Transferunion – eine europäische Perspektive

Die europäische Dimension und die Bedeutung von Peripherie und Zentrum

, von  Christoph Sebald

Transferunion – eine europäische Perspektive
Die Europäische Union braucht eine einheitliche Besteuerung! Tax calculator and Pen von Dave Dugdale, bestimme Rechte vorbehalten.

In Europa ist es in den letzten Jahren zu einem Steuerwettbewerb zwischen den Staaten gekommen (Abwärtsspirale), der am Ende vor allem multinationalen Konzernen und reichen Individuen (Manager + Großaktionäre) genutzt hat. Deshalb brauchen wir eine einheitliche (hohe) Besteuerung in ganz Europa, die einen angemessenen Sozialstaat ermöglicht. Die Transferunion ist essenziell, um den berechtigten Hoffnungen der jüngeren europäischen Mitgliedstaaten auf sozialen Aufstieg gerecht zu werden. Wohlstandsunterschiede stoßen auf das Unverständnis unserer europäischen Mitbürger, sind nicht länger vermittelbar und sollten durch Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Forschung mittelfristig ausgeglichen werden. Wer mit uns in einem Boot sitzt, hat ein Recht auf den gleichen, auf unseren Lebensstandard!

Tatsächlich haben die peripheren EU-Mitglieder bisher einen hohen Preis für ihren Platz in Europa bezahlt. Sie sind für die europäischen Außengrenzen verantwortlich (Schengen-Abkommen) und der grenzüberschreitende Handel zwischen ihnen und angrenzenden Nicht-EU-Mitgliedern ist erlahmt, da die Zollunion zwar den EU Binnenmarkt belebt, aber wenig durchlässige Außengrenzen hat und somit regionalen Handel an ihren Rändern eindämmt. Darüber hinaus schränken die EU Außengrenzen natürlich auch den grenzübergreifenden Personenverkehr ein. In den Grenzregionen der EU entstehen dadurch periphere Räume, die unter massiven wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu leiden haben.

Die Waren- und Personenströme in der EU verdichten sich zum Kern hin und nehmen in der Peripherie ab. Auch verlagern sie sich in Ballungszentren und ziehen sich zunehmend aus ländlichen Regionen zurück. Bleibt die EU bei ihrer derzeitigen Ausdehnung, haben periphere Staaten (v.a. im Süden und Osten der EU) keine Chance, von sich aus den Sprung zum „Staat ersten Ranges in Europa“ zu schaffen, was den Unmut ihrer Bürger langfristig entfachen und nationalistischen Strömungen Auftrieb verleihen kann. Sie sind tendenziell weniger dicht besiedelt, haben eine schlecht ausgebaute Infrastruktur und befinden sich im wenig frequentierten Raum. Ruft man sich jetzt noch ins Gedächtnis, dass ein Beitritt zur Eurozone Länder mit geringer technologischer Entwicklung tendenziell benachteiligt, Zollunion und die in den Verträgen festgelegte Preisniveaustabilität den Staaten wesentliche volkswirtschaftliche Steuerungsmechanismen raubt, so überraschen die gegenwärtigen Entwicklungen keineswegs.

Niedrige Löhne und niedrige Steuern sind nur die logische Konsequenz, um in irgendeiner Weise noch wettbewerbsfähig zu bleiben. Nun kann man natürlich einwenden, dass die Löhne gerade in den östlichen EU Staaten in den letzten Jahren stark angewachsen sind. Dies ist aber Augenwischerei, denn erstens taten sie das nicht in dem Maß, wie es mit höheren Transferzahlungen möglich gewesen wäre. Zweitens handelt es sich hier oftmals um Folgen der gesellschaftlichen Transformation vom Kommunismus hin zur Marktwirtschaft, mit der schmerzhaften Nebenwirkung des radikalen Rückbaus sozialer Sicherungssysteme, die vom Staat nicht länger gewährleistet werden können. Auch verliert man bei der Betrachtung steigender Lohnniveaus leicht die zunehmende Lohndifferenzierung sowie steigende Preise bei der Grundversorgung aus den Augen.

Nicht außer Acht lassen darf man weiterhin, dass die anhaltenden Außenhandelsüberschüsse einiger Kernstaaten durchaus mit den anhaltenden Leistungsbilanzdefiziten der Peripheriestaaten zusammenhängen. Leistungsbilanzdefizite setzen die öffentlichen Finanzen zusätzlich unter Druck, was sich wiederum oftmals auf die Sozialpolitik auswirken kann. Massive Investitionen wären nötig, um diese unhaltbare Situation zu überwinden, doch diese können die Peripheriestaaten, die kaum über eigenes Kapital verfügen nicht schultern. Die Transferunion, sie wäre der nötige Anfang.

