Vorbild USA: Braucht der europäische Sport eine Gehaltsobergrenze?

, von  Raphael Morgulis, Übersetzt von Markus Lammert

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Vorbild USA: Braucht der europäische Sport eine Gehaltsobergrenze?

Trotz der Leistungen von Spieler wie Lionel Messi, Cristiano Ronaldo oder Franck Ribery ist der europäische Vereinsfußball in die Krise geraten. Keine Überraschungen mehr, keine Spannung, keine Werte: Kurz gesagt: kein Sport. Das ist ein trauriger Befund - denn immerhin geht es hier um die Champions League - die Königsdisziplin des europäischen Sports. Dabei existieren durchaus Alternativen. Es reicht ein Blick über den Atlantik in das Land von Uncle Sam, Bic Mac und salary cap.

Nicht erst seit gestern schauen wir Europäer ein wenig abfällig auf die USA herab. Amerikaner sind übergewichtig und kulturlos, denken nur ans Geld und machen sich mehr Sorgen um ihren nächsten Burger als um den Rest der Welt. Sie haben George W. Bush zweimal in Folge zum Präsidenten gewählt und sind unfähig, Paris auf einer Weltkarte zu finden.

Aber der alte Allgemeinplatz stimmt auch hier: Alles hat seine guten und schlechten Seiten. Auch Europa ist nicht perfekt.

Gemeinsam haben beide Gesellschaften die herausragende Bedeutung des Profisports in der Populärkultur. Europa lebt im Rhythmus seines Fußballs: Weltmeisterschaften, nationale Meisterschaften und - vor allem - die Champions League mit ihren Stars. Amerika begeistert sich für Baseball und Basketball und verfolgt jedes Jahr gebannt den Verlauf des wichtigsten aller Spiele – den Super Bowl. Der Sport wird immer mehr zur Antwort unser Gesellschaft auf unser Bedürfnis nach Konfrontation, Leidenschaft, Selbstüberwindung und Heldentum. Man sagt, im Sport spiegelten sich unsere Ängste und Werte, der Sport sei die Bühne auf der die großen gesellschaftlichen Themen aufgeführt würden.

Wenn das wirklich stimmt, dann ist das was hier gespiegelt wird ziemlich beunruhigend.

Die Spielergehälter, oder: Vereinsfußball als Schlafmittel

Wann war eine Champions-League-Saison in den letzten zehn Jahren einmal wirklich aufregend? Einzig die Saison 20003/04 bleibt in Erinnerung. Zwei Überraschungsfinalisten, der AS Monaco, der aus dem Nichts ein Riesenmatch nach dem anderen lieferte und erst gegen den FC Porto unterlag. Die Portugiesen hatten ganz Europa mit ihrem Talent, ihrer Genialität und Spielbeherrschung verzaubert und faszinierten zudem mit den beiden Ausnahmefiguren José Mourinho und Spielmacher Deco. Und sonst? Die übliche Langeweile: Real Madrid, Manchester United, Bayern München, AC Mailand, Barcelona. Und – in der Chamions League hat man keine Angst mehr vor der Lächerlichkeit – die « Überraschung » Liverpool. Nicht ein Verein, der nicht zu den einstigen G14 gehört hätte! Alles in allem haben nur etwa ein Dutzend Vereine tatsächlich die Chance, das Finale zu erreichen.

Wo liegt die Ursache des Problems? Beim Geld natürlich. Dabei soll die Antwort kein reaktionär-populistischer Spruch à là: Ach, diese Fußballer sind doch alles Memmen und verdienen Millionen! - sein. Sie muss differenzierter ausfallen. Die Summen die heute das Geschäft im Fußball bestimmen sind nicht irrational. Sie entsprechen grundsätzlich dem Interesse dass unsere Gesellschaft dem Sport entgegenbringt. Das Problem liegt in der Konzentration des Geldes und in der völligen Freiheit der Clubs über ihr Kapital zu verfügen.

