Merkels Mandat für Europa

, von  Marcel Wollscheid

 Merkels Mandat für Europa
Im Deutschen Bundestag beginnt nun das große Stühlerücken. Vor allem für die Union müssen mehr Plätze geschaffen werden. Foto: © Arne Bevaart: „Bundestag“, https://www.flickr.com/photos/arnebevaart/4008790588/, Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Generic: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Nach einem triumphalen Ergebnis bei der Bundestagswahl steht Angela Merkel vor einer dritten Amtszeit als Bundeskanzlerin. Die Wahl ist ein Vertrauensbeweis der deutschen Bevölkerung, aber auch ein starkes Mandat für die Politik der Kanzlerin. Merkel steht am Zenit ihrer Macht. Was bedeutet das Wahlergebnis für den europapolitischen Kurs Deutschlands - und wie sieht Angela Merkels Plan für Europa aus?

Angela Merkel ist auf dem Höhepunkt ihrer Macht angekommen. Mit ihrer Christlich-Demokratischen Union kratzte die Kanzlerin bei der Bundestagswahl an der absoluten Mehrheit. 41,5 Prozent der Stimmen gingen an die Union - das hatten selbst kühnste Optimisten nicht erwartet. Es ist ein ganz persönlicher Erfolg für die Bundeskanzlerin. Denn Merkel, gleichwohl beliebt bei den Deutschen, konnte ihre Partei bislang nicht mitziehen. 2005 gelang ihr die sicher geglaubte Kanzlerschaft nur um Haaresbreite, 2009 brachte sie das starke (Leihstimmen-)Ergebnis der Liberalen ins Amt. 2013 ändert sich das: Merkel hat die Union mit ihrer Popularität wieder zu einer Volkspartei gemacht und wird voraussichtlich in einer Großen Koalition oder einem schwarz-grünen Bündnis weiterregieren. Nur zwei Kanzler wurden bislang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in eine dritte Amtszeit gewählt: Konrad Adenauer (1949 bis 1963) und Helmut Kohl (1982 bis 1998). Zwei Kanzler, die historische Beiträge zur europäischen Integration geleistet haben. Umso spannender ist die Frage, wie Angela Merkel in den nächsten vier Jahren Europa verändern wird.

Hierzu bedarf es zunächst eines Rückblicks: Angela Merkels Rückhalt in Deutschland erklärt sich maßgeblich auch über ihren europapolitischen Kurs in den vier vergangenen Jahren. Darüber kann auch das Abschneiden der Alternative für Deutschland (AfD) nicht hinwegtäuschen. Die Euro-kritische Partei verpasste den Einzug in den Bundestag nur knapp. Die AfD zeigte sich als ein Sammelbecken für Protestwähler und Euroskeptische Ressentiments in allen politischen Lagern.

Sicher: Die Kanzlerin erklärt ihre Politik kaum und sorgt damit für Skepsis. Doch an ihrem klaren Bekenntnis zu Europa kann kein Zweifel bestehen. Mit einer, für ihre Verhältnisse außergewöhnlichen, Leidenschaftlichkeit nannte Merkel beim Wahlkampfabschluss der CDU die europäischen Werte Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Reisefreiheit und Religionsfreiheit den „Schatz unseres Lebens“.

Ein Blick auf die Krisenstrategie der Kanzlerin macht zudem deutlich, dass ihre Europapolitik auf zwei klaren Prinzipien beruht: Solidarität und Eigenverantwortung. Die Kanzlerin koppelte finanzielle Unterstützung für notleidende EU-Staaten an Strukturreformen und Sparmaßnahmen. Mit Bürgschaften und dem permanenten Rettungsfonds ESM wurden gleichzeitig Schritte gemacht, um den Krisenländern Zeit für die Konsolidierung zu verschaffen.

Solidarität und Eigenverantwortung - diese Wertverbundenheit ihrer Außenpolitik erklärte die Kanzlerin den Bürgern konsequent und glaubhaft. Das wurde bei der Bundestagswahl honoriert. In Leitlinien haben die Deutschen damit Kontinuität auch in der Euro-Frage gewählt. Zumal die künftigen Koalitionspartner SPD und Grüne die Europapolitik der Kanzlerin in einem breiten parlamentarischen Konsens stets gestützt haben – mit Hinweis auf notwendige, verstärkte Investitionen in die Krisenländer.

Viel wird nun darüber gerätselt, wie Angela Merkels Plan für Europas Zukunft aussieht. Wir können nicht in den Kopf der Kanzlerin hineinsehen, doch es zeichnet sich in ihren Aussagen ein klares Profil ab. In ihren Wahlkampfreden führte die Bundeskanzlerin eine Formel auf: 7 Prozent der Weltbevölkerung leben in der Europäischen Union, die Europäer produzieren 25 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts und geben 50 Prozent der Sozialleistungen auf dem Erdball aus. Der Merkel‘sche Dreisatz aus Geopolitik, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand scheint das Leitmotiv für ihre europäischen Zukunftsvorstellung zu sein.

