Europa City: Was wenn Europa sich eine neue Hauptstadt wählte? (2/3)

, von  Maël Donoso, Übersetzt von Luise Papcke

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Europa City: Was wenn Europa sich eine neue Hauptstadt wählte? (2/3)

Stellen wir uns vor, dass das föderale Europa das Licht des Tages erblickt und dass die Gründung einer europäischen Hauptstadt entschieden wird. Wie soll sie heißen? Und wo soll sie erbaut werden?

Wir haben im ersten Teil des Artikels den Nutzen gezeigt, den ein autonomes politisches Zentrum für föderale Staaten hat. Man muss jedoch zugestehen, dass die Namen dieser föderalen Hauptstädte nicht gerade vor Originalität strotzen (Brasilia) oder schlicht und einfach bereits bestehende Namen übernehmen (Canberra und Neu Delhi). Es ist schwierig, zu wagen visionär zu sein, ohne einen Konsens zu erschweren, und die Stadt zu taufen, die Kopf einer Föderation sein soll, ist eine schwierige Angelegenheit. Wenn Europa vor dieser Wahl stehen würde, wie würden wir unsere Hauptstadt nennen?

Der kleinste gemeinsame Nenner, ein Personenname oder ein mythologischer?

Wenn es darum geht, Namen zu finden, haben wir Europäer in den letzten Jahren nicht gerade mit Kreativität brilliert, man denke an den „Euro“ als Namen für unsere gemeinsame Währung. „Europa City“ ist also die am wenigsten gewagte Option, auch wenn sie nicht vor Einfallsreichtum sprüht. Der Ausdruck ist allerdings englisch und Englisch ist nur eine der offiziellen europäischen Sprachen. Man könnte sich linguistische Anpassungen vorstellen wie „Cité d’Europe“, „Europa Stadt“, etc.

Aber eine solche Anpassung des Namens könnte den gegenteiligen Effekt zu dem angestrebten haben: Anstatt ein Ort der Zusammenkunft zu werden, könnte Europa City, wegen ihres Namens selber, zum Ort sprachpolitischer Friktionen werden. Ein einheitlicher Name wäre somit vielleicht vorzuziehen, aber auf welcher Sprache? Man könnte Latein oder Esperanto wählen, falls eine dieser Sprachen genügend Befürworter finden würde. In jedem Fall bleibt Europa City ein sehr einvernehmlicher Name, genauso wie New Europe, wobei bei dieser zweiten Option die lateinische Version, Europa Nova, einen schönen Klang besitzt.

Was würden die Gründer der Vereinigten Staaten an unserer Stelle tun, oder eher, was haben sie gemacht? Sie haben ihrer Hauptstadt den Namen einer sehr berühmten Person gegeben. Eine relativ unwahrscheinliche Lösung für Europa, solange wir noch Mühe haben, uns über den Wert und die Bedeutung historischer Personen einig zu werden. Man könnte die Stadt vielleicht höchstens Churchill nennen.

Aber dies scheint für den Moment noch schwierig in Betracht zu ziehen. Es bleiben also mythologische Namen, immer wirkungsvoll und umgeben von einem köstlichen antiken Hauch. Geht man nach dem intensiven Gebrauch des Namens „Europa“, der phönizischen Prinzessin, die von Zeus auf unseren Kontinent entführt wurde, sollten wir keinerlei Probleme haben, einen ähnlichen Namen für unsere Zwecke zu finden. Könnte sich die europäische Hauptstadt Odysseus nennen? Oder Olympia? Oder auch Helios, die Sonne, in Anlehnung an das Kreismotiv der Europa-Flagge ?

Es ist nicht verboten, kühn zu sein. Die Stadt könnte beispielsweise Atlantis heißen, in Anlehnung an diese mystische Zivilisation des Atlantis. Sie könnte auch Babel heißen. Die Wahl des Städtenamens ist nicht unbefangen und wenn eine föderale Hauptstadt tatsächlich entstehen sollte, können wir darauf wetten, dass die Debatte um den Namen viel über die Werte und die Geschichte Europas aussagen würde. Zudem würde uns die Namenswahl vor eine weitere sprachliche Herausforderung stellen: Welche Sprache sprächen die Bürger dieser Stadt? In welchem Alphabet oder Alphabeten schriebe man die Straßennamen? Diese Fragen könnten die Debatte zur Mehrsprachigkeit wieder aufleben lassen, oder gar zu der Einführung einer europäischen Verkehrssprache führen.

