Indem sie sich mit den drei Adjektiven „smart, sustainable, inclusive“ terminologisch auf ein qualitatives Wachstum orientiert und Leitziele für die Bereiche Wissen, Öko-Effizienz und Soziales vorschlägt, geht die Strategie „Europa 2020“ weiter als ihre Vorgängerin. Es steht offenkundig noch dahin, in welcher Form die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Leitziele aus der Beschlussfassung im Europäischen Rat hervorgehen werden. Besonders ehrgeizig war der Rat in dieser Frage bisher nicht, sondern er hat gebremst.
Im Bremserhäuschen sitzt der Rat vorläufig auch noch in Bezug auf den zweiten wichtigen Unterschied der Strategie „Europa 2020“ zur Lissabon-Strategie: die Frage der Governance. Der entsprechende Teil des von Kommissionspräsident Barroso präsentierten Vorschlages geht in die richtige Richtung, weil er hier die zentrale Rolle des Europäischen Rates – Chefsache! – mit den neuen Instrumenten der Kommission nach dem Lissabon-Vertrag verbindet.
Dies ist zu begrüßen, denn eine freiwillige Koordinierung, das hat sich gezeigt, reicht für wirkliche Ergebnisse nicht aus.
Im Europäischen Parlament ist der Entwurf der EU-Kommission für „Europa 2020“ teilweise als zu wenig ehrgeizig, um der Probleme Herr zu werden, kritisiert worden. Aber unabhängig von einer Diskussion etwa um die Frage, ob nicht zur Verfolgung von Wettbewerbsfähigkeit zwingend auch ein Leitziel für Rohstoff-Effizienz gehört, muss die politische Debatte insbesondere verhindern, dass der Rat im Juni nur eine verwässerte Fassung der Strategie beschließt.
Für bessere Erfolge als die Lissabon-Strategie müsste die Strategie „Europa 2020“ daher bei den Zielstellungen im Sinne eines qualitativen Wachstums und bei Governance-Vereinbarungen ehrgeiziger und verbindlicher sein als jene der Lissabon-Strategie.
Über „Europa 2020“ wird in den Hauptstädten der Mitgliedsländer entschieden
Das entscheidende Wort zu „Europa 2020“ muss der Europäische Rat sprechen. Er muss dabei mit Weitblick entscheiden, ob er die Ziele setzt und Strukturen schafft, die unser Europa voranbringen. Wenn Europas Hauptstädte den Karren nicht ziehen wollen, sondern bremsen, wird „Europa 2020“ nichts werden. Danach aber werden die Mitgliedsländer auch für die tatsächliche Durchsetzung der Strategie Initiative zeigen müssen. Wenn wichtige Entscheidungsträger, gerade auch in Deutschland, sich mehr vom Stichwort einer „Wirtschaftsregierung“ abschrecken lassen als die Chancen einer wesentlich engeren wirtschaftspolitischen Kooperation und Integration zu sehen, stockt „Europa 2020“ schon vor dem Aufbruch. In Deutschland kommt dazu, dass das Engagement der Bundesländer für ihre Zuständigkeiten berücksichtigt werden muss und nicht zum Stolperstein für „Europa 2020“ und insbesondere für die sozial- und bildungspolitischen Ziele werden darf.
Deutschland muss daher zu einem politischen Motor der Strategie „Europa 2020“ werden.
Demokratische Beteiligung an Erarbeitung und Umsetzung von „Europa 2020“
Dem Europäischen Parlament hat der Kommissionsentwurf für „Europa 2020“ ungefähr die Rolle von Cheerleaders beim Sport zugewiesen: schön, wenn die das Publikum motivieren, aber beim Spiel selbst sind sie nicht aktiv dabei. Der Europäische Rat hat einige unverbindlich-freundliche Worte über die Einbeziehung der Parlamente gefunden, aber in Deutschland ist davon bisher noch wenig zu spüren gewesen. Ohne systematische und aktive Einbeziehung der Parlamente und der Öffentlichkeit droht aber jede exekutive Verabredung zu einem leblosen Vorhaben zu werden. Das gilt später dann auch für die Umsetzung einer beschlossenen Strategie.
Rat und Kommission müssen daher eine systematische Einbeziehung der Parlamente in Erarbeitung und Umsetzung von „Europa 2020“ gewährleisten sowie die Öffentlichkeit bereits vor der Verabschiedung der Strategie breit an der Diskussion beteiligen.
Kommentare verfolgen: |