Die Kommission im JEF-Check

Günther Oettinger

Die Verbannung nach Brüssel ist eine Chance. Für ihn und für Europa.

, von  Vincent Venus

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Günther Oettinger
Photo: Oettinger bei EP-Anhörung © European Parliament, 2010

In Deutschland war Oettinger in Ungnade gefallen. Sowohl bei der Kanzlerin als auch beim Volk. Das überrascht nicht, waren es doch vor allem die Negativschlagzeilen, die sein Bild in der Öffentlichkeit prägten - zuletzt sein schlechtes Englisch. Doch Oettinger hat nicht nur Schwächen.

Der erste Schreck ist vorbei

Am 24. Oktober vergangenen Jahres wurde es offiziell: Bundeskanzlerin Merkel nominiert Günther Oettinger als deutsches Mitglied der EU-Kommission. Der Aufschrei im pro-europäischen Lager Deutschlands war groß. Ein schwäbischer Provinzfürst in der europäischen „Regierung“? Nach der Bestätigung durch das Europäische Parlament nahm er heute seine Arbeit auf. Für die kommenden fünf Jahre wird Oettinger das Ressort Energie leiten.

Günther Oettinger hat viele Gegner: in der Partei, in der Presse und auch in der Bevölkerung. Anlass für Kritik liefert er großzügig selber. Ein Beispiel ist seine Trauerrede 2007 zum Tod des Ministerpräsidenten Baden-Würtembergs A.D. und ehemaligen NS-Marinerichters Hans Filbinger. Er behauptete, dieser hätte niemals Todesurteile gesprochen und sei darüber hinaus sogar Opfer der Nazis gewesen. Seine spätere Distanzierung zu der Rede bewahrte ihm vor Schlimmeren [1]. Immer wieder gelangten Äußerungen an die Öffentlichkeit, die seinem Ruf schadeten. Im selben Jahr äußerte er - in trauter Runde seiner ehemaligen Studentenverbindung - die Ansicht, der Krieg habe früher viele soziale Probleme gelöst, [2].

Die Medien titeln „Schlimmer als Westerwave“

Nicht nur Häme [3], sondern auch Mitleid erntete er vor wenigen Wochen, als eine auf Englisch gehaltene Rede bei youtube auftauchte (das Original wurde mittlerweile aus Urheberrechtsgründen gesperrt).

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Seine katastrophale Aussprache sorgte für viele Lacher im Fernsehen und für böse Kommentare in der Presse und auf Blogs. Kein Wunder, hatte er in der Vergangenheit doch prophezeit, dass Englisch die neue Arbeitssprache werde, die jeder beherrschen müsse. Im Profilbogen für das EP hatte er sich selbst „gute Englischkenntnisse“ bescheinigt [4]. Viele meinen, er habe damit endgültig unter Beweis gestellt, dass er eine Fehlbesetzung sei.

Der politische Oettinger

Abseits der politischen Polemik und, zugegeben peinlichen Ausrutschern, sieht das Porträt Oettingers allerdings nicht ganz so katastrophal aus. Geboren 1953 in Stuttgart, ist er heute ein erfahrener Parlamentarier: 14 Jahre Lokal- und fast 26 Jahre Landesparlament hat er hinter sich. Dem Christdemokraten wird durchweg Kompetenz in Wirtschaftsfragen eingeräumt [5], und auch wenn ihm viele Kommentatoren ein fehlendes Profil vorwerfen, so beweist er mit öffentlichen Gegenpositionen zur Kanzlerin das Gegenteil. Zuletzt bei der Debatte um Steuersenkungen [6], aber auch schon früher, zum Beispiel beim Thema Rentenerhöhung [7]. Außerdem hat er den Ruf, ein Analytiker und sehr detailbewusst zu sein, vermutlich eine Folge seines Studiums in Jura und Volkswirtschaft. Diese Eigenschaft hat ihm in seiner Rolle als Landesvater geschadet. Er galt als volksfern, unpopulär und unfähig, seinen Staatsapparat effizient zu nutzen. Sicherlich war er kein Mann der großen Worte, auf der anderen Seite hat er, abseits der Öffentlichkeit, „eine Menge erreicht“, bescheinigte ihm die FAZ [8]. Besonders seine Kompromissfähigkeit, die ihm innerparteilich als Schwäche vorgeworfen wurde, wird im sensiblen Unionsapparat definitiv ein Vorteil sein. Immerhin war er es, der sogar eine Koalition mit den Grünen erwägte und als Vorsitzender der Föderalismuskommission II die Schuldenbremse ins Grundgesetz rettete. Die Frage ist natürlich, was ein Wirtschaftsspezialist im Energiesektor verloren hat. Doch die Tatsache, dass Kommissarsposten, genauso wie nationale Ministerposten, selten nach Befähigung, sondern vielmehr nach parteistrategischen Gesichtspunkten vergeben werden, entschärft zumindest die personenbezogene Kritik.

