Appell an Pulse of Europe

Kolumne Brief an Europa

, von  Michael Vogtmann

Appell an Pulse of Europe
Pulse of Europe Demo in Frankfurt, 05.03.2017 © duodecim stellae, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de

In den Niederlanden und Frankreich haben die populistischen Parteien die Wahlen verloren. Doch Europa ist noch lange nicht gerettet! Die Tendenzen in gemäßigten Parteien den Status Quo zu konservieren, anstatt die Probleme der Europäischen Union anzupacken, sind eine ebenso große Gefahr für Europa!

Liebe Familie Röder, liebe Aktivisten von Pulse of Europe,

Vor einigen Monaten schrieb ich den Liebesbrief an Pulse of Europe, in dem ich eurer Engagement, euren Enthusiasmus und Idealismus feierte und bewunderte. Ihr habt euch das Ziel gesetzt, die Wahlen in den Niederlanden und Frankreich positiv zu beeinflussen. Ob Ihr es wirklich geschafft habt, indem holländische und französische Medien über eure Kundgebungen berichteten, durch Verbreitung in sozialen Medien, oder einfach kollektives, positives Denken und Stimmung, sei mal dahin gestellt. Das Ziel wurde in beiden Ländern erreicht und die Populisten wurden besiegt. Pulse of Europe findet nun nicht mehr überall jeden Sonntag statt, sondern mancherorts nur noch jeden ersten Sonntag des Monats. Das ist legitim und vielleicht zum jetzigen Zeitpunkt vernünftig. Vielleicht ist es Zeit für eine Verschnaufpause, einen Moment des Innehaltens, für das Erdenken einer neuen Strategie. Doch es darf nicht das Ende von Pulse of Europe sein. Die politisch aktive europäische Zivilgesellschaft brauchen wir nötiger denn je, denn Europa ist noch lange nicht gerettet!

Mark Rutte, der Geert Wilders in Holland besiegte, wurde von der deutschen Presse als der siegreiche europäische Kandidat gefeiert. Tatsächlich wurde aber übersehen, dass Rutte zu der Sorte konservativer, nationaler Politiker in Europa gehört, die auf eine softere Art und Weise die Argumentation von Populisten übernehmen. Mitten im Wahlkampf verbreitete Rutte einen Brief an die Niederländer, der, wohl gemünzt auf Ausländer, die Aufforderung beinhaltete: „Verhaltet Euch normal oder geht“. Im Zweifelsfall sah Rutte auch die Priorität der nationalen Politik, vor der europäischen - eine Art Netherlands First im kleinen Maßstab. Auch der ehemalige britische Premier David Cameron lies zu, dass seine Partei auf Positionen einschwenkte, die zuvor die antieuropäische UKIP vertrat, mit dem Ergebnis, dass wir mittlerweile alle kennen. Die kürzlichen Vorstöße zur Leitkultur von Thomas de Maizière, stehen in einem ähnlichen Licht. Das das Thema Leitkultur immer mitten im Wahlkampf ausgegraben wird, scheint kein Zufall zu sein. Es errinnert an jenes Anbiedern an den Populismus, mit dem Cameron den Brexit und sein politisches Scheitern einleitete und mit dem Mark Rutte in zweifelhafter Weise die Wahl gewann, was letztlich auch ihm irgendwann wieder auf die Füße fallen könnte. Denn unterschwellig macht diese Rethorik Islamophobie und Anti-EU-Populismus salonfähig und ebnet so den Weg für wahre Extremisten wie Wilders, Farage und Höcke.

Doch es gibt auch einen herrlichen Lichtblick: Emmanuel Macron! Der französische Präsident vermied während des Wahlkampfs jeden Versuch, populistische Thesen in softer Art zu übernehmen. Im Gegenteil - er bekämpfte den Populismus inhaltlich und setzte ihm ein klares, starkes Glaubensbekenntnis an Europa entgegen. Dabei hat er nicht verleugnet, dass es innerhalb der Europäischen Union und nicht zuletzt innerhalb der Eurozone massive Fehlkonstruktionen gibt, die Europa handlungsunfähig und krisenanfällig machen. Diese gilt es zu beheben, da sind sich alle Ökonomen und Politikwissenschaftler einig und auch Ihr, Pulse of Europe gebt zu, dass nicht alles rund läuft in der EU. Doch bereits vor Macrons Amtsübernahme schwappt eine Welle des Misstrauens und der Kritik an Macron über den Rhein. Weite Teile der deutschen Politik und Wirtschaft weigern sich einzugestehen, dass die Eurozone vertieft werden muss, ergänzt um eine Fiskalunion mit mehr demokratischer Legitimität. Stattdessen versuchen sie den Status Quo zu erhalten, weil dies kurzfristig vermeintlich billiger für Deutschland ist. Was ist aber mit den langfristigen Kosten sollte uns der Euro und das vereinte Europa, bei der nächsten Krise, um die Ohren fliegen?

