„Europa wird durch konkrete Tatsachen entstehen“

Zum 61. Jahrestag der Schuman-Erklärung

, von  Marian Schreier

„Europa wird durch konkrete Tatsachen entstehen“
Schuman-Gedenkstein und Berlaymont-Gebäude, Hauptsitz der Euroopäischen Kommission in Brüssel. Bild 1 von redvers, bestimmte Rechte vorbehalten, Bild 2 (c) Simon Schafheitle.

„Der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa für die Zivilisation leisten kann, ist unerlässlich für die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen.“ Robert Schuman am 09. Mai 1950.

Ob Robert Schuman damals ahnte, dass seine Worte zur längsten Friedensperiode in der Geschichte Europas, einer gemeinsamen Währung und dem Ende nationaler Grenzen führen würden ist nicht überliefert. Er wusste aber, dass jede Generation neu um die europäische Idee und ihre Erfolge ringen muss – heute vielleicht mehr als damals. Denn: nationale Interessen drohen Oberhand zu gewinnen, europäische Errungenschaften werden in Frage gestellt, vielen (Integrations-)Fortschritten folgen Rückschritte – drei Beispiele.

EU-Außenbeziehungen: Keine, eine, zwei, drei, viele Stimmen?

Der Vertrag von Lissabon gab der europäischen Außenpolitik endlich die lang erwartete Telefonnummer und ein Gesicht. Nach einem holprigen Start schien die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton allmählich Fuß zu fassen auf dem internationalen Parkett. Dann kam der arabische Frühling und mit ihm das Europa der vielen Stimmen zurück. Erst spät reagierten die Hohe Vertreterin und die Union auf die Revolution in Tunesien und auf die Fehler in der Nachbarschaftspolitik. Gleichzeitig gelang der EU in der letzten Woche ein zentraler Schritt in der Außenpolitik mit dem Rederecht in der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Dies wird der EU stärkeres Gewicht auf der internationalen Bühne verleihen, wenn man sich intern einigen kann, wer schlussendlich spricht: Herman van Rompuy oder Catherine Ashton. Die Beteiligung in der Generalversammlung darf jedoch nicht den Schlusspunkt bilden. Die EU sollte eine aktive Rolle im Reformprozess der Vereinten Nationen spielen, der nicht nur auf eine Umgestaltung des Sicherheitsrats begrenzt ist.

Finanz- und Wirtschaftspolitik: Alle für Einen?

Mit der Einrichtung des Europäischen Stabilisierungsmechanismus’ als Folge des Europäischen Rats vom 24. März und der wirtschaftspolitischen Koordinierung durch das neugeschaffene „Europäische Semester“ hat die Europäische Union Integrationsschritte vollzogen, welche wenige Jahre zuvor undenkbar gewesen wären. Wie weit die Kooperation in der Praxis dann geht und vor allem welche Effekte sie zeitigt, müssen die ersten „Europäischen Semester“ zeigen. Die Kehrseite der Medaille sind die mediale Begleitung und der Entstehungsprozess. Die Entwicklung der beiden neuen Mechanismen wurde von teils heftigen nationalen Ressentiments in der nationalen Presse begleitet, z.B. forderte die BILD-Zeitung den Verkauf griechischer Inseln. Auch das anfängliche Zögern von Kanzlerin Angela Merkel ließ europäische Solidarität vermissen. Ganz zu Schweigen von den Äußerungen Hans Werner Sinns, der jüngst Griechenland die Wiedereinführung einer nationalen Währung empfahl.

Schengen: Einen Schritt vor und zwei zurück

Als Reaktion auf die Flüchtlingsströme aus Nordafrika und die zeitlich begrenzten Aufenthaltsgenehmigungen Italiens, hat Frankreich seine Grenzkontrollen wieder eingeführt. Damit ist ein zentrales europäisches Projekt – der Schengenraum –gefährdet. Am 4. Mai 2011 hat die Europäische Kommission in einer Kommunikation Stellung bezogen und die befristete Einführung von Grenzkontrollen in Ausnahmesituationen ins Spiel gebracht. Die Bewertung solcher Situationen soll dabei in die Hände eines Expertengremiums, bestehend aus Mitgliedern von FRONTEX, den Mitgliedsstaaten, unter der Leitung der Kommission, gelegt werden. Die katastrophalen Folgen eines Zurückruderns bei den Grenzkontrollen können gar nicht überschätzt werden, vor allem weil die Reisefreiheit auch eine der besonders sichtbaren Erfolge der EU ist. Auf der anderen Seite würde die Einsetzung eines europäischen Kontrollgremiums Schengen aus der zwischenstaatlichen Zuständigkeit auf die europäische Ebene holen – ein Fortschritt.

„Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen“

Die drei Beispiele zeigen die Ambivalenz aktueller EU-Politik – ein Wechselspiel zwischen Fort- und Rückschritt. Die Europäische Union ist nicht am Reißbrett geplant worden; sondern sie wächst. Mehr noch: die europäische Idee muss mit Leben gefüllt werden, nicht nur heute, sondern Tag für Tag!

„Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Taten schaffen.“ (Robert Schuman)

Ihr Kommentar
  • Am 9. Mai 2011 um 12:10, von  Niklas Als Antwort „Europa wird durch konkrete Tatsachen entstehen“

    Immer dieses Gegenüberstellen zwischen ProEuropa/GegenEuropa. Nur weil man hinsichtlich einer Transferunion zögerlich ist, heißt das nicht gleich mangelnde Solidarität... Dieser Diskurs ist gestört, verkennt die marktwirtschaftliche Grundprinzipien und sollten wir als JEF-Deutschland nicht immer befördern. Bei den anderen Punkten bin ich voll dacore. Hier wird Europa leider nicht an einem Tag gebaut!

    Greetz Niklas

  • Am 9. Mai 2011 um 23:48, von  Lars Becker Als Antwort „Europa wird durch konkrete Tatsachen entstehen“

    Hey Niklas,

    Transferunion ist doch auch so ein schwarz-weißer Kampfbegriff. Die Befürchtung die EU würde zur Transferunion finde ich jedenfalls ziemlich abenteuerlich, denn zum einen IST die EU bereits Transferunion (Stichwort: Agrarsubventionen — die man tatsächlich noch viel kritischer hinterfragen sollte) und zum anderen ist nicht jede Transferzahlung grundsätzlich unsinnig oder gegen Prinzipen der (sozialen) Marktwirtschaft.

    Liebe Grüße Lars

  • Am 10. Mai 2011 um 12:18, von  Niklas Als Antwort „Europa wird durch konkrete Tatsachen entstehen“

    Hey Lars,

    also das mit den Agrarsubventionen ist ganz klar kritikwürdig, wobei hier mittel auch wieder zurückfließen und sich für den verbraucher zumindest in niedrigeren lebensmittelpreisen(d.h. unabhängig vom weltmarkt) niederschlagen. Allerdings ist trotzdem zu fragen, ob wir ein Europa wollen, in dem wir das Risiko privater Banken in dauerhafterweise auf den Steuerzahler abwälzen wollen oder nicht. Die Frage ist dann: Braucht es nicht einen notwendigen politischen Druck auf diese Länder ihre strukturellen Reformen auf den Weg zu bringen? Brauchen wir nicht ein Insolvenzverfahren (Der ESM ist enthält ja offenbar nicht so einen Mechanismus) um Gläubiger stärker zu beteiligen? (Im Moment fließen die Transfers ja nicht in Investitionen sondern einfach in die Banken). Die Zögerlichkeit Deutschlands halte ich dann aus verhandlungstaktischen Gründen zumindest für sehr verständlich. Transferunion ist natürlich ein Kampfbegriff, aber immer dieses Gerede von einem neuen nationalistischen Rückfall Deutschlands und einer Mrs. Germania ist es auch.

    Liebe Grüße,

    Niklas

  • Am 10. Mai 2011 um 15:55, von  Aymeric L. Als Antwort „Europa wird durch konkrete Tatsachen entstehen“

    @ Niklas

    Wozu ein Insolvenzverfahren? Die Lage in Griechenland und Portugal ist doch schon verheerend genug. Und nicht nur weil diese Länder Fehler gemacht haben -und teils gelogen haben. Auch weil die EU-Prinzessin und ihr Narr Westerwelle sich monatelang nicht entscheiden konnten. Das hat nur die Krise verschärft und die Rechnung verteuert, die man am Ende eh bezahlen muss. Genau wie im Fall Libyen würde ich sagen: Die gleichen Fehler, die gleichen Folgen. Man hat zu lang gezögert.

    Dazu sollte man einräumen, dass die von der EU durchgesetzte „Lösung“ für Griechenland, Irland und Portugal wahrscheinlich nur die Wirtschaftskrise stärker macht. Um wie viel ist das BIP der drei Länder 2010 zurückgegangen?

    Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler, aber ich fange an zu befürchten, dass all das, was wir Griechenland aufzwingen, am Ende die Rechnung für alle teurer machen wird. Denn, egal was wir mit Portugal oder Griechenland jetzt machen werden, sei es neue Steuern einzuleiten, oder das Gehalt der Beamter zu kürzen: wir, die EU, werden alles bezahlen müssen, solange diese Länder den Weg zum Wirtschaftswachstum nicht wiederfinden.