Der FC Chelsea gibt insgesamt 168 Millionen Euro im Jahr für seine 25 Profispieler aus. Inter und AC Milan folgen mit 120 Millionen. Es ist nicht zu übersehen: Der Graben zwischen ca. einem Dutzend reicher Clubs, die sich traumhafte Gehälter leisten können, und dem Rest Europas ist gigantisch.

Dieser Graben hat den wichtigsten Wettkampf des Kontinents nicht nur vorhersehbar gemacht, er hat zudem eine ganze Reihe von aberwitzigen Situationen geschaffen, die den ursprünglichen Zielen der Champions League entgegenlaufen: Tatsächlich war das erklärte Ziel der Gründer der C1, die besten Spieler der Welt in einem Wettkampf spielen zu lassen und dem Publikum so einen Maelstrom von spektakulären Spielen und legendären Aktionen zu präsentieren. Nun sind heute aber gar nicht alle besten Spieler auf dem Platz. Zugegeben, die meisten spielen. Aber bei 11 Stammplätzen – wie viele Stars sitzen da auf der Bank? 2008-Europameister Manchester United konnte Top-Spieler wie Park Ji-Sung, Carlos Tevez, Anderson oder Nani auf dem Bank sitzen lassen. Bei dem Finalist Chelsea sieht es mit den Belletti, Malouda, Bridge, Wright-Phillips, Shevchenko und Pizarro noch schlimmer aus. Auch Liverpool, die Voronine, Babel, Pennant, Kewell und Benayoun schont, könnte hier genannt werden.

In jedem superreichen Club finden sich mindestens fünf Spieler, die mit großer Sicherheit woanders auf einem Stammplatz spielen würden. Ja, die Besten treffen am Ende aufeinander. Aber wenn dafür etwa 30 Weltklassespieler nicht spielen dürfen, ist die Verschwendung doch gewaltig.

Schlimmer noch, das Problem betrifft nicht nur die Champions League: die Premier League und ihre vier so allmächtigen wie ermüdenden Spitzenteams, die Spanische Primera Liga und ihre beiden Denkmalen, die Bundesliga und ihr alter ego, die französische Ligue 1: alles unglaublich langweilige Monopolstrukturen [1]. Diese Feststellung gilt auch für den französischen Rugby, der sich immer mehr in eine ähnliche Richtung entwickelt; oder für den Basketball mit seiner Euroliga, deren Vorbild nicht schwer zu erraten ist. Überall zeichnen sich die gleichen Probleme ab. Die Ursachen liegen in der Omnipräsenz des Geldes und seiner ungleichen Verteilung.

Was Europa von den USA lernen kann

Die Vereinigten Staaten, wo Sport zuallererst als Spektakel gesehen wird, haben eine Regelung gefunden, die eine solche Situation gar nicht erst entstehen lässt. Die nationalen Verbände NFL, NBA und NHL haben eine bemerkenswerte Machtstellung. Sie können Mannschaften, Spielern und Medien ihre eigenen Spielregeln auferlegen. Besonders wichtig ist ihnen die Bewahrung eines Kräftegleichgewichts zwischen den Beteiligten. Dieses Gleichgewicht wird unter anderem über eine Obergrenze der Spielerzahl einer Mannschaft erreicht. Ähnlich wirkt der Entry Draft – ein Auswahlverfahren, das bei der Rekrutierung der besten Jungspieler diejenigen Mannschaften bevorzugt, die in der vorigen Saison die letzten Plätze belegt haben – eine Vorgehensweise, die fundamental mit dem europäischen Dschungel im Nachwuchsbereich kontrastiert. Am wichtigsten aber ist der sogenannte salary cap.

Der salary cap - auf deutsch: Gehaltsobergrenze - begrenzt die Höhe des Budgets, das die Vereine für ihre Spieler ausgeben dürfen. Es wird vom Verband auf Grundlage der Einkünfte, die die Sportart in der vorherigen Saison erbracht hat, festgelegt und ist für alle Vereine gleich hoch.

