiteres ist zumindest im politischen Alltag ein bisweilen notwendiges Übel. Zur Ehrenrettung von Herrn Wieland Ehrenrettung sei erwähnt, dass er auf dem Bundeskongress, auf dem die transnationalen Listen beschlossen wurden, auch öffentlich bekundet hat, dass er diese nur am Endpunkt eines Prozesses der Etablierung eines europäischen Wahlrechts sieht und Schwierigkeiten damit hätte, dem im Parlament zuzustimmen.

Entscheidend zu kritisieren ist am Verhalten von Ihnen beiden jedoch, dass Sie sich in der Debatte im Parlament nicht passiv verhalten haben und am Ende bei der Abstimmung „nur“ den Zwängen des politischen Alltags unterworfen haben. Nein, Sie haben sich aktiv gegen die Beschlusslage des Verbandes ausgesprochen, dem sie vorstehen!

Sie, Herr Brok, haben dabei zudem folgenden bemerkenswerten Satz formuliert: „Transnationale Listen sind ein Sündenfall gegen den Föderalismus.“ Da stehen Sie, beide Amtszeiten zusammengenommen, seit über 10 Jahren an der Spitze der Europa-Union teilen Ihren Mitgliedern öffentlich mit, dass die Beschlüsse, die sie in ihrem höchsten Gremium nahezu einstimmig getroffen haben, nicht nur falsch sind. Nein! Die Beschlüsse sind ein Sündenfall! Offenbar sind alle Delegierten der Europa-Union aus Ihrer Sicht Idioten und haben von europäischem Föderalismus keine Ahnung.

Sie reden in Talkshows gerne davon, was für ein Herzenseuropäer Sie sind und Sie wurden im letzten Jahr auch nicht müde, immer wieder zu betonen, für wie wichtig Sie bürgerschaftliches Engagement halten, für wie wertvoll Sie es erachten, dass unter dem Sternenbanner der EU im vergangenen Jahr zehntausende Bürger unter dem Motto „Pulse of Europe“ auf die Straßen gegangen sind, um für ein vereintes Europa zu demonstrieren. Dass Sie Präsident des Verbandes ist, der diese Form des Engagements plus inhaltlicher Unterfütterung quasi erfunden hat, auf den Hinweis musste man bei Ihren Auftritten leider verzichten. Vielleicht haben Sie – wenn man wohlwollend ist – vergessen, dies zu erwähnen. Vielleicht ist es aber auch so – und der Eindruck drängt sich mir auf – dass Sie sich für den eigenen Verband schlicht schämen. Offenbar sind Sie der Meinung, dass die Mitglieder der Europa-Union keine Ahnung vom Föderalismus haben.

Am traurigsten jedoch fände ich es, wenn Ihnen die Mitglieder des Verbands, die Diskussionen und die Beschlüsse der Europa-Union schlicht egal wären. Ihr Verhalten im Parlament und Ihre fehlende Kommunikation Ihres Abstimmungs- und Debattenverhaltens lassen für mich kaum einen anderen Schluss zu. Was ist das für eine Bankrotterklärung für die Europa-Union, was für ein Affront gegen ihre Mitglieder, die Woche für Woche ihre Freizeit gerne opfern, um sich in Fußgängerzonen, Diskussionsforen und Gremiensitzungen für ein gemeinsames Europa einzusetzen. Warum soll sich das einfache Mitglied, der Delegierte auf dem Bundeskongress, in Zukunft überhaupt noch die Mühe machen, über Themen des europäischen Föderalismus zu diskutieren, wenn Sie als europäischer Vorsitzender der Meinung sind, dass die Delegierten alles arme Sünder sind, die von Ihnen als Messias der wahren Lehre auf den rechten Weg der Tugend geleitet werden müssen? Was sagt das grundsätzlich aus über das Verhältnis zwischen Spitzenpolitikern wie Ihnen und der Basis in Zeiten, in denen allerorten von Entfremdung, Erosion und Vertrauensverlust in die etablierten Parteien die Rede ist?

Um es noch einmal klar zu sagen: niemand spricht Ihnen das Recht ab, als freier Abgeordneter gegen Transnationale Listen zu stimmen. Niemand hat Sie daran gehindert, sich öffentlich dagegen zu positionieren. Aber ins Parlament zu gehen und öffentlich gegen die Beschlüsse des eigenen Verbandes zu reden und sie als Sündenfall gegen den Föderalismus zu geißel, wenn der gesamte eigene Verband anderer Meinung ist und und das in einem Beschluss auch kundgetan hat, ist ein Vorgang, der seines gleichen sucht.

Wenn Sie mit dem Beschluss nicht leben konnten, war der Moment, um das kund zu tun, spätestens vor der Abstimmung im Parlament, aber eigentlich bereits vor der Beschlussfassung auf dem Bundeskongress 2016. Dort hat man Sie jedoch mal wieder vergeblich gesucht.

Mir hat der Prozess noch einmal folgende Frage ins Bewusstsein gerufen: Ist es sinnvoll, dass die Europa-Union in Zukunft noch einflussreiche Politiker in ihre Spitzenämter wählt, wenn diese nicht nur nicht gewillt sind, für ihre Beschlüsse zu kämpfen, sondern bei entscheidenden Debatten auch noch mit inbrunst gegen den eigenen Verband opponieren?

Ein Demokrat, der etwas nicht mittragen kann, enthält sich bei der Abstimmung oder wenn er für die Umsetzung eines Beschlusses verantwortlich ist und das nicht verantworten kann, tritt er zurück.

Man würde sich wünschen, Sie hätten sich auf dieses einfache Prinzip besonnen. Ihr Verhalten im Parlament und Ihr Kommunikationsverhalten gegenüber den Mitgliedern ist eine Bankrotterklärung für die Europa-Union und Sie haben sie damit öffentlich der Lächerlichkeit preisgegeben.

Mit föderalistischen Grüßen

David Schrock

Ihr Kommentar
  • Am 21. Februar 2018 um 11:37, von  Christine Krüger Als Antwort Bankrotterklärung für die Europa-Union: Elmar Brok hält seinen eigenen Verband zum Narren

    Lieber Herr Schrock, vielen Dank für diesen Artikel, mit dem Sie mir aus dem Herzen sprechen. Ein solches Verhalten erstickt nicht nur das Engagement sondern macht Politik unglaubwürdig. Vielleicht sollte darüber nachgedacht werden, welche Gremien wir tatsächlich benötigen und wie diese gewählt werden für welche Zeitdauer. Auch auf europäischer Ebene sehe ich die Notwendigkeit darüber ernsthaft zu streiten, was institutionell benötigt wird, um Europa neu zu denken. Ein weiter so mit noch mehr Geld und Intransparenz bringt uns nicht weiter. ... Nochmals vielen Dank und beste Grüße Christine Krüger, Europa Union Berlin

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