Genossen, Schluss mit der Deutschfeindlichkeit!

Ein französisches Plädoyer gegen die deutschfeindlichen Reden der Parti socialiste

, von  Robin Huguenot-Noël, übersetzt von Verena Priem

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Genossen, Schluss mit der Deutschfeindlichkeit!
Francois Mitterrand begrüßt Helmut Kohl 1987 in aller Höflichkeit – so sollten französische Politiker mit ihren deutschen Freunden umgehen, meint Robin Huguenot-Noël. Bundesarchiv, B 145 Bild-F076604-0021 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA

„Jetzt auf einmal wird in Europa deutsch gesprochen“ - über diese Worte von Unionsfraktionschef Volker Kauder vom 15. November wurde viel geredet. Die Äußerung Kauders weckten – leider – prompt die alten antideutschen Dämonen, die bislang auf französischer Seite schlummerten.

In Zeiten, in denen die Europäische Union eine Krise in einem bislang unbekanntem Ausmaß durchlebt und wo das deutsch-französische Tandem alles tut, um diese Krise zu überwinden, hätte man von der europäischen politischen Klasse eine Wiederbelebung der Solidarität erwartet. Man hätte auch erwartet, dass die politische Linke, selbst ernannter Vorreiter der Solidarität, sich einstimmig wehrt gegen solche Schmähreden wie die von Marine Le Pen benutzte Formulierung, Deutschland wolle „Europa mit der Peitsche voran treiben“.

Doch stattdessen hat der bei den Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur ausgeschiedene Sozialist Arnaud Montebourg die Politik von Frau Merkel als „Bismarck-Politik“ angeprangert. Jean-Marie Le Guen, wie Montebourg Mitglied der Nationalversammlung, hat das Treffen von Nicolas Sarkozy mit Angela Merkel mit dem Münchener Abkommen von 1938 verglichen - und der Politik der Kanzlerin damit implizit Züge von Hitlers Politik angedichtet.

Als Antwort auf diese Kritik haben die Sozialisten eine Rede ausgekramt, die Nicolas Sarkozy im Jahre 2007 während des Präsidentschaftswahlkampfs hielt. Seine Worte erinnerten an die Gräueltaten, die während des zweiten Weltkriegs in Deutschland verübt wurden und versuchten, durch eine Gegenüberstellung, jene Ausschreitungen zu verharmlosen, die sich zur gleichen Zeit in Frankreich ereigneten.

Eine ziemliche blamable Aussage, wenn man weiß, dass Deutschland, nach dem es sich des Nationalsozialismus entledigt hatte, unter größten Anstrengungen seine Volkswirtschaft wieder aufgebaut hat - trotz des immensen Verlusts von Arbeitskräften und der Zerstörungen in Folge der Bombenangriffe. In seinem Essay „Über Deutschland, über Frankreich“ befand François Mitterrand, dass das Wort vom deutschen Wirtschaftswunder unangemessen sei, letztlich sei der unglaubliche Mut und Wille der Deutschen ausschlaggebend für den schnellen Wiederaufbau gewesen. Deutschlands Wiedervereinigung konnte sich auch deswegen aus eigener Kraft vollziehen, weil klar war, dass sie sich im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft abspielen würde, auch wenn Deutschland möglicherweise eine andere Bündnis-Konstellation bevorzugt hätte. Darüber hinaus hat Deutschland seine Vergangenheit auf bewundernswerte Weise bewältigt, wovon Frankreich sich ruhig eine Scheibe abschneiden könnte.

Wie dem auch sei: Die Geschichtswissenschaft lehrt uns, dass wir ein Volk eher nach seinen früheren Fehlern beurteilen statt nach seinen Bemühungen, diese Fehler nicht zu wiederholen. Während also in den Klassensälen in München, Bonn oder Berlin die Tugenden der Demokratie vermittelt werden, während man in Sachsen die Mitglieder der Zwickauer Zelle verfolgt und während man in Karlsruhe versucht, mittels Verbot die neue braune Pest einzudämmen, da haben die französischen Politiker nichts besseres zu tun, als mit dem Finger auf Deutschland zu zeigen und Vorwürfe zu machen: Mal ist es die Pickelhaube, mal die SS-Uniform, die hinauf beschworen wird.