Eine strategische Lage im Herzen Europas

Europa City (oder welcher Name auch immer dieser Stadt gegeben werden würde) müsste eine so zentrale Lage wie möglich in Europa einnehmen und vergleichsweise nah an den nationalen Hauptstädten liegen. Gegenwärtig ist Brüssel gut gelegen mit Blick auf das Dreieck Paris, London und Berlin, aber seine Lage scheint je weniger zentral, desto mehr sich die Union nach Osten und Süden ausweitet und verlagert. Man braucht also eine Lage, die näher an dem Schwerpunkt Europas liegt, den man mittel- und langfristig voraussehen kann im Rahmen der sicherlich anhaltenden Erweiterungen.

Es scheint daher logisch, Europa City in Deutschland anzusiedeln und zwar eher im Zentrum oder im Süden des Landes. Einst Bruchlinie während des Kalten Krieges, bleibt Deutschland auch heute ein zentraler Staat in Europa als wichtige Schnittstelle zwischen Osten und Westen. Eine so strategische Lage stünde der Hauptstadt eines föderalen Verbundes gut an, da sie sich immer noch in vernünftiger Entfernung zu Paris, London und Berlin aber gleichzeitig näher an Rom und Warschau sowie in einer im circa gleichen Distanz zu Madrid befinden würde. Es wäre keine sehr große Veränderung, würde aber bereits eine Schwerpunktverlagerung Europas gen Süd-Osten bewirken.

Es bleibt natürlich die Frage nach der genauen Lage der Stadt, also an welchem Ort genau sie erbaut werden würde. Europa City würde mit aller Wahrscheinlichkeit ein wichtiges urbanistisches Zentrum werden und da Deutschland ein dicht bevölkertes Land ist, wäre es nicht einfach, eine geeignete Region zu finden, in der man die Stadt ansiedeln könnte. Das Relief und die Natur des Terrains, sowie die Frage nach den natürlichen Ressourcen, die unter Umständen durch die Stadt gefährdet würden, sind alles Variablen, die vor der Umsetzung des Projektes bedacht sein wollen. Diese Probleme scheinen allerdings keinesfalls unlösbar.

Eine Stadt als Drehscheibe und Schnittstelle Europas

Europa City müsste sich ebenfalls im Herzen des europäischen Kommunikations- und Verkehrsnetzes befinden. Dies setzt eine ideale Verortung mit Hinblick auf die Eisenbahnlinien sowie Fluglinien voraus. Wenn die föderale Hauptstadt jemals entstehen sollte, würde sie schnell zum wichtigen Knoten des Flugverkehrs, daher müsste ihre Konstruktion auf die Struktur des bisherigen europäischen Flugverkehrs Rücksicht nehmen.

Den idealen Standort für Europa City zu finden, macht eine Reflexion und Abstimmung zwischen einer Reihe von Akteuren und allen Mitgliedsstaaten nötig. In dieser Hinsicht wäre die Gründung einer europäischen Hauptstadt an sich bereits eine heilsame Übung in Kommunikation und Austausch zwischen den Partnern aus ganz Europa. Hier tut sich ein möglicher Vorteil auf: Sollte die Gründung und die Entwicklung Europa Citys korrekt vonstatten gehen, könnte dieser neue Kommunikationsknoten den europäischen Austausch generell vereinfachen.

Es wäre vor allem ein effizienter Weg, Belgien zu entlasten, dessen Verkehrsdichte auf Autobahnen und Eisenbahnlinien die größte der Welt ist. Man kann an dieser Stelle das Problem auch umgekehrt stellen: Kann Brüssel angesichts der gegenwärtigen Verkehrslage Belgiens, vor allem die der Straßen, die nahezu gesättigt sind, noch die Rolle einer europäischen Hauptstadt übernehmen, wenn diese mit wachsendem Verkehrsaufkommen verbunden ist? Dies scheint zweifelhaft. Die Gründung einer neuen Hauptstadt, die von vornherein auf optimalen Verkehr und Kommunikation hin angelegt ist, scheint also auch in dieser Hinsicht ein interessanter Lösungsweg.

Wir haben nun Überlegungen dazu angestellt, welchen Namen Europa City erhalten könnte und wo sie angesiedelt werden sollte. Im dritten Abschnitt werden wir einige Ideen zur Stadt selbst vorstellen, zu ihrer Struktur und den Institutionen, die in ihr angesiedelt werden könnten.

Bild : Potsdamer Platz, Berlin.

Quelle : Michael J. Zirbes, Wikimedia.

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