Europa muss stolz auf sich sein!

, von  Matthew Heywood-Cunliffe , Übersetzt von Eva Olschewski

Europa muss stolz auf sich sein!
Foto: © European Parliament/2013

Ein Parlament, ein Präsident, ein Außenminister und eine gemeinsame Währung – das nunmehr seit 60 Jahren geeinte Europa ähnelt immer mehr den USA. Auch sie sind eine vielfältige Föderation aus größtenteils unabhängigen Staaten, die fast ein Vierteljahrtausend existiert. Warum ist es aber so viel schwer, die Union Europas zu wahren als die Amerikas?

Das Ego der einzelnen Mitgliedstaaten verlangsamt die Einigungsbemühungen in der EU. Großbritannien blockiert weiter essenzielle Schritte einer tiefergehenden Integration, die einst begeisterten Verfechter der Einheit wie die Niederlande fordern weniger Macht für Brüssel. In einflussreichen Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich entwickeln sich anti-europäische Bewegungen. Der europäischen Jugend ist immer weniger bewusst, warum ihre Eltern und Großeltern so für die Einheit des Kontinents gekämpft haben.

Eurokraten schlagen kein Kapital aus ihrer Geschichte

Es scheint, dass es der EU an Stolz darüber fehlt, Europäer zu sein. Einigkeit über Stolz zu erreichen ist kein neues Konzept. Eurokraten haben es Jahrzehnte lang versucht, daraus entstand ein wenig durchdachtes Motto, eine lyriklose Hymne und ein Gedächtnistag, der sich auf eine Verkündigung eines Mannes bezieht, von dem die wenigsten schon mal gehört haben. Sie wollen richtiger weise den Stolz auf die Europäische Union stärken, doch scheitern sie daran, ihre gemeinsame Geschichte dafür zu nutzen. Die USA und die EU sind beide “in Vielfalt geeint”, die EU kann sich jedoch an Amerika orientieren, wenn es darum geht, nationalen Stolz (im Falle der EU supranationalen) zu generieren. Es ist Zeit, das europäische Ego über eine stärkere Gewichtung der Gründungsprinzipien Frieden, wirtschaftliches Wachstum und Stabilität auszubauen.

Als Bürger der Vereinigten Staaten bin ich mir bewusst, dass unsere Einheit aus dem Glauben entstanden ist, in allem der Beste zu sein. Wir Amerikaner bezeichnen uns oft selbst als “großartigste Nation der Welt” und obwohl viel darauf hindeutet, dass dem nicht so ist, hat die Überzeugung unser “wir”-Gefühl gestärkt. Wenn wir uns die USA geografisch anschauen, scheint unsere Föderation unregierbar. Die fünfzig Staaten sind nicht nur administrative Teile auf einer Karte, die nur in der Form existieren, um den Verwaltungsaufwand zu vereinfachen. Das ist nicht der Fall – sie unterscheiden sich in ihrer Kultur, Sprache, politischer Denke und wurden im Laufe der Zeit durch Erweiterungen, die von Regionalismus und verschiedenen Ansichten über die Bildung unabhängiger Staaten geprägt waren, zusammengelegt. Jeder Staat hat seine eigenen Gemeinden und Legislaturen und jeder ist freiwillig Teil der Union.

Heute setzen sich Menschen für die Etablierung einer offiziellen Religion ein, Staaten plädieren für Englisch als Amtssprache, während immer mehr Menschen Spanisch sprechen. Politische Bewegungen spalten Kalifornien und Washington, Illinois ist ein Resultat aus Stadt-Land-Differenzen. Engagierte Bürger kämpfen aus Verachtung der Föderation für eine Abspaltung Alaskas und Texas. Aber verglichen mit dem blutigen Bürgerkrieg, den wir einst über die Rechte von Staaten führten, sind das nur kleine Spannungen.

Trotz dieser Differenzen bleibt Amerika in einer Föderation vereint. Warum hat sie nicht auch das Schicksal der jugoslawischen Föderation, der Sowjetunion – manche sagen sogar das Schicksal der EU – eingeholt? In den Generationen nach dem Bürgerkrieg ist den Amerikaner ein Gedanken nie abhanden gekommen: Zusammen sind wir besser als ihr. Mit diesem Gedanken können wir in einem sozialen Klima, wo Kapitalismus den Wettbewerb antreibt, argumentieren: Einigkeit ist besser als Uneinigkeit. Ja, das ist sehr selbstzentriert, aber der Gedanke, dass wir die Besten sind, hat den entscheidenden Funken dazu beigetragen, unsere Union zu wahren. Stolz zu sein im Kampf um Frieden und ökonomische Stabilität kann in Europa reparierend wirken.

Der vierte Juli, der Independence Day, kennzeichnet den Tag im Jahre 1776, als die damals noch 13 Staaten ihre Unabhängigkeit von König George III von Großbritannien erklärten. An jedem 4. Juli ist die ganze USA behangen mit US-Flaggen, Feuerwerke erhellen in jeder noch so kleinen Stadt den Himmel, patriotische Lieder über Einheit und das Amerikanersein spielen rauf und runter. Warum? Weil Amerika feiert, dass wir uns gemeinsam von der Gewaltherrschaft befreit haben und die „größte“ Nation der Welt geschaffen haben – mag es wahr sein oder nicht.