Die Wege dorthin sind vielfältig. In einem Interview mit dem Fernsehsender Phoenix sagte die Bundeskanzlerin in diesem Jahr: „Mehr Europa ist mehr als nur Verlagerung einer Kompetenz vom Nationalstaat nach Europa. […] So werden wir darüber reden: Brauchen wir noch mehr Kompetenzen für Europa oder geben wir mal wieder was zurück?" Sprich: Mehr Europa ist für Merkel nicht automatisch mehr Brüssel. Die Kanzlerin gilt der Europäischen Kommission gegenüber als kritisch gesinnt und erklärte, dass sie keine weiteren Kompetenzen an die Kommission abgeben wolle.

Merkels Kurs scheint auf einen anderen Pfad zu führen. Stefan Kornelius beschreibt in einem Debattenbeitrag für Spiegel Online Merkels Schlussfolgerungen aus der Euro-Krise: „Die Antwort der Kanzlerin: Besser wird es, wenn es die Nationalstaaten machen. Dafür hatte sie gewichtige Argumente parat. Den Bürgern stand nirgendwo der Sinn nach mehr Brüssel, außerdem waren die politischen Systeme in Europa - gerade bei Steuern oder im Sozialen - zu unterschiedlich. Auch wollte Merkel die Europäischen Verträge nicht öffnen, das Risiko dabei war einfach zu groß. Die Entscheidung stand fest: Die Nationalstaaten sollten es richten und dazu Verträge untereinander schließen.“

Ein Beispiel dafür ist der Europäische Fiskalpakt. Ein Pakt unter 25 EU-Mitgliedsstaaten für mehr wirtschafts- und finanzpolitische Koordinierung in Europa, der ohne Großbritannien und Tschechien geschlossen wurde. Die Kanzlerin wird ein Europa der zwei Geschwindigkeiten demnach im Ernstfall in Kauf nehmen – und eine vielbeschworene „Politik der kleinen Schritte“ auch in EU-Fragen fortsetzen. Mehr nationalstaatliche Kompetenz und eine verstärkte intergouvernementale Koordinierung erhalten auf diesem Weg den Vorzug vor einer institutionellen Vertiefung der Europäischen Union.

Wie auch immer Merkel handelt wird sie in der Pflicht stehen, ihre Politik den Bürgern auf dem ganzen Kontinent besser zu erklären. Ob sie jemals die erhoffte flammende Rede für Europa halten wird ist zu bezweifeln. Doch sie muss gemeinsam mit ihren europäischen Partnern die Menschen auf den Weg in die politische Zukunft Europas mitnehmen.

Abseits aller Spekulationen ist an diesem Tag festzuhalten: Angela Merkel hat durch die Bundestagswahl ein starkes Mandat für ihre dritte Amtszeit bekommen. Daraus erwächst große Verantwortung. Für Deutschland, aber auch für Europa.

Ihr Kommentar
  • Am 27. September 2013 um 15:00, von  Christoph Als Antwort Merkels Mandat für Europa

    Hallo,

    also mal abgesehen davon, dass dieser Artikel nur knapp an völlig substanzlosem Personenkult vorbeischrammt, kann ich nicht nachvollziehen, wie du dich zu der ein oder anderen Aussage versteigen konntest.

    Zuerst will ich eines festhalten: in diesem Artikel fiel 14 Mal der Name „Merkel“, ganze 17 Mal der Begriff „Kanzler/in“ und regelmäßig wurden diese dann mit Adjektiven wie „glaubhaft“, „klar“, „leidenschaftlich“ und „persönlich“ verbunden.

    Substanzlose Formeln wie „Solidarität und Eigenverantwortung“ werden unreflektiert übernommen und an mehreren Stellen entsteht der Eindruck, es habe sich weniger um eine Bundestagswahl, als vielmehr um eine Wahl zum europäischen Oberhaupt gehandelt. So schreibst du, „Merkel“ werde „ihren Plan für Europa“ in kleinen Trippelschritten fortsetzen. Das alles trägt für mich entschieden Bismarck’sche Züge; also der große Lotse, der das Reich durch die schwierige Zeit steuert, nur dass es sich heute eben nicht mehr um das Reich handelt und keiner mehr des großen Lenkers bedarf. Dein Personenkult entstammt dem vorletzten Jahrhundert; was für ein Anachronismus. Wer glaubt denn ernsthaft, man könne Europa unter einer starken „Kanzlerin Merkel“ einen? Erschreckend bei deiner Perspektive ist in meinen Augen vor allem die Ignoranz gegenüber der (zumindest dem Anspruch nach) kulturellen Vielfältigkeit Europas, der Komplexität und Kompromissorientiertheit der EU-Mehrebenenverfahren und den legitimen Ansprüchen unserer EU-Mitbürgerinnen.