Schließlich haben vor allem die östlichen Mitgliedsländer durch Deregulierungs- und Privatisierungsmaßnahmen einen drastischen gesellschaftlichen Wandel vollziehen müssen, der das soziale Gefüge ihrer Staaten enorm belastet hat. Die Akzeptanz der Bürger dieser Staaten für das „westliche“ Demokratiemodell hat darunter stark gelitten. Es gilt, diese Menschen durch einen sozialen Aufstieg für „westliche Werte“ und eine europäische Gesellschaft zu gewinnen. Auch der soziale Friede hat seinen Preis, doch er ist es vor dem Hintergrund europäischer Errungenschaften (Friede, grenzfreier Raum, Wohlstand und Sicherheit) allemal wert.

Man muss im Lichte dieser Entwicklungen die Rollen der „europäischen Transfergesellschaft“ neu besetzen. Die europäischen „Zahlmeister“ sitzen in der europäischen Peripherie und wir als Kerneuropa profitieren in puncto Sicherheit und Wohlstand über alle Maßen. Der Parasit sind wir!

Serie: Die Transferunion ist nicht genug

Den gesamten Dezember lang widmet sich Christoph Sebald jeden Freitag dem Thema Transferunion.

Ihr Kommentar
  • Am 18. Dezember 2011 um 13:08, von  Niklas Als Antwort Transferunion – eine europäische Perspektive

    Also ich bin mal wieder mit dem Tenor der Schuldzuweisung an Deutschland nicht einverstanden. Vielmehr sind alle irgendwie schuld daran. Zudem habe ich mehrere kritische Fragen:

    1. Was bringen Deutschland die enormen Leistungsbilanzüberschüsse, wenn sie dafür nur Vermögensansprüche erhält, die nichts wert sind? Derzeit türmen sich in der Bundesbank Kreditrisiken von bis zu 300 Milliarden Euro, die letztlich per Rekapitalisierung vom deutschen Steuerzahler zu tragen wären.

    2. Wie sollen den die Leistungsbilanzungleichgewichte ausgeglichen werden, wenn nicht über die Lohnstückkosten, d.h. eine Verbilligung in solchen Ländern? Der Vergleich mit Ostdeutschland ist hier ein wenig irreführend, da hier nur 20 % der gesamtdeutschen Bevölkerung leben, zweitens hier immernoch erheblich Geld benötigt wird und sich das Verhältnis Zentral- und Peripherie ganz anders darstellt. Deutschland kann das Geld nur einmal ausgeben, um es mal provokant zu sagen. Wenn Deutschland krankt, dann krankt auch der Rest von Europa.

    3.Dieser Punkt habe ich schon mehrmals erwähnt: Bist du nicht zu blind für die strukturellen Probleme in solchen Ländern? Brauchen wir nicht den Druck der Märkte oder eben der europäischen Geldgeber, um diese Länder dazu zu bringen, ihre Systeme so aufzubauen, dass ein effizienteres und somit auch gerechteres Staatswesen entstehen kann? Wo ist bei dir die Skepsis gegenüber der Politik.

    Ich bin für eine Transfernunion in Maßen. Dann aber nur von reichen in arme Länder und nicht von soliden Staaten zu Staaten, die die Regeln brechen.

    Schönen 4. Advent Niklas

  • Am 18. Dezember 2011 um 18:09, von  Christoph Als Antwort Transferunion – eine europäische Perspektive

    Hallo Niklas,

    vielen Dank für deine Nachfragen, die ich natürlich so gut wie möglich zu beantworten versuche. Du schreibst, dass du mit dem Tenor der Schuldzuweisung an Deutschland nicht einverstanden bist. Da hast du allerdings was hineingelesen, das so gar nicht im Artikel steht. Im Artikel ist nur von Kerneuropa und Peripherieeuropa die Rede. Sowohl in den technologisch fortschrittlicheren Kernstaaten, als auch in den Peripheriestaaten gibt es Kritikpunkte, da würde ich dir nicht widersprechen.

    Zu 1.: Das ist ja gerade das Traurige, dass die anhaltenden Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite am Ende des Tages niemandem wirklich nützen, weshalb es ja doppelt angebracht wäre, sie zu minimieren. Inwieweit man sie ganz ausgleichen kann, sei einmal dahingestellt.

    Zu 2.: Mit (endlich mal wieder) steigenden Löhnen in den Kernstaaten, allen voran Deutschlands. Damit würde man auch noch die Binnennachfrage und eventuell sogar die Gesamtwirtschaft beträchtlich ankurbeln. Den zweiten Teil der Frage verstehe ich nicht, da im Artikel von Ostdeutschland eigentlich gar nicht die Rede ist. Vielleicht kannst du da noch einmal präzisieren?

    Zu 3.: Dieser Punkt ist sehr wichtig und nein, ich bin nicht blind dafür. Im 5. Teil der Serie wird eben jenes Problem auch zur Sprache gebracht werden. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, diesen Aspekt schon an früherer Stelle einzubauen, aber bisher ging es mir noch um die andere Seite der Medaille. Die strukturellen Probleme finde ich jedenfalls gravierend und sie sind keinesfalls zu vernachlässigen.

