Wind und Sonne für den Preis von kolonialer Mitschuld
Westsahara, Afrikas letzte Kolonie, findet sich im Ressourcen-Rausch. Diesen erlebt jedoch nicht seine eigene Bevölkerung, sondern sein Kolonialherrscher Marokko, europäische Firmen und der französische Präsident, der Marokko das Vorrecht auf das Land zuschreibt und in diesen Vorrechten eigene Profitmöglichkeiten sieht. All dies jedoch widersetzt sich dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dem Internationalen Gerichtshof, die jegliche Wirtschaftsabkommen für illegal erklärt haben.
Die Entscheidung von Macron, dennoch weiter zu investieren, wird von Marokko mit offenen Armen empfangen – wenn sie nicht sogar strategisch einkalkuliert war. Marokko wird vorgeworfen, die Energiewende als gezieltes außenpolitisches Druckmittel zu verwenden. Die Regierung in Rabat ist sich der Jagd von Europa nach CO2-neutraler Energie, um die Klimaziele einzuhalten, nur allzu bewusst. So kommt es nicht überraschend, dass sich Marokko besonders auf den Abbau von „grünen“ Ressourcen in Westsahara und die Exportinfrastruktur nach Europa spezialisiert hat.
Was die Investition in grüne Ressourcen, Klimaziele und die Teilhabe von europäischen Firmen an den Profiten bewirkt, ist eins: Interesse an dem Erhalt von Westsahara als Kolonie. Diese Taktik trägt heutzutage den Namen Energie-Diplomatie - auch wenn der Begriff als verharmlosend kritisiert werden kann. Denn: Extraktion von natürlichen Ressourcen ohne Zustimmung der lokalen Bevölkerung, und damit die Zerstörung des Landes und damit die Grundlage ihrer Existenz, ist klassische Kolonialpolitik.
Dass Marokko kolonialisiert, ist keine Neuigkeit. Doch auch andere europäische Unternehmen und sogar die französische Regierung selbst spielen zentrale Rollen in der Produktion von Sonnen- und Windenergie. Solche illegale Ausbeutung kann nicht einmal als Neokolonialismus verstanden werden. Neokolonialismus ist ein Begriff, der sich nach der Dekolonialisierungswelle etabliert hat, um neue, subtilere Machtstrukturen zu beschreiben, die selbst nach einer vermeintlichen Dekolonialisierung bestehen bleiben. Diese sind durch wirtschaftliche Abhängigkeiten anstelle offener Besetzung geprägt. Die Situation in der Westsahara jedoch erinnert an den Kolonialismus des 19. Jahrhunderts: brutale Besetzung, Landdiebstahl und Unterdrückung.
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Ohne Dekolonialisierung kein Klimaschutz
Das Problem mit Grünem Kolonialismus ist offensichtlich. Es sollte nicht internationale Gerichte wie den EuGH brauchen, um dafür zu argumentieren, dass der Diebstahl von Land und die Vertreibung von Tausenden Sahraui in die algerische Wüste unmoralisch ist.
Jedoch: Neben dem Menschenrechtsargument untergräbt Grüner Kolonialismus auch an sich grundlegend den Kampf gegen den Klimawandel. Die indigene Aktivistin Taily Terena eröffnete den indigenen Pavillon auf dem COP26 mit den Worten: „Kolonialismus ist Grund für den Klimawandel.“ Mit dieser Überzeugung ist sie nicht allein. Aktivist*innen, indigene Gemeinschaften und Wissenschaftler*innen stimmen ihr zu. Sogar der Weltklimarat, der Politiker*innen auf die COP vorbereitet, stellte 2022 in einem Bericht klar: Wenn wir die Zerstörung unserer Ökosysteme verhindern wollen, müssen wir alle Formen von Kolonialismus bekämpfen.
Die Logik hinter dem Klimawandel
Diese Erklärung des Weltklimarats wird verständlich, wenn man den Zusammenhang zwischen Kolonialismus und Klimawandel betrachtet: unser Wirtschaftssystem. Die Logik dieses Wirtschafts- und Sozialsystems ist der neoliberale Kapitalismus und sein Grundprinzip: obsessive Maximierung und Akkumulation von Mehrwert.
Kolonialismus folgt derselben Akkumulationslogik. Nach ihr ist der Globale Süden ein All-you-can-exploit-Buffet für die Anreicherung von Mehrwert, und dessen Ressourcen – seien es menschliche Arbeitskraft oder natürliche Rohstoffe – gelten als frei verfügbar. Für Unternehmen bieten sie somit die Möglichkeiten zur ultimativen Profitmaximierung und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem globalen Markt.
Neben den Ausbeutungs- und Profitideologien teilen Kolonialismus und Kapitalismus auch eine ähnliche Weltanschauung, die Ausbeutung legitimiert. Beide separieren unsere Welt in den ’weißen zivilisierten Westen’ versus die ’nicht-menschliche’ Welt. Zu der letzteren zählen indigene Völker, rassifizierte Menschen, Frauen und Natur - alle durch Irrationalität und Emotionalität gebrandmarkt. Es sind Eigenschaften, die sie somit auch weniger wert als den weißen, rationalen Mann machen. Diese unmenschliche Welt, so die Idee, muss von der rationalen westlichen Zivilisation beherrscht und verwendet werden, da nur so die Ressourcen effizient genutzt werden könnten. In dieser Weltanschauung wird die Ausbeutung von Ressourcen und die Unterwerfung der ’nicht-menschlichen’ Welt in einen Akt von samaritanischer Selbstlosigkeit verwandelt.
Da man sowohl im Kapitalismus, als auch im Kolonialismus eine hierarchische Weltanschauung und ein ausbeuterisches Businessmodell findet, argumentieren Wissenschaftler*innen, dass Kolonialismus nicht bloß ein Zulieferer von günstigen Ressourcen für den Kapitalismus ist, sondern Teil desselben Systems.
Manche Theoretiker*innen wie Cedric J. Robinson argumentieren sogar, Kapitalismus kann ohne Kolonialismus nicht existieren. In seinem Buch Schwarzer Marxismus zeigt er auf, dass die Ressourcen, die kapitalistisches Wirtschaften zum Wachsen benötigen, durch brutale Aneignung und Unterwerfung von indigenen Bevölkerungen “kostenlos” gemacht wurden. Das, so Robinson, war während des Imperialismus der Fall, ist es aber heute immer noch. Nur dadurch kann der Mehrwert generiert werden, um die Geschäfte für Unternehmen rentabel zu machen.
Erinnert man sich daran, dass grenzenlose Ressourcenausbeutung als die Hauptursache für den Klimawandel gilt und Kolonialismus und Kapitalismus beide Teil dieser Profitmaximierungsideologie sind, erscheint die Fortsetzung kolonialer Ressourcenausbeutung im Namen des Klimaschutzes sinnlos.
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