Paris und Berlin diskutieren über die Wiederbelebung des europäischen Verfassungsvertrages

Frankreich, Deutschland und der europäische Verfassungsvertrag

Nein, der europäische Verfassungsvertrag ist noch nicht tot und begraben

, von  Übersetzt von Georg Walter, David Soldini

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Frankreich, Deutschland und der europäische Verfassungsvertrag

Mehrere deutsche Tageszeitungen berichten seit einigen Tagen über Gespräche zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Jacques Chirac, in denen es um europäische Fragen gehen soll. Was ist von diesen – im Moment noch geheimen – Beratungen zu halten?

Sowohl der „Spiegel“ als auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ informierten ihre Leser darüber, dass die Verantwortlichen in Paris und in Berlin derzeit über einen möglichen Plan zur Rettung des europäischen Verfassungsprojekts diskutieren.

Eine Ratifizierung in mehreren Etappen

Nach Informationen des Wochenmagazins „Der Spiegel“, die dann auch von der Tageszeitung „EU Observer“ übernommen wurden, ist eine Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrages in mehreren Etappen im Gespräch.

Der Plan sieht vor, im Rahmen eines neuen Referendums lediglich über Teil I (Institutionen), Teil II (Charta der Grundrechte) und Teil IV (Allgemeine und Schlussbestimmungen) des Verfassungsvertrages abstimmen zu lassen.

Dieser Text würde um eine Erklärung zu den sozialen Fragen ergänzt, um den Sorgen und Ängsten der Bürgerinnen und Bürger vor einem sozialen Kahlschlag in Europa zu begegnen. Diese Ängste waren sicherlich einer der Gründe für das Nein der Franzosen und der Niederländer bei den Referenden im vergangenen Mai und Juni.

Was wird aus Teil III ?

Über Teil III des Verfassungsvertrags, der die wesentlichen Bestimmungen der bisherigen Verträge umfasst, würden dann lediglich die nationalen Parlamente abstimmen. Auch wenn diese Strategie in die richtige Richtung weist, da sie von der Prämisse ausgeht, das der Verfassungsvertrag noch nicht endgültig gescheitert ist (und vor allem, dass Europa dringend eine Verfassung braucht), kann man über die Methode geteilter Meinung sein.

Die Politik darf die Bürgerinnen und Bürger weder belügen, noch sollte sie versuchen, ihnen wichtige Tatsachen bewusst zu verschweigen. Denn machen wir uns nichts vor: Teil III des Vertrages wird angewendet werden und die in Teil III enthaltenen Bestimmungen werden heute schon in großem Umfang angewendet (übrigens im Gegensatz zu vielen Bestimmungen der Teile I, II und IV….).

Es ist aber nicht dieser Teil III, der Frankreich in den Ruin getrieben hat, und er ist auch nicht für die Arbeitslosigkeit verantwortlich, von der die französische Wirtschaft seit 20 Jahren betroffen ist (und die in fast allen anderen europäischen Ländern zurückgeht…).

Teil III enthält sicherlich einige Bestimmungen, die noch verbessert werden können; er ist aber nicht für jene Missstände verantwortlich, die zur Ablehnung des Verfassungsvertrages geführt haben. Im Gegenteil: In vielen Fällen hält der berüchtigte Teil III sogar erste Antworten auf die Probleme bereit.

Welche Rolle sollten unsere Politiker spielen?

Genau das müssten verantwortungsbewusste Politiker den Bürgerinnen und Bürgern sagen.

Sie müssten ihnen erklären, dass die Franzosen am 29 Mai [2005] ihr Urteil über 15 Jahre einer verfehlten französischen Politik abgegeben haben, über nicht umgesetzte Entscheidungen, über massive Fehlbeurteilungen und über katastrophale politische Entscheidungen, die letztlich nur einem einzigen Interesse dienten: Dem Interesse der herrschenden politischen Parteien und der führenden Politiker. Eine solche Erklärung erwarten die verantwortungsbewussten französischen Bürgerinnen und Bürger von den Regierenden.

Es war natürlich mal wieder der am wenigsten verantwortungsbewusste Politiker von allen, der „Meister des Populismus“ Nicolas Sarkozy, der verkündet hat: „Ich werde nicht derjenige sein, der den Franzosen sagen wird, dass sie die Frage falsch verstanden haben“. Wenn dies allerdings genau der Wahrheit entspricht… Welche Rückschlüsse sollen die Franzosen dann aus diesem offensichtlichen Unwillen der Politik ziehen, diese Wahrheit auch offen auszusprechen?