Vom Parlament angenommen

Seine erste Herausforderung auf europäischer Ebene hat Oettinger gemeistert. Nach der dreistündigen Anhörung vor dem Industrie- und Umweltausschusses des Europaparlaments am 14. Januar wurde er von vielen Abgeordneten gelobt [9]. In seiner Eingangsrede kündigte er eine enge Partnerschaft zwischen ihm und dem Parlament an, um die Europäisierung der Energiepolitik durchzusetzen. Seit dem Vertrag von Lissabon verfüge man über neue Kompetenzen in Brüssel, die er „mutig ausloten“ wolle. Diese seien zwar an das Subsidiaritätsprinzip gebunden, er sei aber bereit, in den Verhandlungen mit den Nationalstaaten ein Risiko einzugehen [10].

Diese Ankündigung lässt aufhorchen, könnte es doch bedeuten, dass er weiterhin bereit ist, der Kanzlerin zu widersprechen und damit seinem eigenen Selbstverständnis gerecht zu werden, ein „von Deutschland vorgeschlagener“ und „kein deutscher“ Kommissar zu sein. Ebenfalls eine gute Nachricht für Integrationsfreunde ist sein Ziel, eine Versorgungssolidarität im europäischen Energiemarkt herzustellen. Nach seiner Auffassung bedeutet dies, dass die Staaten sich untereinander bei Engpässen helfen und es nur noch Abkommen zwischen der EU als Ganzes und ihren Partner geben soll. „Insellösungen“ lehnt er ab und nennt explizit die Ostseepipeline als Beispiel. Jene versorgt ab 2012 Deutschland mit russischem Gas, umgeht aber EU-Staaten wie Polen, und widerspricht damit dem Grundgedanken einer solidarischen Union.

Bei all den zu begrüßenden Versprechungen muss aber auch erwähnt werden, dass er lediglich bereits bestehende Beschlüsse bekräftigt hat. Neue Visionen sucht man vergeblich. Vor allem in strittigen Fragen, wie zum Beispiel dem Thema Atomenergie, gibt er sich handzahm. Er respektiere die Kompetenzordnung und sei sich bewusst, dass „die Frage Kernkraft Ja/Nein den nationalen Gesetzgebern und Bürgern obliegt“. Er selbst hält „Atomkraft für eine sinnvolle Übergangstechnologie“, die noch 20 Jahre lang zu gebrauchen sei [11].

Ein vorläufiges Fazit

Über die Person und den Sympathiegrad Günther Oettingers lässt sich streiten. Als Landesvater Baden-Württembergs war er nicht sonderlich beliebt und sein Spitzenamt in Brüssel dürfte er in erster Linie seiner schwächelnden Karriere in der Heimat verdanken. Dennoch sollte man ihn nicht vorschnell als Fehlbesetzung verurteilen, auch wenn er nicht gerade der Wunschkandidat ist. Oettinger ist ein Technokrat, der sein Handwerk versteht, sich aber schlecht präsentieren kann. Seine Versuche, Volksnähe zu zeigen, endeten nicht selten in Betroffenheit der Anwesenden. Mit diesen (In)kompetenzen ist er in Brüssel tatsächlich besser aufgehoben. Dort muss er nicht bei Karnevalsparaden mitlaufen und auch keine Reden bei Beerdigungen halten. Dort kann er das tun, worin er gut ist: analysieren und Kompromisse erzielen. Und wer weiß, vielleicht schafft er es ja tatsächlich, die europäischen Integration voranzubringen - wenn auch nur im Energiesektor.

Die Zusammenfassung der Anhörung mit Links zum Audio- und Videostream findet man hier. Dazu der Videokommentar von SPIEGEL ONLINE.

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