    Könnte ein Insolvenzverfahren diese Tatsache ändern? In der Zukunft vielleicht, um andere Staaten zu einer gesunden Haushaltspolitik zu zwingen. Aber im gegenwärtigen Fall würde jede Rede um ein solches Verfahren die Lage nur verschlechtern. So funktionieren Finanzmärkte, so ist es.

    Das Problem ist dass Deutschland zurzeit von Ideologen regiert wird. Merkel und Westerwelle haben vielleicht gute Prinzipien, aber sie verstehen nicht, dass ein gutes Krisenmanagement mehr als gute Prinzipien benötigt.

  • Am 10. Mai 2011 um 17:00, von  Niklas Als Antwort „Europa wird durch konkrete Tatsachen entstehen“

    Lieber Aymeric,

    Griechenland und Portugal stehen bestimmt nicht so schlecht da, weil Deutschland so lange gezögert hat. Bei Portugal halte ich die aktuellen Hilfen noch für gerechtfertigt. Bei Griechenland allerdings denke ich, dass die Umschuldung kommen muss. Ein Insolvenzverfahren kann hier helfen unsichere Zeiten zu überbrücken und eine gewisse Stabilität hereinzubringen. Es geht hier im Übrigen darum ,den Staat wieder resolvent zu machen und einen ständige Schuldenspirale zu vermeiden. Ich sehe hier keinen anderen Ausweg. Zu erwägen wäre die wachsenden Risikoaufschläge bei den anderen Staaten eventuell mit Bluedbonds (aber auch sehr dezidiert!) aufzufangen. Ansonsten scheint mir die Sinnhaftigkeit eines ernsthaften Insolvenzverfahren/Mechanismuses doch auf der Hand zu legen. Es muss verhindert werden, dass wieder nur die Banken gewinnen und die Steuerzahler und der kleine Mann die Blöden sind! Soziale Marktwirtschaft heißt man trägt das Risiko für seine Investition (deswegen müssen die Banken ohnehin auch mit mehr Eigenkapital haften!) Wenn das nicht mehr besteht, dann entstehen eben genau solche Verschuldungsprobleme. Das Argument die derzeitigen Sparprogramme seien Strafen und Anreize für gute Haushaltspolitik genug, verkennen die politische Dynamik und sehen eben nicht den einzigartigen Disziplinierungseffekt der Finanzmärkte. Zumal auch der reformierte SWP nicht die Probleme lösen wird.

    siehe auch http://www.treffpunkteuropa.de/Eurokrise-Neuer-Europaischer-Stabilitatsmechanismus

  • Am 12. Mai 2011 um 08:13, von  Christoph Als Antwort „Europa wird durch konkrete Tatsachen entstehen“

    Hey Niklas,

    im Grunde ist dein Ansatz ja lobenswert, aber was kommt danach? Mir fehlt über den derzeitigen Debatten - die in meinen Augen lediglich Symptombekämpfung darstellen - der echte Wille, die Missstände in Europa abzubauen, welche erheblich in der wirtschaftlichen Spannungslage gründen. Wenn Griechenland der todkranke Patient ist, dann versuchen die gegenwärtig debattierten Mechanismen ihn lediglich an lebenserhaltende Maschinen anzuschließen, statt ihn gesunden zu lassen. Die Öffnung des europäischen Binnenmarktes hat die Nationalstaaten entgegen der Solidaritätsidee in einen dramatischen wirtschaftlichen Wettbewerb gesetzt. Strukturschwache Staaten sind den produktiveren Wirtschaften und ihren global aufgestellten Riesenunternehmen schutzlos ausgeliefert und haben nicht das Geld eigene, wettbewerbsfähige Industrie aufzubauen. Langfristig denke ich, wird man also um einen europäischen Ausgleich nicht umher kommen, will man die EU auf dauer stabilisieren. Statt sinnlos Sparprogramme aufzulegen, gilt es Griechenland in einer Art Marschalplan einen Aufbau von konkurrenzfähiger Industrie zu ermöglichen, damit sie auch langfristig auf eigenen Beinen stehen können.

  • Am 17. Mai 2011 um 23:59, von  Niklas Als Antwort „Europa wird durch konkrete Tatsachen entstehen“

    „Wollen wir ein Schrecken ohne Ende oder ein Ende mit Schrecken?“ Peer Steinbrück im ARD-Brennpunkt. http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video912136.html. Die Frage ist nicht nach dem Ob sondern nach dem Wie eines Schuldenschnitts!!!

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