Flugverbotszone in Libyen: Die Enthaltung Deutschlands ist eine Schande

Ein Angriff auf die deutsche Außenpolitik – und warum die Argumente der Zögerer nicht überzeugen.

, von  Vincent Venus

Flugverbotszone in Libyen: Die Enthaltung Deutschlands ist eine Schande
Panzer in der Nähe der libyschen Stadt Misrata, etwa 200 km östlich von Tripolis.

Wir in Deutschland können viel über Demokratie, Menschenrechte und den Wert des Lebens diskutieren, am Stammtisch, in akademischen Debatten oder in Politshows. Wir haben den Luxus des Friedens, der Sicherheit und Freiheit. 360 Kilometer südlich der europäischen Grenze entscheidet sich in diesen Tagen, ob die 6,4 Millionen Bewohner Libyens weiter von der politischen Mitbestimmung träumen dürfen, oder viele von ihnen den Tod finden werden: von Bomben zerfetzt, Maschinengewehrfeuer durchsiebt oder in Folterkellern getötet. Gaddafi steht vor den Toren Bengasis und bald werden zwei Fragen beantwortet: Erstens, fällt mit der Stadt der Widerstand gegen den Diktator und zweitens, wird die Europäischen Union dem ihr zugrunde liegenden Versprechen gerecht, eine Verteidigerin der Demokratie und Menschenrechte zu sein? Frankreich und Großbritannien scheinen sich der Verantwortung bewusst und wollen eingreifen, doch Deutschland verweigert eine Beteiligung.

Eine Schande: Deutschlands Haltung

Die Bundesrepublik Deutschland, eine der reichsten Demokratien der Welt, wird nicht intervenieren: „Wir sind aber in der Abwägung auch der Risiken zu dem Ergebnis gekommen, dass wir uns mit deutschen Soldaten an einem Krieg, an einem militärischen Einsatz in Libyen nicht beteiligen werden“, sagte Außenminister Westerwelle am 18. März. 60 Jahre, nachdem die Demokratie den Deutschen gebracht wurde, ist sich dieses Land immer noch nicht seiner Verantwortung bewusst. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ heißt es im 1. Artikel des Grundgesetzes, „[Die EU] leistet einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit ... und zum Schutz der Menschenrechte“ in Artikel 3 im Vertrag über die Europäischen Union – „Wir wünschen unseren Bündnispartnern viel Erfolg“ von der Bundesregierung.

Diese Verweigerung ist nichts anderes als eine Schande. Es ist ein Verrat an all dem, wofür die zwölf goldene Sterne der europäischen Fahne stehen: Die führende Stellung in der Weltgemeinschaft, ermöglicht durch jahrhundertelange Unterdrückung der restlichen Welt, zu nutzen, um benachteiligten Völkern zu helfen.

Deutschland verhält sich derzeit wie ein Passant auf einem Bahnsteig, der tatenlos zuschaut, wie ein anderer Fahrgast ins Koma geprügelt wird: weder hat die Bundesrepublik die Polizei, sprich den UN-Sicherheitsrat, gerufen, noch ist sie bereit, dem Misshandelten zu helfen. Stattdessen stellt sich das Land neben den Schauplatz und redet vor den Kameras davon, dass man „immer auch die Folgen“ bedenken müsse. Diese Haltung wird von Gaddafi selbst dann auch noch als verantwortungsvoll bezeichnet.

Was für eine Schande.

Die Argumente der Zögerer

„Moralisch mag die Sachlage klar sein, aber wir dürfen trotzdem nicht eingreifen“, heißt es von den Zögerern. Es wäre eine Lüge zu behaupten, es gäbe keine guten Gründe gegen eine Intervention. Allerdings sind die Argumente nicht so eindeutig, wie es die Intervenierungsgegner darstellen.