    Ich halte es für besser, wenn politische Entscheidungen auf politischem Druck beruhen, anstatt auf dem Druck der Märkte. Märkte sind für mich keine legitimen politischen Akteure, ihren „Druck“ halte ich für gefährlich, weil er bisher vor allem eine sozial unausgewogene Politik befeuert hat. Der Druck der Märkte führte bisher nur zu überhasteter Flickschusterei, aber nicht zu tragbaren Lösungen. Mein Argument an dieser Stelle lautet: Der Anreiz für Staaten ihr politisches System zu modernisieren muss mit Transferleistungen einher gehen, welche es ihnen ermöglichen, die schwierigen gesellschaftlichen Reformen möglichst sozialverträglich und mit einer langfristigen Perspektive auf einen stabilen Wohlstandzuwachs umzusetzen.

    Beim effizienten Staatswesen bin ich sehr vorsichtig. Natürlich sollte durch die öffentliche Hand nicht nutzlos Geld verschwendet werden. Viele gesellschaftliche Leistungen sind in meinen Augen in der öffentlichen Hand jedoch deutlich besser aufgehoben. Energieversorgung, Gesundheitswesen, Bahn, Netze, eben alles, was Menschen für eine Grundversorgung benötigen. Dafür sind aber höhere Steuern notwendig und auch die Reduzierung des exorbitant angewachsenen privaten Kapitals, das in seinen enormen Ausmaßen zu einem Gutteil nutzlos in Spekulationsblasen verschleudert wird, weil es nicht mehr genügend Anlagemöglichkeiten in der Realwirtschaft gibt oder diese geringere Gewinnmargen erhoffen lassen.

    Du hast natürlich recht, auch gegenüber der Politik muss man skeptisch sein und eines der großen Probleme unserer Zeit ist die Frage, wie wir die Kontrolle der politischen Entscheidungsträger durch das Wahlvolk erhöhen und ihr Handeln wieder näher an das Gemeinwohl heranführen können. Aber immerhin besteht bei der Politik die Möglichkeit verwerfliches Handeln mehr oder minder zuzuordnen und zu sanktionieren. Diese Möglichkeit ist mir als Bürger bei privaten Akteuren schlicht und einfach NIE gegeben – und das ist ein Riesenproblem. Daher rührt auch meine enorme Skepsis gegenüber privaten Akteuren, die für mich in Sektoren von allgemeinem öffentlichen Interesse nichts verloren haben. Das wäre dann noch einmal ein anderes Fass.

    Danke noch einmal für die Nachfragen. Dir ebenfalls einen schönen 4. Advent Chris

  • Am 20. Dezember 2011 um 12:30, von  Niklas Als Antwort Transferunion – eine europäische Perspektive

    Der Hinweis auf Ostdeutschland wird ja generell in der Debatte gebracht. Mein Hinweis ist dann doch klar: Er stell die generelle Wirksamkeit der Transferzahlungen in Frage, d.h. das Deutschland und die nördlichen Länder gar nicht soviel aufbringen könnten... Auch Lohnsteigerungen in Deutschland, die ja ohnehin derzeit automatisch passieren und im Übrigen gar nicht sosehr fociert werden können, dürfte nicht zu Wundern führen und die Nachfrage nach griechischen Produkten nicht in die Höhe schnellen lassen. Was ich damit sagen will: Einsparungen und billigere Löhne müssen die Länder in jedem Fall in Kauf nehmen. Nur so können doch die Ungleichgewichte behandelt werden (Zuviel Transferzahlungen würden die doch eher aufrecht erhalten!). Ferner heißt Effizienz nicht gleich Privatisierung! Und zum politischn Druck: Geht unsere Generation wegen den heutigen Schulden auf die Straße? Ist Berlusconi aufgrund dem Druck der Italiener zurück getreten? In Griechenland hat auch nie jemand etwas gesagt! Und die Kommission - selbst wenn sie mehr Rechte bekommen muss! - wird nicht alles machen können! Achja langfristige Maßnahmen, finde ich super. Wenn die Politik die treffen würde, dann würden das ja die Märkte nicht sanktionieren! Also Tranferzahlungen zu einem gewissen Teil, Regulierung der Finanzmärkte auf jeden Fall wichtig, kein Frage: aber dieses ganze marktkonforme Demokratiegerede hat mir einfach zuviel an Selbstgerechtheit und moralisierender Besserwisserei. Bin heute nach Bielefeld gefahren: Hier in der Lokalpresse war auch schon wieder so nen Kommentar von sonem naseweisen Schriftsteller... Steht der da mit seinem lockigen Haaren und regt sich über die Märkte auf. Und gleichzeitig kauft der mit seinem Ersparten wahrscheinlich auch keine Staatsanleihen mehr!

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