Mein geliebtes Europa,
du warst einst eine Prinzessin, verführtest Götter mit deiner Schönheit. Du hast mich versorgt, als ich am Boden war. Du hast mir Freunde gegeben, zum Spielen, Streiten und Wieder-Versöhnen. Du hast mir zu Lesen gegeben, mich mit allem ausgestattet um die Welt zu erobern. Deine Fürsorge hat mich meiner Sinne beraubt, mich Kind sein lassen. Du bist der Frieden. Du beschützt mich vor den Bösen, die mich bedrohen. Du bist die Versöhnung, bringst zusammen, risst Mauern ein.
Aber was ist mit meinen misachtenen Brüdern? Denen, die deine Güte sehen, deine Güter kaufen. Du gibst ihnen, machst sie abhängig und bindest sie an dich. Und wenn sie zu dir wollen, stößt du sie ab, zeigst ein anderes Gesicht durchzogen von Angst und Neid. Doch du kannst sie nicht davon abhalten, dich zu lieben, dafür bleibst du zu begehrt, bleibt deine Idee zu schön. Dafür bleiben selbst deine verregneten kalten Gassen für zu viele das ferne Paradies.
Du hast mich versorgt, doch zu wessen Kosten? Du hast mir Freunde gegeben, doch ich habe mich im Spielen verloren. Du hast mich ausgerüstet, doch habe ich das „Welt erobern“ zu ernst genommen? Hat am Ende deine Fürsorge meine Sinne beraubtet? Den der Gerechtigkeit, den der Gleichheit, den der Schwesterlichkeit? Du bist der Frieden, doch warst es nicht auch du, die für mich entschiedst, wer meine Freunde, wer meine Feinde sind? Du hast uns zusammengebracht, doch hast du nicht auch im Schatten unserer Freundschaft neue Mauern errichtet?
Es sind deine zwei Gesichter, die mich zweifeln lassen. Das zarte nach innen, das kalte nach außen. Mich belächelnd, sie belügend. Entscheide dich für eins. Denn solange deine Liebe nur für den erwählten Kreis reicht, werden weiter Boote aufbrechen, voller zu enttäuschender Hoffnungen. Werden weiter die Träume vom Erreichen der Festung im Meer ertrinken.
Dein
Dominik Winkler
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