  • Gaddafi wurde toleriert und nun sollen wir gegen ihn kämpfen? Das wäre scheinheilig. Ja, es war scheinheilig, auf der einen Seite Freiheit zu propagieren und auf der anderen Seite Gaddafis Öl gegen deutsche Waffen zu tauschen! Und ja, es ist sehr schädigend für den Ruf Europas, dass andere Diktatoren in gleicher Weise unterstützt werden. Aber muss sich vergangenes Fehlverhalten in der Zukunft wiederholen? Nein – die Gelegenheit ist jetzt da, Wiedergutmachung am libyschen Volk zu leisten.
  • Der Fall Irak zeigt, dass eine solche Operation Scheitern muss. Die Ausgangslage ist eine völlig andere: Libyen ist nicht Irak und die EU ist nicht die USA. Die Operation „Operation Iraqi Freedom“ basierte auf der Lüge von Massenvernichtungswaffen, die Intervention in Libyen auf Hilferufen der Opposition und eine Legitimierung durch die Arabische Liga und den UN-Sicherheitsrat. Die USA versuchten, 2003 Demokratie in den Irak zu exportieren, im Fall Libyen wird dagegen nur geholfen, den Diktator zu stürzen. Und ja, der Ausgang ist ungewiss – wie bei vielen Vorhaben. Sollen wir in Lethargie versinken, nur weil ein Erfolg nicht garantiert ist?
  • Eine Intervention schadet dem Ansehen der EU. Stellen Sie sich einmal vor, Sie befinden sich nicht entspannt vor Ihrem Computer, sondern in einer Kampfzone Libyens. Ihr Bruder ist vor wenigen Tagen gefallen und das Nachbarhaus wurde samt Nachbarsfamilie zerfetzt. Sie sind verzweifelt und ihr größter Wunsch ist das eigene Überleben. Und dann sehen Sie Westerwelle, wie er im Fernsehen sagt: „die Alternative zu einem Militäreinsatz ist den Druck zu erhöhen“, ein Mann, der die Macht hat, Ihr Leiden zu beenden und Ihrem Volk zur Freiheit zu verhelfen. Freuen Sie sich, weil er die Doktrin des Nicht-Intervenierens aufrecht erhält? Oder werden Sie ihn und sein Land für immer hassen, weil er sie im Stich gelassen hat? Wahrscheinlicher ist Letzteres.
  • Woanders sterben auch Menschen! Sollen wir jetzt überall intervenieren? Wenn es nach mir ginge: ja. Falls die Vereinten Nationen ein Mandat ausstellen, dann sollten die reichen Staaten eingreifen. Fakt ist, dass dies praktisch und politisch nicht durchsetzbar ist. Doch selbst wenn wir eine realistische Betrachtungsweise wählen und den Idealismus beiseite wischen, dann ist dieses Argument dennoch sehr kurzgedacht und zynisch. Denn, natürlich ist die Welt ein ungerechter Ort und offensichtlich ist „der Westen“ auch dafür verantwortlich. Aber, darf man deswegen einen Hilferuf ablehnen? Sollten wir uns dem Schlechten auf der Welt einfach ergeben und Diktatoren morden lassen? Nein, denn wie wir uns verhalten, beeinflusst große Teile der Menschheit. Im Negativen, siehe Guantanamo, aber auch im Positiven, siehe die europäische Fahne als Zeichen der Demokratie in Weißrussland. Wenn die Europäische Union, als Modell der liberalen Demokratie, nicht mehr als Vorbild fungiert, dann verliert sie auch ihre Anziehungskraft. Länder könnten sich dann von uns abwenden und sich anderen Machtpolen zuwenden, zum Beispiel China, Russland oder, in ideologischer Hinsicht, dem fundamentalen Islamismus.
  • Realistische Machtpolitik verbietet das Eingreifen in andere Länder. Meine Argumente im vorherigen Punkt zeigen bereits, dass auch rein machtpolitisch eine humanitäre Intervention von Vorteil sein kann. Dazu kommt noch, dass, falls Gaddafi gewinnen sollte, er die Außenbeziehungen des Landes völlig neu definieren würde. Man kann davon ausgehen, dass der Diktator das Land entweder isolieren wird oder sich mit Gegnern der EU verbündet. Die Folgen wären verheerend: Rache an der eigenen Bevölkerung, langfristige regionale Instabilität, Flüchtlingsströme und eine weitere Spaltung der Weltgemeinschaft.

Vertrauen in Großbritannien, Frankreich und in das libysche Volk

Nummer eins und zwei der europäischen Militärmächte, Großbritannien und Frankreich, werden eine Flugverbotszone einrichten und Gaddafi bekämpfen. Wir sollten unseren europäischen Freunden nun vertrauen und hoffen, dass sie Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen. Daneben müssen wir auch hoffen, dass es das libysche Volk schafft, die großen Erwartungen an sich zu erfüllen. Es ist sehr wichtig, dass die Oppositionsführer nicht zu Putschisten werden, die nach Gaddafis Sturz dessen Rolle einnehmen.

Wie auch immer der Fall Libyen ausgehen wird, Deutschland hat sich der Gelegenheit verweigert, auf die Geschehnisse Einfluss zu nehmen.

Ihr Kommentar
  • Am 19. März 2011 um 13:54, von  Cédric Als Antwort Flugverbotszone in Libyen: Die Enthaltung Deutschlands ist eine Schande

    Sehr gutes Artikel.

    Manche Deutschen sagen, diese Intervention „sei nicht bis zum Ende gedacht“. Das stimmt wohl, aber manchmal ist die Zeit knapp für die Entscheidung. Man hätte sich für diese Intervention vor 3 Wochen entschieden.

  • Am 20. März 2011 um 13:32, von  Christoph Als Antwort Flugverbotszone in Libyen: Die Enthaltung Deutschlands ist eine Schande

    Ich denke es ist fraglich, ob Gewalt immer am besten mit Gegengewalt bekämpft werden sollte. Machen wir uns nichts vor, die Opfer, welche die entfesselte Waffengewalt der westlichen Streitkräfte hervorrufen werden, sind in keiner weise geringer, anders oder gar besser als die des lybischen Machthabers. Intervention ist schön und gut, wenn sie ehrlich ist und wirklich die Befreiung des Volkes und dessen langfristige Eingliederung in ein System des Wohlstands zum Ziel hat. Aber machen wir uns nichts vor, darum geht es in diesem Konflikt nicht. Niemand wird den Wiederaufbau in Lybien finanzieren wollen, dafür könnte ich mir gut vorstellen, dass die lybischen Erdölreichtümer als „Kompensation“ für den sicher kostspieligen Waffeneinsatz für die „Demokratie“ (auch wenn dann so ein besserer Kameltreibermarkt wie im Irak herauskommt), zum „Vorzugspreis“ in westliche Staaten abwandern. Humanitär ist dieser Einsatz unter keinem Gesichtspunkt und wie sich beim Irakeinsatz schon gezeigt hat, kann ein Konflikt immer erst im Nachhinein unter allen relevanten Gesichtspunkten und Informationen, die uns jetzt (noch) nicht zur Verfügung stehen, einigermaßen objektiv beurteilt werden. Ich gebe dir jedoch dahingehend recht, dass zwischen dem Irak Krieg und dem Lybien Krieg ein bedeutender Unterschied besteht - es gibt tatsächlich einen nicht zu vernachlässigenden Teil in der Bevölkerung, die sich eine Intervention wünschen. Doch wer zwischen Pest und Cholera zu wählen hat, der ist auf das geringere Übel angewiesen.

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