Europas zukünftige Rolle in der Welt – Eine Skizze

Zweiter und letzter Teil: Von der Notwendigkeit einer echten gemeinsamen Strategie und Diskussion um letztere

, von  Frank Stadelmaier, Martin Albani

Europas zukünftige Rolle in der Welt – Eine Skizze

Die Europäische Außenpolitik ist momentan nur sehr eingeschränkt zu erkennen. Dabei kommt es in einer sich immer stärker globalisierenden Welt ganz besonders auf Europa an. Drei Dinge braucht die EU, um ihre Handlungsfähigkeit weltweit zu stärken: eine stabile institutionelle Basis, eine klare strategische Ausrichtung und die Rückkoppelung an die Innenpolitik und die Bürger.

Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends geht zu Ende, aber auch 40 Jahre nach Kissingers berühmter Frage scheint die EU noch weit von einer einheitlichen „außenpolitischen Telefonnummer“ entfernt. Die Symptome einer zerfaserten EU-Außenpolitik sind nicht schwer zu finden: Im Juni 2010 erklärt die Kommission auf der Stockholmer Konferenz zur Kontrolle von Quecksilber, dass sie aufgrund eines fehlenden Mandates nicht verhandeln kann. Im September 2010 wird ein Antrag der EU auf erweiterte Mitgliedsrechte bei den Vereinten Nationen vor allem durch die Stimmen derjenigen Entwicklungsländer, die am stärksten von europäischer Entwicklungshilfe profitieren, knapp abgelehnt. Gleichzeitig drängen China und andere Schwellenländer die europäischen Mitgliedstaaten, einen Teil ihrer Sitze im Internationalen Währungsfonds aufzugeben. Diese können sich jedoch vorerst nicht auf einen gemeinsamen Sitz der EU einigen. Im November und Dezember 2010 wird Brüssel schließlich durch tiefgehenden Streit zwischen Europäischem Parlament, Kommission, Mitgliedstaaten und dem Kabinett Ashton über die zukünftige Ausgestaltung des Europäischen Auswärtigen Dienstes erschüttert.

Dies sind nur einige der deutlicheren Schlaglichter, die die europäischen Außenpolitik ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Lissaboner Vertrags charakterisieren. Sie erhellen, was viele gerne im Schatten von Gipfelprotokollen und der unendlichen Vermehrung „strategischer Partnerschaften“ verstecken wollen:

Der Europäischen Außenpolitik mangelt es an einer adäquaten institutionellen Basis.

Der Europäischen Außenpolitik mangelt es an einer adäquaten institutionellen Basis, einer strategischer Ausrichtung und der Anbindung an die Bürger und die Entwicklung in den Mitgliedstaaten.

Institutionen - Der EAD, ein wahrhaft europäischer Dienst oder der verlängerte Arm nationaler Einflusszonen?

Ein Dienst für Frieden, Sicherheit und Konfliktlösung soll der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) werden. Allerdings stellt schon der Aufbau des EAD die beteiligten Akteure vor schwerwiegende Konflikte. Im Spannungsfeld der Machtkämpfe zwischen Mitgliedstaaten, Kommission, Ratssekretariat und dem Europäischen Parlament sitzt Catherine Ashton zwischen allen Fronten. Dabei sind einige Tendenzen zu erkennen, die besonderen Anlass zur Sorge geben: Die Mitgliedstaaten machen zunehmend ihre nationalen Interessen geltend und drängen auf eine Besetzung der Botschafterposten nicht nur nach nationalem Proporz, sondern auch in Bezug auf traditionelle „Einflusssphären“: vorwiegend Franzosen in Westafrika, Spanier in Lateinamerika und die neuen Mitgliedstaaten in Osteuropa. Gleichzeitig versucht ein umtriebiger Ratspräsident Van Rompuy, die außenpolitische Rolle der Regierungschefs der Mitgliedstaaten zu stärken und wichtige Politikfelder vor dem EAD zu besetzen. Und die Kommission ist auf dem besten Weg, sich mit dem EAD in einem kleinkarierten Kompetenzstreit über die Verantwortlichkeit für Krisenprävention und humanitäre Hilfe zu verstricken.

Sollte dieses interinstitutionelle Geschacher um Macht und Posten unvermindert anhalten, droht dem EAD die Rolle einer „lahmen Ente“, bevor er überhaupt jemals flügge werden konnte. Das ist fatal, denn ohne funktionierende Institutionen lassen sich die zahlreichen außenpolitischen Strategien nicht in konkretes, taktisches Handeln umsetzen - aus einer zerfaserten Europäischen Außenpolitik würde eine Farce.

Strategie - Besinnung auf die europäischen Stärken anstatt unendlicher „Gipfelei“ und militärischer Tagträume

Die Grundlage jeder Taktik ist eine wohlüberlegte Strategie. Dabei unterhält die EU momentan strategische Partnerschaften mit neun Staaten, von Mexiko über Kanada bis China und Russland. Die Häufung des Begriffs „Strategie“ erscheint jedoch umgekehrt proportional zu der tatsächlichen strategischen Ausrichtung europäischen Handelns in der Welt zu sein. Denn allzu oft erschöpft sich das „strategische Handeln“ der EU in der Deklarierung von Wertvorstellungen und dem endlosen Aushandeln von Formelkompromissen im Rat. Dabei wird allerdings vergessen, dass die bisher oft erfolgreiche „Soft Power“-Strategie der EU immer stärker an Wirksamkeit verliert. Selbst im erweiterten Nachbarschaftsraum der EU wird mittlerweile deutlich, dass das europäische Ordnungsmodell nicht mehr ohne Konkurrenz ist. China und Russland bieten alternative Entwicklungsoptionen, die von vielen Schwellenländern mit zunehmendem Interesse betrachtet werden.

