Exlusiv-Interview mit Valéry Giscard d’Estaing: „Es wäre eine Katastrophe wenn die Europäer die Eurozone aufgeben!”

, von  Jonathan Leveugle, übersetzt von Inga Wachsmann

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Exlusiv-Interview mit Valéry Giscard d'Estaing: „Es wäre eine Katastrophe wenn die Europäer die Eurozone aufgeben!”
Valéry Giscard d’Estaing bei den Straßburger Gesprächen

Bei den „Entretiens de Strasbourg“ (Straßburger Gesprächen), die die Jeunes Européens Straßburg jährlich mit der JEF Freiburg organisieren, war Valéry Giscard d’Estaing, von 1971 bis 1981 Präsident der Französischen Republik, Ehrengast und antwortete auf die Fragen des Taurillon. Der Euro, so Giscard, ist ein greifbares Symbol der europäischen Identität und unserer gemeinsamen Europäischen Werte. Wollen wir die Eurozone retten, müssen wir die Budget- und Fiskalpolitik der 17 Eurostaaten eng aufeinander abstimmen.

Jonathan Leveugle: Trotz der vielen aufeinander folgenden Staatsgipfel ist die Schuldenkrise in der Eurozone noch nicht gelöst. Welche Schritte müssten die europäischen Entscheidungsträger beschließen, um die Krise zu beenden?

Valéry Giscard d’Estaing: Es gibt heute zwei Krisen. Die US-amerikanische, relativ klassische Krise und die europäische Schuldenkrise. Die Medien werfen diese beiden unterschiedlichen Krisen in einen Topf. Die Schuldenkrise ist vor allem eine Krise der Nachwehen früherer Entscheidungen. Mit der Schaffung des Euro wurden die Kriterien des Stabilitätspakts geschmiedet. Die nationalen Staatsschulden durften nicht mehr als 60% des BIP betragen und das Haushaltsdefizit musste unter 3% des BIP bleiben. Die Europäischen Institutionen waren unfähig diesen Pakt durchzusetzen und die Eurozone befindet sich heute in einem unverantwortlichen Finanzchaos.

Was also tun, um so etwas in Zukunft zu vermeiden und um ein stabileres System zu schaffen?

Die Politik muss langfristig agieren. In einigen Jahren werden wir Kohärenz bei den öffentlichen Ausgaben haben und eine verpflichtende Koordinierung. Damit wird auch die Verschuldung Stück für Stück vergemeinschaftet. In der aktuellen Situation könnten höchstens die Schulden der Staaten vergemeinschaftet werden, die ihre Ausgaben am schlechtesten im Griff haben. In naher Zukunft können wir eine europäische Staatskasse einführen, die den Staaten je nach Bedarf zuvor gemeinschaftlich beschlossene Schuldscheine ausgeben kann. Im Moment würde das nicht funktionieren.

JL: Wir sehen die Grenzen des Schuldenkrisenmanagements in der Eurozone. Sollten wir nicht die europäische Wirtschaftsgovernance reformieren? Welche Form sollte das Finanzmanagement haben?

Valéry Giscard d’Estaing: Die Eurostaaten und die 27 Mitgliedstaaten der EU werden nicht getrennt gesehen. Dabei betrifft die Eurokrise nur die Eurozone. Die EU-Institutionen müssten da herausgehalten werden. Man kann nicht Staaten die den Euro weder haben noch möchten bitten, die Probleme der Gemeinschaftswährung zu lösen. Das muss klar getrennt werden. Die Staaten der Eurozone sollten sich allein um ihre Probleme kümmern. Langfristig gesehen, muss die Eurozone ausschließlich sie selbst betreffende Projekte entwickeln und nicht für alle 27 Mitgliedstaaten der EU. Dafür ist es wichtig zu ausgeglichenen Haushalten zurückzufinden damit die Akteuren auf dem Markt (Haushalte, Firmen) das Vertrauen wiederfinden und es Wachstum gibt.

JL: Was müsste mittelfristig getan werden, um die Haushalte aufeinander abzustimmen?

Valéry Giscard d’Estaing: Wir müssen die Kohärenz in der Haushalts- und Fiskalpolitik in ein paar Jahren erreicht haben. Eine verpflichtende Koordinierung der Haushalte mit automatischen Sanktionsmechanismen muss eingeführt werden. Außerdem muss die Eurozone einen Generalsekretär einsetzen, der wie in Zeiten des Marshallplans bei der OSZE, für Budget- und Währungsfragen zuständig ist. Diese Aufsicht fehlt im Moment damit die beschlossenen Maßnahmen umgesetzt werden können. Schließlich müssen die Haushalte Schritt für Schritt zu einer ausgeglichenen Situation zurückkehren und die Beschlüsse müssen eingehalten werden. Dafür muss ein Sanktionssystem mit Strafzahlungen oder anderen Strafen eingeführt werden. Zum Beispiel könnten Gelder der Strukturfonds nur für die Staaten vergeben werden, die die Regeln einhalten oder ein Strafgeld könnte zur Abschreckung benutzt werden. Auf dieses System müssen wir Stück für Stück hinarbeiten und es umsetzen.

JL: Aber Sanktionen würden doch weiteren Unmut gegenüber den Europäischen Institutionen verursachen?

Valéry Giscard d’Estaing: Nein. Man muss den Bürgern nur erfolgreich erklären warum die Reformen notwendig sind. Viele denken, dass die Zeiten schlechter Staatsausgaben zu Wachstum führen. Das ist falsch. Wachstum steht für ein gutes Management der Staatsausgaben. Die öffentlichen Ausgaben der europäischen Staaten mit dem größten Wachstum sind in Ordnung. Außerdem kann man sich bei automatisch greifenden Sanktionsmechanismen nicht beschweren. Man müsste der Bevölkerung die Bedingungen unter denen Griechenland Gelder bekommt besser erklären. Die griechische Regierung musste die Gehälter der Beamten um 20% senken und auch die Renten mussten um 20% gesenkt werden. Wenn die Eurozone weiterhin so ein Chaos in der Haushaltspolitik betreibt befinden wir uns bald in der gleichen Situation wie die Griechen. Die Alternative ist ein strengeres Management.

JL: Für diese Reformen brauchen wir eine stärkere demokratische Kontrolle. Sind sie mit den Vorschlägen der CDU einverstanden den Präsidenten der Europäischen Kommission direkt zu wählen?

Valéry Giscard d’Estaing: Ich habe dazu keine abgeschlossene Meinung und glaube, dass das Europäische Parlement darüber diskutieren sollte. Das größte Problem ist, dass es Staaten mit einer hohen Bevölkerungszahl und solche mit weniger Einwohnern gibt. Die Wahl würde hauptsächlich in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien entschieden werden. Meiner Meinung nach muss ein Gremium geschaffen werden, das aus dem Europäischen Parlament und aus nationalen Parlamenten besteht und in einem zweiten Schritt müssen einige der zur Zeit im Rat getroffenen Entscheidungen an diese Instanz übertragen werden. So könnten wir einen direkt gewählten Präsidenten bekommen.

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