Noch immer am Abgrund (II)

Vier Griechenland-Szenarien.

, von  Ben, Mitarbeit Vincent Venus

Noch immer am Abgrund (II)

Am 9. Mai haben die europäischen Finanzminister einen beispiellosen Rettungsschirm für illiquide Mitglieder der Eurozone beschlossen – Kredite im Gesamtwert von 750 Milliarden Euro sollen im Notfall zur Verfügung stehen. Ist damit die Krise vorerst gebannt, wie Mark Schieritz (Die Zeit) meint [1]? Oder wird der Hedgefondsmanager John Taylor Recht behalten, und der Euro gleicht einem geschlachteten Huhn, das „noch einige Minuten kopflos umherrennt, bevor es umkippt und stirbt“ [2]?

Dies ist der zweite Teil einer ausführlichen Bestandsaufnahme Griechenlands und zeichnet vier Zukunftsszenarien für das Land und den Euroraum. Gestern erschien der erste Teil des Artikels, in dem die aktuelle Lage analysiert wurde. Aus der gestern geschilderten Lage ergeben sich vier Szenarien.

Szenario 1

Mit weiterer EU-Hilfe gelingt die Haushaltskonsolidierung in Griechenland nach den Plänen des IWF.

Vorraussetzung dafür ist eine konjunkturelle Entwicklung in Griechenland, die den radikalen Sparmaßnahmen der Regierung einigermaßen standhält. Zu diesem Zweck wären zum Beispiel ein stärkeres Engagement der Europäischen Investitionsbank und eine vorgezogene Umsetzung von Projekten des Europäischen Strukturfonds hilfreich. Auch eine Umschichtung des Arbeitgeberanteils der Sozialabgaben auf die Mehrwertsteuer, wie sie Cavallo und Cottani (2010) vorschlagen [3] könnte viel dazu beitragen, die im europäischen Vergleich zu hohen Arbeitskosten wieder auf ein konkurrenzfähiges Niveau zu senken. Außerdem spricht Vieles dafür, dass eine Stabilisierung Griechenlands ohne eine expanisivere Geldpolitk der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht gelingen kann [4] – der Einstieg in den direkten Handel mit Staatsanleihen ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.

Szenario 2

Portugal, Irland und Spanien gelingt es, ihre Staatshaushalte zu stabilisieren; Griechenland dagegen erlebt eine Phase der Deflation mit schwacher konjunktureller Entwicklung und hohen Defiziten. Nach einigen Jahren erkennen alle Beteiligten die Ausweglosigkeit der Lage und Griechenland zahlt zumindest einen Teil seiner Schulden nicht zurück [5].

In diesem Fall müssten die griechischen und wohl auch einige europäische Banken verstaatlicht und rekapitalisiert werden [6]; ein Teil des unter dem Rettungsschirm verliehenen Geldes wäre wohl auch verloren. Zudem hätten Griechenland und auch andere Länder der Eurozone es wohl in Zukunft schwerer, sich am Kapitalmarkt günstig mit Geld zu versorgen, wenn das Tabu der Nichteinhaltung von Zahlungsverpflichtungen einmal gebrochen wäre.

Szenario 3

Innerhalb einiger Monate wird der griechischen Regierung klar, dass ihre Sparpläne undurchführbar sind, und sie erkennt als einzigen Ausweg die Restrukturierung der Schulden und den Austritt aus dem Euro. Portugal, Irland und Spanien werden durch den Rettungsschirm aufgefangen.

Eine solche Entwicklung wäre zwar eine unglaubliche Blamage für die EU, hätte aber wohl auch kaum schlimmere Folgen als Szenario 2; im Gegenteil wären die Gesamtverluste für die Gläubiger Griechenlands wohl geringer. Griechenland selbst stünde die „Mutter aller Finanzkrisen“ bevor, wie Eichengreen (2007) [7] schreibt: Investoren würden einen Kursverfall der „neuen“ Drachme gegen den Euro voraussehen und entsprechend ihr Kapital von griechischen Banken abziehen – also müssten die Kapitalmobilität beschränkt und insolvente Banken verstaatlicht werden [8]. Am Ende könnte Griechenland allerdings auf eine durch Export (bzw. Tourismus) getragenes Wirtschaftswachstum zählen; auch die sozialen Kosten wären damit wohl geringer als in Szenario 2.

Szenario 4

Die Griechenlandkrise entwickelt sich wie in Szenario 2 oder 3, doch Portugal und dann auch Irland, Spanien und möglicherweise Italien werden von den Finanzmärkten in die Zahlungsunfähigkeit getrieben und/oder verlassen den Euro. In Paul Krugmans Worten: Anno Domini 2010 wird zu Anno Domino.

Das ist das worst case scenario für alle Beteiligten und wäre wohl das Ende des Euro, wie wir ihn kennen. Die finanziellen Kosten wären auch für Deutschland enorm; je nach Politik der EZB wären außerdem ein sehr niedriger Eurokurs und eine jahrelange Rezession in ganz Europa die Folge. Auch eine Deflationsfalle à la Japan wäre nicht auszuschließen.

Bewertung

Alle diese Szenarien sind unattraktiv und beinhalten Risiken. Szenario 4 ist allerdings sicherlich das ungenießbarste von allen. Als überzeugte Europäer hoffen wir bei Treffpunkt Europa natürlich auf Szenario 1; realistisch betrachtet kann man allerdings auch die drei anderen Szenarien nicht ausschließen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass durch den neuen Rettungsschirm Szenario 4 kaum noch möglich ist – ohne weitere Hilfen ist aber auch Szenario 1 eher unwahrscheinlich.

Wie auch immer die Krise ausgeht: Klar ist, dass der Euro aus rein volkswirtschaftlicher Sicht ein Fehler war, wie viele Ökonomen schon vor seiner Gründung vorausgesagt haben. Doch an dieser Entscheidung lässt sich heute nichts mehr ändern. Deshalb gilt es, die europäische institutionelle Landschaft so zu verändern, dass Krisen wie die jetzige in Zukunft verhindert werden können. Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, sind dafür sowohl neue supranationale Institutionen, als auch eine höhere Arbeitskräftemobilität innerhalb Europas notwendig (vgl. Chronik eines angekündigten Todes). Laut Harvard-Professor Dani Rodrik allerdings, sollten wir eine noch allgemeinere Lektion lernen: Tiefgreifende zwischenstaatlich wirtschaftliche Vernetzung, nationale Souveränität und Demokratie sind nicht miteinander vereinbar. Dies, so Rodrik, ist das politische Trilemma der Weltwirtschaft: Von diesen drei Zielen sind nur zwei gleichzeitig erreichbar. Wenn wir die Demokratie bewahren und uns nicht zum Spielball der Finanzmärkte machen wollen, müssen wir entweder supranationale Institutionen akzeptieren oder sowohl den Euro, als auch die globale Mobilität von Kapital aufgeben [9].

Titelbild

euro symbol von loop_oh, unter: CC-Lizenz.

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