Wenn man mit Europabegeisterten über den vierten Juli spricht, heißt es typischerweise: Wir haben doch den Europatag. Die zwei sind aber nicht ein und dasselbe. Ich war am Europatag in Straßburg – es war kein Vergleich zum euphorischen Gefühl nationaler Einheit, das ich aus Amerika kenne. Die USA sind nicht die einzigen im Kampf gegen die Tyrannei, wir können einfach besser Kapital daraus schlagen. In Wirklichkeit steckt in der EU das Potenzial, Stolz und Einheit herzustellen, indem es seine Geschichte als Kampf gegen die Gewaltherrschaft und für Frieden und Freiheit feiert. Während Amerika die Unabhängigkeit von einer einzigen Macht feiert, könnte Europa sich auf den Tag einigen, an dem der zweite Weltkrieg endete: Nicht nur siegte Europa über verschiedene Diktaturen, sondern auch über Adolf Hitler, den größten Tyrann aller Zeiten. Diese Befreiungsschlacht hat ganz Europa ausgetragen – die Alliierten direkt und die ehemalige Achse indirekt, indem sie sicherstellten, dass es nie wieder eine solche Angstherrschaft auf dem Kontinent geben wird. In diesem Sinne verfügt Europa über die größte Befreiungsgeschichte, die der Menschheit bekannt ist, und es kann sich diese zunutze machen.

Denkt darüber nach. Ein arbeitsfreier Tag in ganz Europa, Feuerwerke in den europäischen Metropolen, die Straßen voll mit EU-Flaggen, alle Feierlichkeiten werden mit der europäischen Hymne eingeleitet. Das alles, um den langen Frieden in Europa zu würdigen: Eine Ode an die Freude für einen wirklich freudigen Anlass.

An keinem anderen Tag fühlen sich Amerikaner amerikanischer. Wir vergessen unsere Differenzen, wenden uns ab von der Teilung der Staaten und zelebrieren die Union, für deren Gründung und Erhalt wir so lange gekämpft haben. Dieser Tag ist ein Teil unserer gemeinsamen Identität und “Victory in Europe Day” kann auch auf die EU einigend wirken. Europas Frieden und Demokratie sind besser als Tyrannentum.

Geeint ist die EU ein Schwergewicht, das die USA in den Schatten stellt

Die Amerikaner sind nicht nur stolz darauf, in der Revolution die Briten übertrumpft zu haben, sondern auch, die größte und stärkste Wirtschaftskraft weltweit zu sein. Nach dem Fall der Sowjetunion gab es keinen Zweifel, wer die umfangreichsten Kapazitäten auf dem Planeten hatte. Amerikanern ist klar, dass sich die ökonomische Wirtschaftskraft einzelner Staaten auf die Union auswirkt. Die größte Volkswirtschaft in den USA – Kalifornien – wäre die acht größte der Welt, stünde es allein. Auch wenn dieses Beispiel nur die relative Stärke Kaliforniens zeigt, demonstriert es doch, wie klein unsere einzelnen Konjunkturen auf der Weltbühne sind. Und weil Amerikaner grundsätzlich annehmen, dass Wirtschaftskraft mit nationalem Wohlstand zusammenfällt, erinnert uns unsere Position als größte Weltwirtschaft daran, dass Einheit besser für das Individuum ist. So bewahren wir den Glauben in unsere gemeinsame Währung und zwischenstaatlichen Handel.

Auf der Grundlage wirtschaftlicher Stabilität gegründet, hat die Europäische Union das Potenzial, ihre wirtschaftliche Vorreiterstellung wie die USA zu nutzen. Wie die amerikanischen Staaten haben die europäischen immer weniger Mitspracherecht im globalen Wirtschaftsgeflecht. Es zeigt sich, dass die EU-Mitgliedstaaten ihren Einfluss verloren haben, seit die USA, China und Japan die ersten drei Plätze in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) belegen. Die wirtschaftliche Kraft der EU findet sich in der Einheit. Nur einige wenige sind sich bewusst, dass die Summe der EU-Staaten die USA im BIP überholt. Ohne Einheit fehlt es ihr an Einfluss und Glauben.

Europa braucht eine geeinte Identität, auf die es stolz sein kann

Trotz aller Gemeinsamkeiten – als uneingeschränktes Vorbild können die USA für die EU nicht herhalten. Wir unterscheiden uns drastisch im politischen, kulturellen, historischen und ethnischen Bereich. Trotzdem können wir der EU vor dem Hintergrund unserer 200-jährigen Geschichte als Föderation vielleicht unter die Arme greifen. Um eine stabile Union zu gewährleisten, ist es wichtig, eine einzige Identität zu haben – auf die jeder stolz ist. Das hat Amerika zusammengehalten und wenn Europa diese Erfahrung nutzt, kann sie dasselbe Ergebnis hervorbringen. Mit dem Fokus auf wirtschaftliche und humanitäre Leistungen kann die EU ihre Bürger davon überzeugen, dass es ihnen in einer Union besser geht und dass sie stolz darauf sein können, sich Europäer nennen zu dürfen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch bei one-europe.info.

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