Kommentar zum Jahr des Europäischen Kulturerbes

Auf den Spuren europäischer Identitäten

, von  Arnisa Halili

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Auf den Spuren europäischer Identitäten
© Samir Karahoda für „Ec Ma Ndryshe“, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de - Traditioneller Hochzeitsbrauch in der Region Zhupa, Kosovo, anlässlich der Tage des spirituellen Kulturerbes.

Das europäische Jahr 2018 steht im Zeichen von Kultur und Identität. Europa wird erschüttert: Rechtspopulismus, Zuwanderung von Schutzsuchenden und der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) stellen für die europäische Gemeinschaft eine nie gekannte Herausforderung dar. Eine gemeinsame europäische Identität kann den gegenwärtigen Krisen entgegenwirken. Dabei geht es vor allem darum, regionale und nationale Identitäten auf der europäischen Landkarte sichtbar zu machen.

Die europäische Kommission möchte mit ihrem Themenvorschlag für das Jahr 2018 ein Zeichen innerhalb Europas setzen: Kultur wird ein neuer Stellenwert zugeschrieben, indem sie in einen europäischen Kontext gesetzt wird und zu einer inklusiven, innovativen und langfristigen demokratischen Entwicklung beitragen soll. Ebenso kann das Thema als ein Weckruf für Europa gesehen werden. Der Wert des Kulturerbes muss durch den Zeitgeist sichtbar werden. Jedes Kulturerbe hat das Recht auf der europäischen Bühne aufzutreten. Europäisches Kulturerbe muss als Chance für sozialen und wirtschaftlichen Wandel für die Zukunft verstanden werden.

Sich mit dem europäischen Kulturerbe auseinanderzusetzen ist von großer Bedeutung, da Kulturerbe oft auf Gebäude und Geschichte reduziert wird und ein verstaubtes Image hat. Das Jahr des europäischen Kulturerbes ist eine wichtige Möglichkeit für uns als europäische Bürger*innen, Kulturerbe zu entdecken und selbst aktiv daran teilzunehmen. Jede Bürgerin und jeder Bürger Europas ist mit Kulturerbe aufgewachsen. Kulturerbe umgibt uns in materieller, spiritueller, natürlicher und digitaler Form.

Die EU muss ihrerseits kommunizieren, dass regionale, nationale und internationale Akteur*innen zusammenarbeiten müssen, um das Projekt einer europäischen Identität zu realisieren. Aus der Auseinandersetzung heraus, können wir eine Brücke bauen zwischen Kulturerbe und aktuellen Trends, wie Digitalisierung, Globalisierung und Innovation. Ein Gebäude zu restaurieren ist eine Sache, es in den Alltag europäischer Bürger*innen zu integrieren ist eine andere Herausforderung. Neueste Technologien können regionales Kulturerbe auf einer globalen Bühne präsentieren. Kultur muss inklusiv, innovativ und interaktiv vermittelt werden. Ein Kulturerbe sollte so kommuniziert werden, dass es diese Eigenschaften für alle sichtbar vermittelt. Das kulturelle Potenzial Europas kann nur ausgeschöpft werden, wenn sich Bürger*innen, Bildungsinstitutionen, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam damit auseinandersetzen. Ebenso ist es wichtig einen Überblick über kulturelle Aktivitäten und unberührtes kulturelles Potenzial in Europa zu erhalten. Eine Übersicht in Form einer Kartierung könnte zur Wissenserweiterung und Annährung europäischer Bürger*innen beitragen, ganz egal welche kulturelle Zugehörigkeit sie besitzen.

Das Thema für 2018 läuft jedoch Gefahr, nur temporär verstanden zu werden. Zukünftige Investitionen in Kultur müssen ein fester Bestandteil der EU Politik sein. Eine innovative und kreative Sichtweise auf das europäische Kulturerbe kann neue Berufsmöglichkeiten eröffnen und Arbeitslosigkeit in ärmeren Ländern Europas bekämpfen.

Diese Erkenntnis ist auf eine Studie von Christer Gustafsson und Jan Rosvall in der Region Halland in Schweden zurückzuführen. Die Wirtschaft Hallands entwickelte sich im Vergleich zu anderen schwedischen Regionen schwächer. Von 1993 bis 2003 wurde ein Großprojekt zur Erhaltung von Kulturerbe durchgeführt. Während des Projekts wurden ein Drittel aller Bauarbeiter*innen der Region im Bereich traditionelle Bautechniken geschult. Zeitgleich gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen den Bürger*innen, verschiedenen öffentlichen Sektoren, privaten Unternehmen, NGOs und Forscher*innen. Der Ansatz eines innovativen, kreativen und nachhaltigen Kulturerbes schuf neue Berufsmöglichkeiten, Aus – und Weiterbildungsmöglichkeiten, führte zu einer erhöhten Attraktivität der Region und stärkte demokratische Strukturen.

Das Thema des Jahres 2018 wirft Fragen auf: Wie wird die europäische Identität definiert? Wo beginnt Europa und wo hört es auf? Ist Kultur an Grenzen gebunden, oder kann sie Grenzen überwinden und dadurch einen Beitrag zur europäischen Integration liefern? Die Europäische Union kann durch Kooperation auch Nicht-EU-Staaten bereits die Hand reichen, indem sie diese auf die Bedeutung von Kulturerbe aufmerksam macht. Das Jahr des europäischen Kulturerbes eröffnet uns die Chance unsere gemeinsame Identität zu stärken, die über die Grenzen der Europäischen Union hinausgeht. Das europäische Kulturerbe ist zeitlos. Es gehört vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Generationen.

Die Digitalisierung und Globalisierung helfen dabei unser Reichtum an Kulturerbe zu entfalten und effektiv zu nutzen, auf dem Weg zu einem sozialen und wirtschaftlichen Wandel. Kulturerbe agiert als verbindendes Element in unserer europäischen Gesellschaft und kann zur Steigerung der Lebensqualität in Europa beitragen.

2018 gilt es, die zahlreichen Facetten unseres europäischen Kulturerbes zu entdecken und langfristig für innovative, kreative und demokratische Entwicklungen zu nutzen, unter der aktiven Teilnahme regionaler, nationaler und internationaler Akteur*innen. Es existiert nicht die eine europäische Identität, sondern viele europäische Identitäten, die immer wandelbar bleiben (Hall 1999, S.395). Die Europäische Union wird aus dem gemeinsamen Prozess der Identitätsfindung gestärkt hervorgehen und sich unter anderem über die Vielfalt des europäischen Kulturerbes definieren.

Literaturquellen:

• Hall, Stuart: Kulturelle Identität und Globalisierung. In: Widerspenstige Kultu-ren Cultural Studies als Herausforderung. Hrsg. von Karl H. Hörning und Rainer Winter, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1999, S.395.

Gustafsson C., Rosvall J. (2008): The Halland model and the Gothenburg model: a quest toward integrated sustianable conservation. City & Time 4 (1):2.

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