Sie sind bereits bis in die Regierungen von Polen und der Slowakei vorgedrungen. In Belgien (Flandern) und in Österreich wurden die wichtigsten Parteien zur Bildung einer großen Koalition gezwungen, um ihnen so den Weg an die Macht zu versperren.
In Ostdeutschland sind sie in drei der sechs Landtage vertreten. [1] In Großbritannien ist ihnen bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 2006 ein spektakulärer Durchbruch gelungen.
In Ungarn haben sie kürzlich die Menschen auf die Straße getrieben: in der Hoffnung, die rechtmäßig gewählte Regierung zu stürzen. In Bulgarien, in Rumänien und in Frankreich haben sie unter Führung ihrer charismatischen Leader wie Volen Sidérov, Vadim Tudor oder Jean-Marie Le Pen die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen ihres Landes erreicht. Sie sind da.
„Etwas ist faul im Staate Europa“
Ihre Parolen dröhnen von West nach Ost: „Unser Volk zuerst“, fordert der ‚Vlaams Belang’, „Für ein ethnisch reines Slowenien“, donnert die slowenische SNS, „Gebt Bulgarien den Bulgaren zurück“, hämmert die Partei ‚Ataka’ in Sofia, „Wir wählen Polen“, trötet die ‚Liga Polnischer Familien’… Und so sitzen in den nationalen Parlamenten von zwölf der 27 EU-Mitgliedstaaten Abgeordnete der extremen Rechten.
Zur Zeit vereinen sie regelmäßig zehn bis 15% (und manchmal sogar bis zu 20%) der Wählerstimmen ihres Landes auf sich: 11,3% erhielt der ‚Front National’ [2], 11,5% bekam die litauische Partei ‚Ordnung und Gerechtigkeit’ [3], 11,7% verzeichnete der ‚Vlaams Belang’ [4], 12% der slowakische Nationalpartei ‚SNS’ [5], 13% die ultranationalistische rumänische Partei ‚Romania Mare’, 13,2% die ‚dänische Volkspartei’ [6]und 15,5% das nationalistische österreichische Paar ‚FPÖ-BZÖ’. [7] Und an der Spitze die national-klerikalen und populistischen polnischen ‚LPR’ und ‚Samoobrona’ [8], die fast 20% der Stimmen einheimsten.
Wie der bulgarische Intellektuelle Ivan Krastev vor kurzem schrieb, scheint Europa ein „kleines Frankreich“ geworden zu sein: verwirrt, unzufrieden, unvorhersehbar, antiliberal, mit einem offenbar von linken Populisten und rechtsextremen Nationalisten dominierten politischen Geschehen. Ein ‚populistischer Cocktail’, der Antiliberalismus, Nationalismus, kulturellen Konservatismus und Kritik an zu hohen Sozialausgaben vermischt [9].
Ähnliche Thematiken
Auch wenn Ursprung, Merkmale und Hauptthemen von Land zu Land variieren, teilen diese ultranationalistischen Parteien gewisse Leitideen: Rückkehr zu einem starken Staat mit „nationalen“ Traditionen und zu einer gewissen Moralordnung, Verurteilung der „korrupten Eliten“, Rückwendung zur ‚nationalen Präferenz’ und Ablehnung des ‚Fremden’ sowie Infragestellung der Europäischen Union (sie wird als technokratische und staatenlose politische Struktur denunziert, als unterdrückend verurteilt und als illegitim wahrgenommen).
Dieser Nationalpopulismus wird von der demokratischen Desillusionierung und der wirtschaftlichen und sozialen Malaise der europäischen Gesellschaften genährt. Er wächst auf dem Boden des Zweifels, der Sorge und der Angst. Zweifel an den Leistungen der Demokratie und in Bezug auf die Fähigkeit unserer Politiker, auf die Herausforderungen der Gegenwart zu reagieren. Sorge hinsichtlich der Phänomene der heutigen Welt, die allesamt als Bedrohungen wahrgenommen werden: Immigration, Massenarbeitslosigkeit und -armut, vermeintliche Korruption der politisch Verantwortlichen. Und die existentielle Furcht vor der drohenden Akkulturation, die unsere kollektiven Identitäten erdrücken werde.
Dieses Wiederaufleben des Nationalismus ist Ausdruck einer sehr großen ökonomischen und sozialen Schwäche, die unsere europäischen Gesellschaften heute – in unterschiedlichem Ausmaß – prägt: im Kontext der unregulierten wirtschaftlichen Globalisierung lässt der Übergang zu einem post-industriellen Kapitalismus ganze Teile sozialer Schichten ohne Arbeit und wirkliche soziale Sicherheit. Und seitdem sich die postkommunistische Linke mit dem gemäßigten Lager zusammengeschlossen hat, sind die ‚systemfeindlichen’ Parteien zum einzigen Raum geworden, wo moralische Revolte und Ablehnung der Konsequenzen des wirtschaftlichen und sozialen Wandels noch zum Ausdruck gelangen können.
Den Gemäßigten geht die Luft aus. Platz für die Radikalen
Demokratie, Europa, Marktwirtschaft und NATO bieten – so die Radikalen – keine Antwort auf die Probleme der Arbeitslosigkeit und Armut, auf den schwachen und korrupten Staat, auf die Ungerechtigkeiten und die Schwierigkeiten, die die wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen begleiten. Die Aussagen der gemäßigten Parteien zum ‚geringeren Übel’, zu den ‚schwierigen Entscheidungen’, zum ‚zu zahlenden Preis’ und zur akzeptablen ‚Dosis Entsittlichung’, die man tolerieren muss, um die gesetzten Ziele zu erreichen: all das überzeugt den Durchschnittsmenschen nicht mehr.