Angela Merkel hat nun zusammen mit Macron angekündigt, die EU-Verträge anpassen zu wollen. Das klingt deutlich konstruktiver als der dogmatische, deutsche Tenor zuvor, aber ist das ein wirkliches entgegenkommen? Vertragsänderungen sind eine langwierige Prozedur und der Verdacht liegt nahe, dass die Bundesregierung vor der Bundestagswahl, Konflikten mit Frankreich aus dem Weg gehen will. In der Vergangenheit hat die Merkel-Schäuble-CDU oft proeuropäisch gesprochen, aber deutsch-egoistisch gehandelt. Ein Beispiel ist die europäische Bankenunion. Mit den Partnern wurde ein Kompromiss ausgehandelt. Die Deutschen bekommen eine gemeinsame Bankenaufsicht durch die EZB, die anderen bekommen einen Einlagensicherungsfonds für die Großbanken der Eurozone. Es war ein Tauschgeschäft - europäische Kontrolle gegen Vergemeinschaftung der Risiken. Die Bankenaufsicht wurde etabliert. Wolfgang Schäuble blockierte den Einlagensicherungsfonds. Eines der vielen Beispiele, die verdeutlichen, dass die Bundesregierung zwar oft eine europäische Rhetorik bemüht, aber selten im gesamteuropäischen Interesse handelt und leider auch selten zu ihrem Wort steht. Einer der Gründe, warum viele in Europa „den Deutschen“ nicht mehr trauen.

Deutschland ist das wirtschaftlich mächtigste und politisch einflussreichste Land der Europäischen Union. Gleichgültig, wer Kanzler unserer Bundesrepublik wird, die Person muss sich über ihre Verantwortung für Europa und die Eurozone im Klaren sein. Die Person muss sich für deren wirtschaftliche Stabilität und deren Fortbestehen aktiv einsetzen und mit Macron und Vertretern anderer Länder, wie Italien, Spanien bis Finnland und Slowenien kooperativ zusammenarbeiten. Deshalb muss Pulse of Europe vor der deutschen Bundestagswahl wieder sehr aktiv auftreten und sowohl Angela Merkel als auch Martin Schulz im deutschen Wahlkampf im Nacken sitzen.

Die Strategie des überparteilichen, teilweise unpolitischen hat gut funktioniert um viele zu mobilisieren, aber es ist höchste Zeit für eine kontroverse Debatte in unserem Land und Pulse of Europe könnte dabei als Forum dienen. Bei aller Überparteilichkeit sollte die Bewegung auch selbst konkreter Stellung beziehen. Natürlich ist das riskant, aber wenn Ihr nichts mehr tut, wird Pulse of Europe sowieso früher oder später totgelaufen sein. Solidarität ist einer der europäischen Werte, für die Ihr einsteht. Diese sollte auch innerhalb der Eurozone oberstes Gebot sein, so dass die wirtschaftlich Starken den Schwachen helfen. Der Populismus, Hass auf Flüchtlinge, Rassismus, aber auch nationalchauvinistische Rhetorik à la „Pleitegriechen“, „PIGS“, „faule Südländer“, verletzen den europäischen Geist aufs Massivste. Auch die Populisten innerhalb der etablierten Medien und der vermeintlich proeuropäischen Parteien bedrohen Europa langfristig, wie Cameron und der Brexit gezeigt haben. Deshalb brauchen wir Pulse of Europe auch weiterhin, um ein klares Zeichen zu setzen!

Wie viel ist uns Frieden, Wohlstand, eine stabile europäische Gesellschaft und Demokratie wert? 1 Milliarde? 10 Milliarden? 1 Billion? Wir müssen allen klar machen, dass es sich um Schnäppchen handelt, denn diese Dinge sind eigentlich unbezahlbar!

Ihr Kommentar
  • Am 21. Mai 2017 um 07:21, von  Günther Tritschler Als Antwort Appell an Pulse of Europe

    Hallo Michael Vogtmann,

    Stimme Allem zu außer : Das Senden von Signalen wird nicht ausreichen. Man muss eine Partei für Europa etablieren und Wählerstimmen gewinnen und in den Bundestag kommen (und Europaparlament) , um wirksam zu sein. Die Zeit drängt! Günther Tritschler

  • Am 22. Mai 2017 um 11:56, von  Dirk Wolf Als Antwort Appell an Pulse of Europe

    Hallo,

    Pulse of Europe wird vollkommen irrelevant, wenn sie es nicht zulassen, dass auf den Versammlungen politisch diskutiert wird. Wenn, wie in Hannover geschehen, der Ministerpräsident von den örtlichen Organisatoren eingeladen wird, um ihm Gelegenheit zu geben, seine Sicht auf die Entwicklung der EU kundzutun (und der Versammlung die Gelegenheit, darauf am offenen Mikrofon zu antworten) und dieser - ohne das den örtlichen Organisatoren auch nur mitzuteilen - von „Frankfurt“ ausgeladen wird, werden die Versammlungen zu reinen Wohlfühl-Aktionen, die keinerlei Veränderungen bewirken werden.

    Nur „Fähnchenschwenken“ und Lieder singen ist auf Dauer einfach nicht genug.

    Was Ihren Beitrag angeht: vollkommen d’accor.

    Herzliche Grüße

    Dirk Wolf

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