Wir werden die Entwicklungen in dieser für die Zukunft Europas und seiner Bürger so grundlegenden Frage weiterverfolgen. Dabei ist die Tatsache ermutigend, dass der französische Präsident endlich die Bedeutung der Frage erkannt-, und sich dem deutschen Druck und den Forderungen gebeugt hat, den Verfassungsprozess wieder zu beleben. Es ist aber auch besorgniserregend, dass einige politische Schieflagen, trotz des 21. April und trotz des Nein zum EU-Verfasungsvertrag, noch nicht korrigiert wurden.

Ihr Kommentar
  • Am 10. März 2007 um 17:55, von  unionsbuerger Als Antwort Sarkosy ist germanophob

    SARKOZY IM TEXT: „ Frankreich hat nie der totalitären Versuchung nachgegeben. Sie hat kein Volk vernichtet. Sie hat die Endlösung nicht erfunden.“

  • Am 16. Mai 2007 um 13:28, von  ? Als Antwort Frankreich, Deutschland und der europäische Verfassungsvertrag

    Kann man nicht die Meinung des Volkes akzeptieren? Und die ist: NEIN! Warum muss man so und so alles biegen, bis man dann die Meinung der Politiker durchgestzt ist? Ist der Slogan „Alle Macht geht vom Volke“ tatsächlich in Deutschland nur so viel gültig, wie das den Politikern passt? Ausserdem ich dachte, auch hier man lebte in eine Art Demokratie = Herrschaft des Volkes - natürlich in den Ländern, die sich demokratisch nennen, machen die Poltiker zum größten Teil auch nur, was sie wollen und im griechischer Bedeutung des Wortes leben wir gar nicht eine Demokratie. Aber das bisschen, was ich annahm - gibt es das Bischen nicht einmal hier? Schade das ist, dass in Deutschland (u. anderen EU-Ländern) das Volk kein Referendum hatte...

    Angesichts des in Aussicht tellens, auf anderem Wege in Frankreich eine Akzeptanz der EU-Verfassung zu erreichen und der Wahrscheinlichkeit, dass noch andere Entscheidungen, die vom Volk nicht akzeptiert wurden, aber die Politiker glauben auf eine andere Weise durchsetzen zu müssen, es gibt diese Frage: Sollte man nicht sofort eine EU-Diktatur einführen (spart Kosten, ist EU-einheitlich, zielorientierter. geht schneller und das Volk kann sofort durchschauen, was die Politiker wollten)?

  • Am 29. Mai 2007 um 22:43, von  Emmanuel Vallens Als Antwort Frankreich, Deutschland und der europäische Verfassungsvertrag

    Wir leben in einer Art Demokratie und ich bin überzeugt, dass es unerlässlich ist, die Meinung des Volkes nicht zu übergehen. Was jedoch wollten die Franzosen und Niederländer mit ihrem Nein zur Europäischen Verfassung ausdrücken? Nur die wenigsten Wähler lehnten mit ihrem Votum die Europäische Union im Allgemeinen ab. Neben mehr oder weniger berechtigten Bedenken zu bestimmten Teilen des Verfassungsvertrags spielte gerade in Frankreich die Unzufriedenheit mit der nationalen Politik eine große Rolle. Einige Politiker mißbrauchten auch den Verfassungsvertrag, um innenpolitisch ihre Position zu stärken. Zudem wurden teilweise Ängste und Vorurteile vieler Bürger, die nicht in direkter Verbindung mit dem Verfassungsvertrag stehen (beispielsweise der Beitritt der Türkei) für eine Mobilisierung gegen die Verfassung mißbraucht.

    Wir wollen keine EU-Diktatur, deshalb braucht es bei einem erneuten Anlauf für die Europäische Verfassung zweierlei: erstens müssen die Bedenken der Bevölkerung in bezug auf einzelne Teile des Verfassungsvertrages ernstgenommen und zweitens die positiven Neuerungen des Vertrages besser kommuniziert werden. Es wäre für die Akzeptanz der Europäischen Union auf keinen Fall zuträglich, einfach denselben Verfassungsvertrag - zur Not ohne Zustimmung der Bürger - auf biegen und brechen zu verabschieden. Vielmehr muss alles daran gesetzt werden, die Zustimmung der Bevölkerung zu einer - möglichst in den kritischen Punkten verbesserten Verfassung - zu erhalten. Nur so könnte erreicht werden, dass Europa eine lebendige, von den Bürgern akzeptierte Demokratie wird. Das demokratischste Verfahren dazu wäre ein europaweites Referendum, das in allen Mitgliedsländern zum gleichen Zeitpunkt durchgeführt wird.

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