Und das Kapital Vertrauen, das bisher den Gemäßigten zugeschrieben wurde, hat nun ausgedient und trägt so zum Anwachsen der Popularität der Radikalen bei. Daher rührt – laut einer Analyse, die kürzlich vom polnisch-französischen Politologen Aleksander Smolar [10] entwickelt wurde – die Vorherrschaft eines Diskurses, der die Stärkung des Staates (und die Pflichten gegenüber seinen Bürgern) vor dem Hintergrund der nationalistischen Forderungen und eines patriotischen Diskurses mit dem Ziel, ‚den Menschen Würde und Gemeinschaftssinn zurückzugeben’, predigt.
Unter ihren gemeinsamen Leidenschaften: Fremdenfeindlichkeit und Rassismus vor dem Hintergrund der Ablehnung der schwarzen Einwanderer-‚Parasiten’ und der Angst vor einem politisch radikalen Islamismus. Ein Diskurs klarer Ablehnung, der alle Tabus des letzten halben Jahrhunderts umstößt und verwirft. Die slowakischen Nationalisten verlangen die Sterilisierung der Zigeuner und ihre rumänischen Homologen gehen, ohne weitere rhetorische Vorsichtsmaßnahmen, soweit, ihre physische Auslöschung zu fordern…
Bedrohte Union, bedrohtes Europa
Bislang konnte sich glücklicherweise keine dieser extremistischen Formationen in freien Wahlen durchsetzen wie es die nationalsozialistische Partei Hitlers zu Beginn des Jahres 1933 geschafft hat. Keiner von ihnen ist es gelungen, die Macht zu erobern. Dafür ist es ihnen gelungen, das komplette politische Prisma ihres jeweiligen Landes zu verseuchen.
Und auch wenn sie nicht an der Regierung beteiligt sind (oder nicht im Parlament vertreten wären), gewinnen sie peu à peu an Boden, durchdringen die Gesellschaft und tragen zur Radikalisierung des politischen Geschehens bei und untergraben so die Grundlagen der Union…
Und wie steht es um Europa? Wird Europa es ermöglichen, diesen Ausdrucksweisen eines Neonationalismus, der einem anderen Zeitalter entstammt, das wir – zu Unrecht – als vergangen glaubten, Einhalt zu gebieten? Oder wird es der Ort sein, an dem diese politischen Kräfte aufeinander treffen?
Und wie sieht es im Europäischen Parlament aus?
Seit einigen Wochen wird gemurmelt, dass verschiedene Kontakte zwischen den politischen Führungen der unterschiedlichen Gruppierungen geknüpft wurden mit dem Ziel, vom bevorstehenden Einzug der extremistischen rumänischen und bulgarischen Abgeordneten von PRM und Ataka zu profitieren und eine echte parlamentarische Fraktion der extremen Rechten im Europaparlament zu gründen [11].
Und es ist wahr, dass sie seit ihrer letzten Wahl im Juni 2004 noch nie so zahlreich waren im Straßburger Parlament. Die große Überraschung der Europawahlen vom Juni 2004 war genau diese hohe Zahl euroskeptischer (wenn nicht gar dem europäischen Projekt feindlich gesinnter…) Abgeordneter. Sie ‚vereint’ dieselbe Verteufelung eines als fern, technokratisch, der Globalisierung offen gegenüber stehend und Massenarbeitslosigkeit fördernd diffamierten Europas: heimatlos und unterdrückend.
Dennoch haben die ‚europafeindlichen’ Abgeordneten als Mitglieder einer uneinheitlichen und disparaten ‚Gruppe’, die den Großteil ihrer Zeit damit verbringen, ihre Aufspaltungen auszutüfteln (sie sind bereits in drei verschiedene parlamentarische Gruppen aufgesplittert [12]…), zur Zeit Schwierigkeiten, ihre Stimme im Europäischen Parlament, das sich mehrheitlich aus überzeugten Europäern zusammensetzt, zu Gehör zu bringen. Dem Abgeordnetenhaus fällt es tatsächlich schwer, sie ernst zu nehmen…
Da die extremistischen Europaparlamentarier untereinander nicht ausreichend Gemeinsamkeiten besitzen, ist es ihnen bislang weder gelungen, in Straßburg eine gemeinsame Fraktion zu gründen noch gemeinsame Handlungsstrategien zu definieren oder einen wirklichen politischen Einfluss zu erlangen. Aber ganz ehrlich, wer – außer ihnen selbst – wird sich darüber beschweren?
Es ist weiterhin so, dass sich die Ultranationalisten an den sozialen und identitätsstiftenden Schwächen der heutigen Gesellschaften stärken und zu einer Radikalisierung der politischen Diskurse beitragen. Auf diese Weise untergraben sie die Grundlagen einer europäischen Gemeinschaft, die seit ihrem Beginn transnational und von vormaligem Identitätsbeharren losgelöst sein sollte.
So beeinflussen sie die Entwicklung einer europäischen Debatte, in der man schließlich nie so viel von Identitäten und ‚Grenzen’ gesprochen hat, wie in den vergangenen Jahren. Angesichts dieser Bedrohung der Fundamente des europäischen Projekts sind wir aufgerufen, uns wachsam zu zeigen. Und dies mehr denn je.
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