Einmal Weltuntergang für Anfänger, bitte!

Ungarisches Mediengesetz: Warum die internationale Presse nicht objektiv berichtet.

, von  Anita Pöltl

Einmal Weltuntergang für Anfänger, bitte!

Glaubt man den internationalen Medien so befindet sich Ungarn auf direktem Weg in die Diktatur. Ein umstrittenes Mediengesetz soll die Pressefreiheit einschränken und der Regierungspartei volle Kontrolle der Medien ermöglichen. Anita Pöltl wohnt in Ungarn und hinterfragt dieses Urteil. Ist die Lage in Wirklichkeit gar nicht so dramatisch?

Alle einmal durchatmen. Entspannen. Und dann erst los. Diesen frommen Wunsch hegt man bei vielen Artikeln, die zu Ungarn und seinem neuen Mediengesetz durch die Presse geistern. Vom „Untergang der Demokratie“ und dem „Umbau zu einer Diktatur“ ist dort zu lesen, von Anspielungen auf Weimar und Faschismus, dem „Aufstieg der Rechten“, „Antisemitismus“ und „Nationalismus“ – kurz: Alles was bei uns geschichtsbewussten Deutschen die Alarmglocken schrillen lässt. Aber findet in Ungarn tatsächlich die Generalprobe für den politischen Weltuntergang statt? Dazu ein paar Hintergrundinformationen – von innen. Was In Ungarn zusammen gekommen ist, ist ein Mix aus drei schwierigen Komponenten:

1. Ungarische Mentalität: „Wir gegen den Rest der Welt“

Ungarn ist ein vergleichsweise kleines Land. Und die Sprache, so wunderschön sie auch klingt, ist nicht gerade die einfachste. Das liegt zum Beispiel daran, dass sie mit keiner anderen Sprache vergleichbar ist, weil auch die Ungarn eigentlich überhaupt nicht aus dieser Region stammen (anders als die Slawen kamen die Ungarn vor Tausenden Jahren aus der Mongolei in das Karpatenbecken). Und das ist ein nationales Grundgefühl: Wir sind umgeben von Anderen. Viele andere, wenige Ungarn. Das schweißt zusammen, das kreiert ein starkes Wir-Gefühl, aber auch eine kleine, feine Paranoia gegenüber der nichtungarischen Umgebung und entsprechende Schutzinstinkte für Mit-Ungarn. Dazu kommt, dass Ungarn eigentlich ständig besetzt war: Erst Österreicher, dann Deutsche, dann Russen. Immer mal wieder ein paar Jahrzehnte Freiheit, aber das reicht nicht, um Selbstständigkeit zu üben und vor allem verstärkt es die oben beschriebenen Effekte: „Nie wieder Fremdbeherrschung!“.

2. Politisch–mediale Situation: „Wir gut, die böse“

Ungarn ist ein politisch zutiefst gespaltenes Land. Die beiden großen Parteien, die aktuell regierende FIDESZ (Bund junger Demokraten, Mitte rechts) und die MSZP (Ungarische Sozialistische Partei, Mitte links) sind nicht einfach nur anderer Meinung, sie führen einen regelrechten Meinungskampf. Jede Partei nutzt dabei die ihr nahestehenden Medien, eine neutrale Berichterstattung wie wir sie aus Deutschland kennen, ist hier kaum zu bekommen.

In den letzten acht Jahren war die MSZP an der Regierung und das leider nicht nur erfolgreich: Unter anderem wurde eine Rede des damaligen Ministerpräsidenten veröffentlicht, in der er (eigentlich bei ausgeschalteten Mikros) zugab, „von morgens bis abends gelogen“ zu haben. Die Reaktion der Bevölkerung könnt ihr euch vorstellen. Damit ist auch der Erdrutschsieg der jetzt regierenden FIDESZ zu erklären: Mangelnde Glaubwürdigkeit und Verschwörungstheorien lassen die Leute empfänglich werden für scheinbar einfache Lösungen. Und der neue Ministerpräsident, Viktor Orban, möchte die bieten – teilweise wirklich für sein Land, teilweise zum eigenen Machterhalt. Zumindest ist die Idee hinter dem Mediengesetz mit dem Hintergrund der örtlichen politisch-medialen Landschaft verständlich, wenn auch die Ausgestaltung des Gesetzes einer Mischung aus landesväterlichem Wohlwollen und Machtgier entspricht.

3. Die Berichterstattung: Höflichkeitsübersetzungen

Wie gesagt, Ungarn ist klein. So viel international Spannendes passiert hier in einem durchschnittlichen Monat auch nicht. Ergo sind hier in einem durchschnittlichen Monat auch nicht so viele Journalisten. Wenn dann mal was passiert, schicken große Presseagenturen schnell Menschen von außen hierher. Dazu kommt die Sprache: Als der Trubel um das neue Mediengesetz losging, existierte das nur auf Ungarisch. So viele deutsche Journalisten mit Ungarischkenntnissen, die für die Interpretation eines juristischen Textes reichen, gibt es nicht – die Folge war das Prinzip „Stille Post“. Es war auch nicht wirklich hilfreich, dass die ungarische Regierung das Gesetz erst gar nicht und dann nur stellenweise ins Englische übersetzte. Kurz: Eine Mischung aus suboptimaler Kommunikation seitens der Regierung und suboptimaler sprachlicher und regionaler Kenntnisse der Journalisten führte zu einer gefährlichen Mischung aus subjektivem Urteil und anscheinend objektivem Bericht in den internationalen Medien.

Was also ist zu tun? Ist eigentlich doch alles in Ordnung und die Aufregung einfach ein großes Missverständnis? Definitiv nicht. Der nur mit FIDESZ-Parteimitgliedern besetzte Medienrat hat schon gezeigt, dass er die Paragrafen auch umsetzen wird und die Pressefreiheit ist und bleibt ein nicht-verhandelbares europäisches Gut, bei allem Verständnis für lokale Gegebenheiten. Zu protestieren und demonstrieren ist in einem solchen Fall Recht und Pflicht.

Aber die Ungarn haben eine neutrale, objektive und auf Fakten und Hintergründe achtende Berichterstattung verdient – genau die Form von freier und unparteiischer Presse, die wir auch von ihnen erwarten.

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