    Du schreibst, „Merkel“ genieße mit ihrem europapolitischen Kurs Rückhalt in der Bevölkerung und „die Deutschen“ haben bei der Bundestagswahl auch die Kontinuität in der Euro-Frage gewählt.

    Letzteres ist sicher nicht richtig, denn „Merkel“ hat einfach mal alles gemacht, um dieses Thema erst gar nicht aufkommen zu lassen. Hilfreich waren da gewiss das Unvermögen der Opposition europapolitisch zu Punkten sowie eine handzahme Medienlandschaft, die zu weiten Teilen in unverschämter Voreingenommenheit wesentlich zum guten Abschneiden der CDU beigetragen hat. Insofern dürfte die Euro-Frage nur bei einer überschaubaren Minderheit eine Rolle gespielt haben.

    Eine kleine Randnotiz: zwei Aspekte schädigen den demokratischen Charakter der Bundesrepublik im Moment erheblich. Das eine ist in meinen Augen der undemokratische und intransparente Aufbau der Parteien, das andere die starke Voreingenommenheit der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten sowie der Printmedien. Kleinere und oppositionelle Parteien hatten tendenziell weniger Zugang zu den Medien, wurden dann aber relativ kritisch beleuchtet, etc.

    Was den Rückhalt angeht lässt sich immerhin fragen, wie viel Rückhalt „Merkels“ Kurs denn in anderen EU-Staaten genießt und da dürfte das Ergebnis eher ernüchternd sein. Hierin kann man einerseits ein Zeichen erkennen, dass diese Wahl Lage und Interessen andere EU-Mitgliedstaaten nur in unerheblichem Ausmaß mitreflektiert hat. Darüber hinaus kann man darin auch einen Ausdruck der sich vertiefenden Kluft zwischen den Ländern erkennen, was die Wahrnehmung politischer, ökonomischer und sozialer Sachverhalte angeht. Europa wächst auseinander und ist “die Kanzlerin” dafür auch nicht der einzige Anlass, so kann ihr eine gewisse Mitverantwortung kaum abgesprochen werden. Too little, too late – so könnte man ihre „Krisenpolitik“ bisher wohl zusammenfassen.

    Der „Merkel’sche Dreisatz“ aus Geopolitik, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand ist für mich der Gipfel der sozialen Kälte und wirtschaftspolitisch nicht zu Ende gedacht. Man darf nämlich ruhig hinzufügen, dass es der „Kanzlerin“ vor allem darum ging, die Sozialausgaben in Europa zurückzuschrauben und dass sie damit in das gleiche Horn blies wie David Cameron und Victor Orban. Wirtschaftspolitisch macht das Ganze schon deshalb keinen Sinn, weil Sozialausgaben und konsequenterweise auch Umverteilungsmechanismen in diesem „Dreisatz“ allein als Kosten verbucht werden. Tatsächlich werden diese Transferleistungen jedoch auch wieder ausgegeben. In der heutigen westlichen Wirtschaftsstruktur ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Transferleistung wieder in die Realwirtschaft fließt vermutlich sogar höher, als bei hohen Vermögenswerten (die gerade bei mangelhaften Transfermechanismen anfallen) da diese nicht ausgegeben, sondern im Finanzsektor angelegt werden und dadurch der Realwirtschaft entzogen sind.

    Was schließlich die intergouvernementale Methode angeht: da mag man der Meinung sein „Merkel“ könnte sich tatsächlich mal in eine Lage versetzt sehen, in der sie mit ihren Plänen herausrücken wird müssen. Bis es soweit ist, wird es aber bei einer intransparenter Hinterzimmerpolitik, populistischem Blame-shifting und prinzipienlosem (Re-)agieren bleiben – mit maximal negativen Konsequenzen für die supranationalen Institutionen und den europäischen Zusammenhalt, was wiederum ein engeres Zusammenrücken der EU-Bevölkerung verhindert. Ein starkes föderales Auftreten der EU kann man sich dann wohl in die Haare schmieren. Vielen Dank auch „Frau Merkel“, auf so ein Europa verzichte ich gerne!

  • Am 1. Oktober 2013 um 22:13, von  Marcel Wollscheid Als Antwort Merkels Mandat für Europa

    Hallo Christoph,

    zunächst einmal freue ich mich dass dich der Artikel derart angeregt hat.

    Eins muss ich dir aber auf den Weg geben: Nicht alles, was nicht in in deine politische Gesinnung passt, ist auf Ignoranz oder Inhaltslosigkeit zurückzuführen.

    So viel Pluralismus sollte gerade unser Treffpunkt Europa aushalten. Dementsprechend rate ich dir Unterstellungen etwas bedachter einzusetzen.

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