Alle Mannschaft haben also das gleiche Budget um ein wettbewerbsfähiges Team aufzubauen. Als Ausnahme gilt hier die NBA: hier dürfen die Vereine die Obergrenze überschreiten, müssen aber für jeden Dollar, den sie mehr ausgeben, einen Dollar Strafe an den Verband bezahlen. Dieses System ist flexibler aber immer noch ziemlich streng, vor allem in Zeiten der Weltwirtschaftskrise...

Über die Art und Weise wie die erlaubte Summe ausgegeben wird, können die Verantwortlichen der Vereine selbst entscheiden. Einige stecken den Großteil des caps in einige wenige Spieler mit fantastischen Gehältern und füllen ihren Kader mit preiswerten Veteranen und unbekannten Jungspielern auf. Andere bevorzugen ein gewisses Gleichgewicht innerhalb der Mannschaft und formen ein Team mit guten Spielern und angemessenen Gehältern. Kurz gesagt: Die Zusammensetzung eines Gewinner-Teams hängt nicht mehr nur von der Größe des Geldbeutels ihres Besitzers ab. Was zählt sind sportliche Entscheidungen. Die Vereine müssen mehr planen, den tatsächlichen Bedarf ihrer Mannschaft berücksichtigen, möglichst neue, bisher unterschätzte Spieler rekrutieren und ständig an der Verteilung von Verträgen und Spielergehältern arbeiten.

Ein Fehler bei der Anstellung eines neuen Spielers hat tatsächlich Folgen, denn er kann nicht mit dem Kauf eines anderen, noch teureren Stars wieder gut gemacht werden. Das ist der Grund weshalb die Mannschaften, die in der NFL die Playoffs erreichen, fast nie die gleichen sind und ein Playoff-Sieger seinen Triumph nur selten im nächsten Jahr wiederholen kann. Eine zerrüttete Mannschaft kann sich durch eine geschickte Spielerpolitik cap space schaffen und damit schnell einen neuen schlagkräftigen Kader aufbauen – wie die Miami Dolphins oder die Atlanta Falcons, die als letzte der Saison 2007 im Jahr 2008 in die Playoffs kamen. Kurz: Der salary cap macht den Ausgang jeder Saison offen und weniger vorhersehbar.

Ein salary cap im Fußball?

Die Einführung einer Gehaltsobergrenze im europäischen Fußball würde Mannschaften wie Manchester oder Barcelona keineswegs zu normalen Clubs machen. Diese Vereine werden allein aufgrund ihrer Geschichte, ihrer Aura, immer die besten Spieler anziehen. Sie würden die besten Mannschaften behalten. Aber ihre Ersatzleute wären nicht mehr Spieler, die anderswo einen Stammplatz sicher hätten. Es würde heissen, keinen Ederson, Pjanic oder Mensah auf dem Bank vom Olympique Lyonnais am Wochenende. Chelsea könnte es sich nicht mehr leisten jeden Sonntag, eine unglaubliche Reihe von Stars auf seiner gepolsterten Ersatzbank sitzen zu lassen. Steaua Bucarest oder die Glasgow Rangers könnten gute Spieler anziehen, die in der Lage wären, mit den Besten zu konkurrieren. Der Sieger der Champions League würde nicht mehr nur zwischen acht oder neun Mannschaften ausgemacht, deren einziger Verdienst ihre überlegene Finanzkraft ist.

Natürlich ist all das leichter gesagt als getan. Der Einführung eines salary caps in Europa stehen zahlreiche Hindernisse im Wege.

Der europäische Fußball hat keine einheitliche Organisation. Jede Liga wird von unabhängigen Institutionen verwaltet. Die Football Association organisiert die englische Premier League, die Ligue de Football professionnel die französische Ligue 1 und die spanische LFP die Liga. Die Einführung des salary cap würde bedeuten; dass jede europäische Meisterschaft sich dieser Idee anschließt – auch mit dem Risiko, dass die Stars zu Ligen abwandern, die sich dem neuen Konzept entziehen. Falls die UEFA einen salary cap für alle Mannschaften einführen würde, die an ihren Wettkämpfen teilnehmen, wäre ein mögliches Szenario die Bildung einer Gegen-Liga durch Vereine, die eine Obergrenze für ihre Gehälter ablehnen.

