Wer berät eigentlich die Berater der Kanzlerin? Deutsche Europakoordinierung in der Krise.

, von  Linn Selle

Wer berät eigentlich die Berater der Kanzlerin? Deutsche Europakoordinierung in der Krise.
Krisenpolitik bedeutet schnell und unkompliziert Entscheidungen fällen. In Deutschland ist dieser Modus in Sachen Europapolitik im Dauereinsatz. Die Folge: Weniger Pluralismus und eine enorme Machtverschiebung in Richtung Kanzleramt. Foto: © European People’s Party - EPP: „EPP Summit March 2010“, http://www.flickr.com/photos/eppofficial/4461868999/. CC BY 2.0: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

Krisen stärken die Exekutive, das ist eine Binsenweisheit. So hinterlässt auch die europäische Wirtschafts- und Finanzkrise ihre Spuren in der deutschen Europakoordinierung, denn diese wird zunehmend im Bundeskanzleramt zentralisiert. Bundesministerien, Fraktionen sowie Verbände und Interessengruppen haben in dieser Konstellation kaum noch Mitbestimmungsmöglichkeiten.

Die Herausforderungen der dauerhaften Eurorettung sowie der Schulden- und Wirtschaftskrise(n) führten auf der EU-Ebene bekanntlich zu einer beachtlichen Stärkung des Europäischen Rates. Er hat sich zu einem „semi-legislativen“ EU-Organ gemausert – und mit ihm die dort vertretenen Regierungschefs. In Deutschland brachte dieser Prozess eine enorme Machtverschiebung mit sich: Von den eigentlich an der EU-Koordinierung beteiligten Bundesministerien hin zum Kanzleramt.

Formell ist die deutsche Europapolitik kompliziert und führt bei unseren Brüsseler Partner/innen oft zu entnervtem Haare raufen. Unter anderem bedingt durch den deutschen Föderalismus gibt die Bundeskanzlerin eigentlich „nur“ die politischen Richtlinien in der Europapolitik vor. Die Ministerien setzen diese Leitlinien mit jeweils eigenen Schwerpunkten um und übernehmen hierfür die Verantwortung. Deswegen darf laut Grundgesetz die Bundeskanzlerin nicht uneingeschränkt in die einzelnen Geschäftsbereiche eingreifen. Besonders das Auswärtige Amt (AA) und das Wirtschaftsministerium (BMWi) spielen eine herausgehobene Rolle, da sie die Koordinierung der Brüsseler Verhandlungsrunden im Ministerrat übernehmen (eine gute Übersicht und Graphik findet sich hier). Dieser Zwang zur Koordination hat gute Gründe: Zum einen soll die Macht des Kanzlers oder der Kanzlerin eingeschränkt werden. Zum anderen sollen möglichst viele Interessenlagen, zum Beispiel aus Partei und Gesellschaft, zu einem Ausgleich gebracht werden.

Doch wie sieht es im europäischen Krisenmodus tatsächlich mit diesem Zwang zur Koordination aus? Das AA und BMWi haben de facto immer weniger Einfluss auf europäische Richtungsentscheidungen. Begründet wird dies mit dem Zwang zu schnellen Entscheidungen und der größeren Effektivität einer Machtbündelung im Kanzleramt.

Die Zentralisierung der EU-Politik im Kanzleramt bedeutet, dass viel weniger Menschen über europapolitischen Themen von großer Tragweite entscheiden. In der Wirtschaftsabteilung des Kanzleramts – zuständig für die Themen des Finanzministeriums sowie für Teile des Wirtschafts- und Umweltministeriums – arbeiten zum Beispiel nur 60 Beamt/innen.

Bei genauerer Betrachtung sind es vor allem zwei Top-Beamte, die Angela Merkels Europapolitik (mit)bestimmen: Nikolaus Meyer-Landrut, Leiter der Europaabteilung, sowie Lars-Hendrik Röller, Leiter der Wirtschaftsabteilung. Beide beraten die Kanzlerin in allen krisenrelevanten EU-Themen; sie formen, koordinieren und bereiten ihre Europapolitik vor. Im europäischen Krisenmodus wird diese Politik dann auch schnell zu Deutschlands Europapolitik. Die beiden sind die „Geister“ hinter Angela Merkels Positionen.

Diese Zentralisierung ist nicht nur aus Gründen der „balance of power“ zwischen den Regierungsinstitutionen kritisch zu beurteilen: bei Parteien und gesellschaftlichen Akteuren ist seit Beginn der Krise der Eindruck entstanden, dass sich die deutsche Europapolitik hinter die Mauern des Kanzleramts zurückgezogen hat. Damit werden unterschiedliche politische und gesellschaftliche Interessen in die Entscheidungsprozesse nicht mit einbezogen. Natürlich muss Krisenpolitik Ausnahmesituationen effizient meistern können, aber das darf nicht ohne die Einbindung von vielfältigen politischen und gesellschaftlichen Interessen geschehen. Wenn letzten Endes wenige Top-Beamte im Bundeskanzleramt, Finanzministerium und der Bundesbank über die „Rettung Europas“ entscheiden, ist das weder transparent noch pluralistisch. Zudem ist es ebenfalls keine Garantie für ein effektives Krisenmanagement, wie das deutsche Lavieren in der Eurokrise zeigt.

Sowohl die EU als auch der deutsche Föderalismus leben von ihrer Vielfalt, auch wenn das langsamere politische Entscheidungen mit sich bringt, da viele unterschiedliche Meinungen gehört und einbezogen werden müssen. Wenn aber wenige Männer und Frauen die deutsche Europapolitik und damit zu großen Teilen auch die europäische Politik bestimmen, kann das kein gutes Zeichen für deutschen oder europäischen Föderalismus sein. So wichtig in manchen Situationen schnelle Reaktionen und Entscheidungen sind – eine intransparente Zentralisierung darf nicht die Lösung sein!

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