Ausgangs- und Endpunkt jeder Strategie muss daher ein realistischer Blick auf die tatsächlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten europäischer Außenpolitik sein. Die EU als Einrichtung sui generis kann nicht mit Nationalstaaten gleichgesetzt werden.

So verlockend der Traum von vollgültigen europäischen Streitkräften sein mag, ist es doch zumindest mittelfristig sinnvoller, sich auf die wahren Stärken der EU zu besinnen.

So verlockend der Traum von vollgültigen europäischen Streitkräften sein mag, ist es doch zumindest mittelfristig sinnvoller, sich auf die wahren Stärken der EU zu besinnen. So werden die Mitgliedstaaten den für wirklich strategisches Handeln erforderlichen Machtzuwachs der EU nur billigen, wenn dadurch ein echter Mehrwert für sie entsteht. Im Umgang mit den aufstrebenden Mächten der Weltpolitik oder den Konflikten in Iran, Afghanistan und dem Nahen Osten wird die EU daher vorerst auch weiter am Katzentisch sitzen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass das Beharren der Mitgliedstaaten auf exklusiven bilateralen Beziehungen zu Ländern wie China, Indien oder Russland einer Politik des „divide et impera“ durch das jeweilige Gegenüber Tür und Tor öffnet.

In Bereichen wie Entwicklungszusammenarbeit, Krisenprävention und ziviler Krisenreaktion hat die EU jedoch durchaus Erfolge vorzuweisen, auf die aufgebaut werden sollte. Umso bedenklicher sind die vermehrten Bestrebungen einiger Mitgliedstaaten, die militärischen Kapazitäten der EU auf Kosten der zivilen Fähigkeiten auszubauen. So konnte das Europäische Parlament zwar durchsetzen, die bisherigen Kommissionsabteilungen für Krisenprävention und Konfliktlösung im EAD zu integrieren, deren Stellenwert und die genaue Struktur der Krisenreaktion im EAD ist jedoch nach wie vor völlig unklar.

Es ist höchste Zeit für eine ehrliche strategische Debatte, die diese grundlegenden Fragen beantwortet. Seit der Formulierung der Europäischen Sicherheitsstrategie 2003 hat sich die Welt zum Teil weiterentwickelt, eine Überprüfung ist notwendig. Dabei darf sich eine Europäische Sicherheitsstrategie, die diesen Namen verdient, nicht auf die Postulierung von Wertvorstellungen beschränken, sondern muss mit realistischem Blick auf die eigenen Stärken und Schwächen die Kunst des Möglichen buchstabieren.

Bürgernähe - Innen und Außen sind zwei Seiten der europäischen Medaille

Europäische Außenpolitik kann nur gelingen, wenn sie die Lebensrealität der europäischen Bürger im Blick behält. Innen- und Außenpolitik sind in immer stärkerem Maße miteinander verbunden: sie sind zwei Seiten der einen europäischen Medaille. Dies gilt mittlerweile für beinahe alle zentralen gesellschaftlichen Fragen, von der Reaktion auf die Wirtschaftskrise über die Bedrohung durch Terrorismus und Massenvernichtungswaffen bis hin zum Umgang mit Immigration und Energiesicherheit. Doch heute laufen diese Diskurse – innen und außen - allzu oft noch vollständig getrennt voneinander ab.

Darüber hinaus scheinen die den europäischen Bürgern viel näheren nationalen Medien und die Brüsseler Entscheidungsträger bisweilen auf zwei verschiedenen Planeten zu leben. National einflussreiche Think Tanks wie die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, das Pariser Institut Français des Relations Internationales oder die Madrider Fundación para las Relaciones Internacionales sind kaum auf der europäischen Ebene präsent; einflussreiche Brüsseler Think Tanks wie das Centre for European Policy Studies und das European Policy Centre sind dagegen nur in Brüssel, der European Council on Foreign Relations überhaupt nicht in Brüssel vertreten. Gleichzeitig spielen die Nationalen Parlamente bisher so gut wie gar keine Rolle bei der Kontrolle europäischer Außenpolitik.

Die Gestaltung der Europäischen Außenpolitik darf aber nicht nur die Sache von Experten oder der Exekutive sein, sondern muss zentral im demokratischen Leben verankert werden.

Die Gestaltung der Europäischen Außenpolitik darf aber nicht nur die Sache von Experten oder der Exekutive sein, sondern muss zentral im demokratischen Leben verankert werden.

Nur so lässt sich das Bewusstsein für eine einheitliche europäische Außenpolitik bei Medien und Bürgern stärken. Voraussetzung dafür ist allerdings die Re-Europäisierung der europäischen Eliten selbst. Denn mit Merkel, Sarkozy und Berlusconi hat ein Fokus auf nationale Interessen in der EU Einzug gehalten, der weit von dem europäischen Geist von Kohl, Giscard d’Estaing oder Prodi entfernt ist. In diesem Sinne kann die im November 2010 von mehreren Fraktionen im Europäischen Parlament gegründete Spinelli-Gruppe ein erster Schritt zurück zu mehr europäischem Bewusstsein darstellen. Aber auch sie kann letztlich nur ein Anstoß sein, eine viel breitere öffentliche Debatte anzuregen. Denn die zukünftige Rolle Europas in der Welt sollte nicht nur auf Brüsseler Institutionsfluren verhandelt werden, sondern in Debatten und Diskussionen überall in Europa.

Der erste Teil erschien am 1. Januar 2011: "Die Zukunft der europäischen Außenbeziehungen – eine notwendige Debatte"

Titelbild: Logo des Europäischen Auswärtigen Dienst.

Siehe auch:

Webseite des EAD

Youtube-Kanal des EAD

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