Machiavelli in Aktion: Sarkozy nutzt die Libyenkrise zur Rettung seiner Außenpolitik

Ein Hintergrundbericht von unserem Korrespondenten in Paris

, von  Frank Stadelmaier

Machiavelli in Aktion: Sarkozy nutzt die Libyenkrise zur Rettung seiner Außenpolitik
Sarkozy will sich außenpolitisch profilieren Collage von Vincent: Sarkozy-Bild von Wilson Dias/Abr, bestimmte Rechte vorbehalten; freigestelltes Fliegerbild von Arnaud Gaillard, bestimmte Rechte vorbehalten; Gaddafi-Bild von Ricardo Stuckert/PR, bestimmte Rechte vorbehalten

Anfang des Jahres, vor der Libyen-Krise, die UMP-Regierung von Premier François Fillon ist in arger Not, ausgerechnet durch eine miserable Außenpolitik, ausgerechnet in der prioritären Region der politique arabe. Die Situation bleibt zwangsläufig auch an Präsident Sarkozy hängen, da es ihm wie keinem seiner Vorgänger in der fünften Republik gefällt, sich in den Tagesgeschäften der Regierung zu tummeln. Die Schlinge der diplomatischen Blamage ist dabei, sich enger und enger zu ziehen: die französische Tunesienpolitik, ehemaliges Protektorat und zweite Heimat – qua doppelter Staatsbürgerschaft oder Feriendomizil – einer Reihe von Politikern rechts wie links, gerät mit der Jasminrevolution in starke Bedrängnis. Vorneweg das Verhalten der Außenministerin Michèle Alliot-Marie, einmal abgesehen von den starken Banden zwischen Paris und den nordafrikanischen Autokratien in den letzten Jahren und Jahrzehnten.

Die unglaubliche Geschichte einer inkompetenten Außenministerin…

Alliot-Marie („MAM“) war in der Vorweihnachtszeit zum Familienurlaub nach Tunesien gereist, ihre Eltern hatten bei der Gelegenheit dort sogar ein Haus gekauft. Alles ganz normal? Nun ja, zum Zeitpunkt ihres Aufenthaltes vor Ort hat sich Mohamed Bouazizi bereits dem freiwilligen Feuertod übergeben und damit die tunesische Revolution ins Rollen gebracht – was Alliot-Marie später bestreitet. Es stellt sich zudem heraus, dass sie kostenfrei den Privatjet eines Ben Ali nahe stehenden tunesischen Geschäftsmannes, Mittler auch für den Immobilienkauf, genutzt hat. Ihr ursprünglicher Kommentar zu all dem: in den Ferien sei sie ja nicht Außenministerin. Kurze Zeit später verbessert sie, sie sei 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr Vertreterin der Republik, verwickelt sich aber in weitere Widersprüche. Damit nicht genug. Alliot-Marie bietet am 11. Januar, drei Tage vor dem Sturz Ben Alis und mitten in den Revolutionswirren, vor der französischen Nationalversammlung dem Regime Ali das savoir-faire der französischen Sicherheitskräfte an. Wer dabei an Deeskalation denkt, hat noch nie an einer umstrittenen Demo in Frankreich teilgenommen… Entsprechend entsetzt die öffentliche Reaktion in Frankreich, aber auch im frankophonen Tunesien. Eine von „MAM“ autorisierte Ladung Tränengasgranaten wird schlussendlich vom französischen Zoll aufgehalten. Kurz: eine Bankrotterklärung für die traditionell stark symbolbasierte französische Außenpolitik inmitten der tunesischen Jasminrevolution.

…und eines noch inkompetenteren Botschafters, sowie eines indisponierten Premierministers

Am 16. Februar tritt der neue französische Botschafter, Boris Boillon, seinen Dienst in Tunis an. Seine Mission: die Scherben aufkehren, gute Beziehungen zur Übergangsregierung aufbauen. Doch ach: keine 24 Stunden braucht der Sarkozy nahestehende „Diplomat“, um tunesische Journalisten zu beleidigen (immerhin nicht nur in aufreizend saloppem Französisch, sondern auch in fließendem Arabisch) und Demonstrationen vor der französischen Botschaft und auf facebook auszulösen, die seinen Rücktritt fordern. Das Debakel geht weiter… Inzwischen hat sich die Revolution auf Ägypten ausgedehnt, das zweite nordafrikanische Land, das einen politischen Frühling erlebt, und außerdem – oh böses Schicksal! – Ziel der Silvesterferien François Fillons war, während derer der Premier ausgerechnet einen Jet Mubaraks genutzt hat, um sich innerhalb des Landes zu bewegen. Ergebnis: die Lage wird für die Regierung unhaltbar, ein Opfer muss her: nicht Boillon, das Abziehbild Sarkozys, sondern Alliot-Marie, der mittelgroße Fisch, wird geopfert.