In Europa funktioniert der Vereinssport nach einem System von Aufstieg und Abstieg. Diese Besonderheit stellt einen wichtigen Unterschied zum amerikanischen System und ein weiteres Hindernis für die Einführung eines salary cap dar. Wie könnte die Idee einer Gehaltsobergrenze mit der europäischen Tradition verbunden werden? Müsste für die 2. und 3. Ligen ebenfalls eine - kleineres - Maximalbudget festgelegt werden?

Nächstes - nicht zu unterschätzendes - Problem: die Währung. Die meisten europäischen Clubs und Verbände benutzen den Euro, aber das ist keine Vorschrift. Und falls eine Maximalbudget auf europäischer Ebene durchgesetzt würde, gäbe es zahlreiche Probleme mit Ländern wie zum Beispiel England, Tschechien oder Russland. Von den Vereinen zu fordern, ihre Spieler in Euro zu bezahlen, während sie ihren gesamten Geschäftsablauf in der Währung ihres Landes abwickeln, wäre problematisch und würde auf Widerstand stoßen.

Schließlich sind die Steuern ein entscheidender Faktor für oder gegen die Einführung des salary cap. Bezöge die Gehaltsobergrenze sich auf das Brutto-Einkommen, wären einige Staaten deutlich im Vorteil – wie z.B. der AS Monaco. Würde die Grenze auf der Grundlage des Netto-Einkommens berechnet, müssten die Vereine in Ländern mit hohen Sozialabgaben wiederum mehr abgeben, als Vereine aus anderen Ländern.

Aber all diese Hindernisse sind nicht unüberwindlich. Die UEFA hat - dank der Anziehungskraft ihres erfolgreichsten Produkts Champions League – eine komfortable und oft unterschätzte Machtstellung im europäischen Fußball inne. Solange die C1 hohe Einkünfte aus den Fernseh-Übertragungsrechten verzeichnen kann, bleibt die UEFA in einer schwer angreifbaren Position gegenüber den Vereinen. Nicht umsonst haben die G14 ihre Pläne für die Einführung einer eigenen Liga nie umsetzen können: Die C1 ist ein Erfolg - beim Publikum und bei den Medien. Die UEFA sollte sich die Entwicklung der amerikanischen Verbände NFL, NBA und NHL zum Vorbild nehmen. Vor allem muss sie mit der Europäischen Union zusammenarbeiten um ihre Machtstellung und ihren Einfluss zu festigen. Zusammen mit der EU kann das Konzept für einen salary cap in Europa weitergedacht und Lösungen für die steuer- und währungsrechtlichen Probleme gefunden werden, die eine einheitliche Budget-Obergrenze mit sich bringen würde. Die Rolle der Europäischen Union kann hier von größter Bedeutung sein. Bis jetzt hat sich die EU im Sport auf juristische Entscheidungen wie das Bosman-Urteil beschränkt. Für die Erstellung eines gemeinschaftlichen europäischen Regelwerks im Fußball muss ihr Anteil aber signifikant ausgebaut werden.

Im Vertrag von Amsterdam wurde 1997 festgelegt: « Die Konferenz unterstreicht die gesellschaftliche Bedeutung des Sports, insbesondere die Rolle, die dem Sport bei der Identitätsfindung und der Begegnung der Menschen zukommt. Die Konferenz appelliert daher an die Gremien der Europäischen Union, bei wichtigen, den Sport betreffenden Fragen die Sportverbände anzuhören. In diesem Zusammenhang sollten die Besonderheiten des Amateursportes besonders berücksichtigt werden. »

Der Amateursport zeichnet sich durch seinen Idealismus aus. Besonders wichtig ist dabe die Chancengleichheit für alle Beteiligten. Es ist die Pflicht der Europäischen Union darüber zu wachen, dass sich der Profisport nicht zu weit von diesen Werten entfernt.

Bild : Barcelona gegen AC Mailand

Quelle : jenikilo, flickr

Anmerkungen

[1Der Autor beschreibt sich als Lyon-Fan!

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