Egal ob aus dem linken oder dem rechten Lager, die anti-deutschen Parolen müssen gerügt werden. Aufgrund ihres Bekanntheitsgrades und ihrer Rolle in der Gesellschaft sind die Politikerinnen und Politiker in der Pflicht, ein verantwortungsvolles, ja vorbildliches Verhalten an den Tag zu legen. Man mag das Rumgedruckse von Angela Merkel kritisieren können, allein, man sollte dies unter dem Prisma der sachlichen Argumentation tun.

Dies gilt umso mehr für jeden Föderalisten und erst recht für jeden Anhänger des linken Spektrums; zahlreich sind die Argumente, um einige von Merkels Beschlüssen der letzten Jahre zu kritisieren:

 Man kann Merkel-Deutschland vorwerfen, innerhalb der Union eine Politik der Konkurrenz geführt zu haben; die niedrigen Löhne üben einen übermäßigen Druck auf unser europäisches Sozialmodell aus und haben tragische Folgen für die Binnennachfrage innerhalb der Union.

 Man kann den Unionsparteien unter der Führung Merkels ebenfalls vorwerfen, dass sie sich nicht ausreichend von dem alten Inflations-Kult distanzieren – ganz im Gegenteil zur SPD.

 Schließlich kann man der Kanzlerin noch vorwerfen, in Zeiten, in denen Europa einen neuen Marshall-Plan gut gebrauchen könnte, eine zu strenge Sparpolitik zu verfolgen.

Aber gehen wir weiter und weiten die Kritik aus auf die Politik, wie sie von den nationalen Führungskräften Deutschlands und Frankreichs verfolgt wird. Fassen wir sie unter der berühmten Formel „Merkozy“ zusammen. Sie werden sehen, auch hier kann man, ohne nennenswerte Hindernisse, eine lange Liste potenzieller Kritikpunkte erstellen:

 Beispielsweise die von Merkozy erzwungenen Schritte („marche forcée“), welche jegliche demokratische Überlegung außer Acht lassen (Ernennung neuer Regierungen wie die Mario Montis, Rückzug des Referendums in Griechenland, Vorbereitung einer Vertragsrevision unter Ausschluss des Europäischen Parlaments).

 Wie steht es mit der Finanztransaktionssteuer? Warum keine Eurobonds? Wie lange noch auf eine spürbare Erhöhung des EU-Haushalts warten? Ein weiteres Mal fehlt es nicht an Anhaltspunkten, Angela Merkel und Nicolas Sarkozy mangelhaften Ehrgeiz vorzuwerfen, sowie Unfähigkeit, echte föderalistische Projekte voran zu treiben.

Eine bestimmte Politik oder Weltanschauung zu kritisieren, ist legitim: Man kann auf dem Sofa sitzen und nörgeln oder sich empören und tatsächlich aufbegehren. Aber in dem Moment, wo die Kritik nicht mehr zwischen einer Handlung und dem Urheber einer Handlung unterscheidet, geht sie zu weit. Sagte Mitterrand nicht: „Der Nationalismus, das ist der Krieg“? Diese Maxime verdient es heute mehr denn je, vergegenwärtigt zu werden!

Also Genossen, macht Euch erneut an die Lektüre von Jaurès und Mitterrand. Oder haltet Euch zumindest an Argumente. „Merkel ist nicht verleihsam, doch der Fehler ist ihr fremd.“ (Frei nach LaFontaine). Statt Merkel für ihren Germanismus anzufeinden, widersetzt Euch lieber ihrer Politik - denn die ist im Gegensatz dazu gewollt!"

Der Autor, Robin Huguenot-Noël, ist Vorsitzender der politischen Kommission bei den Jungen Europäischen Föderalisten Frankreich.

Ihr Kommentar
  • Am 25. Januar 2012 um 21:15, von  Jan Als Antwort Genossen, Schluss mit der Deutschfeindlichkeit!

    Sehr interessanter Artikel Robin,

    dein Appell könnte sich an alle richten. Wir sollten uns mit Inhalten beschäftigten, diese kritisieren und fordern. Sich an anscheinenden nationalen Eigenheiten abzuarbeiten lenkt davon nur ab. Dann kann man darüber streiten ob Merkels, Sarkozys, Barossos, JEFs Lösungsvorschläge gut sind oder nicht. Vielleicht ist das Problem, dass die jeweiligen nationalen Oppositionen und Diskussionen auch fast immer nur im Inland wahrgenommen werden.

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