Sarkozy setzt auf Juppé als Feuerwehrmann…

Der Präsident gibt am 27. Februar eine Fernsehansprache im großen Stil, in der er eine Regierungsumbildung verkündet, die Michèle Alliot-Marie – ohne die zuvor „Zurückgetretene“ noch einmal beim Namen zu nennen – durch Alain Juppé ersetzt. Juppé, erst Mitte November als Verteidigungsminister ins Kabinett und damit zum starken Mann neben Fillon berufen, steigt damit nicht nur zum Retter der traditionsreichen französischen Außenpolitik auf, sondern auch zum Retter Sarkozys. Es bleibt nicht unbemerkt, dass der Präsident der rupture (des „Bruchs“) mit der Berufung dieses erfahrenen, trotz einiger Skandale allseits respektierten Politikers alten Stils ausgerechnet auf einen Weggefährten seines alten Intimfeindes Chirac setzt, um sein Image bis zu den Präsidentschaftswahlen 2012 aufzubessern. Im „Canard enchaîné“ erscheint eine Karikatur, die einen schlaffen Sarkozy zeigt, im unsicheren Huckepack auf einem fitten Juppé – Kommentar: „Hüa! Vorwärts für 2012!“ Treffend.

…und stutzt ihn auf ein verträgliches Maß zurecht

Die Außenpolitik am Boden, Sarkozy abhängig von einem mächtigen Juppé, dessen Loyalität aus der Sicht des Präsidenten nicht über jeden Zweifel erhaben sein kann… In dieser Situation spitzt sich die Lage in Libyen zu, Kadhafi zwingt der Revolution die Logik der Gewalt auf, ist dabei, Stadt für Stadt zurückzuerobern. Sarkozy ist sich mit dem ebenso prominenten wie berüchtigten Talkshowphilosophen Bernard-Henri Lévy („BHL“) einig, dass die Gegenregierung in Benghazi anerkannt und militärisch unterstützt werden muss. Während Juppé in der Sache wohl beginnt, ähnlicher Meinung zu sein, muss er sich durch Sarkozys Kommunikation vor den Kopf gestoßen sehen: der Präsident macht seine Position in Paris öffentlich, dazu inoffiziell sekundiert von eben jenem umtriebigen Bernard-Henri Lévy, als Juppé im europäischen Ministerrat in Brüssel just dabei ist, die französische Position mit den Partnern hinter verschlossenen Türen abzustimmen. Juppé, düpiert, beschränkt sich darauf, für einen weiteren solchen Vorfall mit Rücktritt zu drohen – aber auch nur „laut Quellen aus seiner Umgebung“, also nur halb-öffentlich. Bravo, Sarko! Die Situation ist gerettet, der Präsident ist wieder Herr des Geschehens, der bedrohlich stark gewordene Juppé ist in die Schranken gewiesen, kümmert sich aber weiter höchst kompetent um die Reparatur der für das Eigenverständnis der Republik so wichtigen Außenpolitik. Nun muss man die Sache mit Libyen nur noch durchhalten.

Libyen bietet die Gelegenheit zum großen außenpolitischen Befreiungsschlag…

Sarkozy kann zufrieden sein: die Affäre Libyen entwickelt sich tatsächlich bestens. Der Initiative der Franzosen folgt eine entsprechende Sicherheitsratsresolution, geprägt durch die Handschrift des wieder kompetent geleiteten Quai d’Orsay; die französische Diplomatie spielt die Führungsrolle, die Briten die zweite Geige, die USA halten sich zurück, die Deutschen blamieren sich – Sarkozy kann den so imminent wichtig gewordenen großen internationalen Erfolg im Namen der Menschenrechte und der Freiheit der arabischen Völker feiern. Wie die Sache vor Ort weitergeht ist eine offene Frage, die später beantwortet werden kann. Wirklich? Ist an alle Eventualitäten des Einsatzes gedacht? Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, wie erfolgreich Sarkozys Intervention sein wird. Und es ist auch noch nicht ganz vergessen, dass Sarkozy Kadhafi, der 2007 in der Nachbarschaft des Elysée-Palastes sein Zelt aufschlagen durfte, ursprünglich sogar Atomtechnik verkaufen wollte.

…der innenpolitisch für Sarkozy vorerst nichts einbringt

Bisher ist der außenpolitische Coup des Präsidenten ein Erfolg – der ihm innenpolitisch nichts nützt. Der durch den Führungswechsel von Jean-Marie an Tochter Marine Le Pen verjüngte Front National legt am 20. März in der ersten Runde der Kantonalwahlen wie erwartet massiv zu, linke Splittergruppen und Grüne schneiden respektabel ab, die Sozialisten führen. Die UMP liegt durchschnittlich bei kläglichen 17 Prozent. Jüngste Umfragen legen nahe, dass Sarkozy sich bei den nächsten Präsidentschaftswahlen gar Sorgen um den Einzug in die Stichwahlen machen muss: laut einigen Ergebnissen würde er in der ersten Runde geschlagen vom (noch unbekannten) Kandidaten der Sozialisten sowie von Marine Le Pen. Es ist zwar zu früh, eine ernsthafte Prognose für 2012 abzugeben, aber es scheint bislang, als ob Alain Juppé und eine revitalisierte Außenpolitik alleine den angezählten Sarkozy nicht retten können.

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