Die ungarische Finanzmaskerade

Warum Sanktionen schon lange überfällig sind

, von  Julian Scholtes

Die ungarische Finanzmaskerade
Viktor Orbán hat Ungarn herunter gewirtschaftet! Copyright: World Economic Forum / Photo by Heinz Tesarek

„Wir haben keine Wahl. Wir haben keine Wahl, weil wir Scheiße gebaut haben. Nicht nur ein bisschen, sondern richtig. […] Wir können vielleicht noch ein bisschen so weitermachen, aber nicht lange. Der Moment der Wahrheit ist gekommen. Göttliche Vorsehung, die Verfügbarkeit von Geld auf den Märkten und hunderte von kleinen Tricks, die sie nun wirklich nicht alle kennen müssen, haben uns geholfen, über Wasser zu bleiben.“

Das sind nicht die Worte von Viktor Orbán, der hier eine Regierungsbilanz zieht, sondern die Worte seines sozialistischen Vorgängers Ferenc Gyurcsány. Mit seiner inzwischen berühmten „Rede von Öszöd“, in der er die bisherige Arbeit und vor allem die Haushaltspolitik seiner Regierung in vulgärem Ton verurteilt, hat Gyurcsány wohl das Ende der ungarischen MSzP und den politischen Wiederaufstieg Viktor Orbáns besiegelt. Nachdem das Tonband der Rede, die im April 2006 in vertraulichem Kreis gehalten wurde, unter ungeklärten Umständen im Herbst desselben Jahres im ungarischen Staatsrundfunk ausgestrahlt wurde, schlug eine Welle gewaltsamen Protests um sich. Das ungarische Volk wollte keine Lügen mehr.

Viktor Orbán wollte alles anders machen...

Schon damals, im Jahr 2006, hatte Ungarn erhebliche Haushaltsprobleme. Ungarn hatte zeitweise ein Haushaltsdefizit von bis zu neun Prozent. Die Finanzkrise 2008 hat Ungarn mit am stärksten in Europa in Mitleidenschaft gezogen.

Als 2010 Viktor Orbán an die Macht kam, wollte er alles anders machen. „Die Zeit für Ungarn ist gekommen, den Schulden den Krieg zu erklären, die unser Leben wie eine Krake zuschnüren“, kündigte er in seinem gewohnt martialisch-pathetischen Tonfall an. Den „Schuldenmacher“ Gyurcsány wollte er um jeden Preis ins Gefängnis oder zumindest an den öffentlichen Pranger bringen, das Schuldenmachen für Politiker unter Strafe stellen. In der neuen Verfassung hat Orbán eine Schuldenbremse verankert.

So weit, so gut für den Good-Governance-Experten Orbán – jetzt jedoch möchte Finanzkommissar Olli Rehn an Ungarn ein „Exempel statuieren“ und die Fähigkeit der EU demonstrieren, die Maastrichtkriterien auch in die Tat umzusetzen. Letztes Jahr hat das Europäische Parlament mit der Verabschiedung des sogenannten „Sixpacks“ die Maastrichtkriterien verschärft, die Aufnahme von Sanktionsverfahren wurde erleichtert und Sanktionen wurden teilweise automatisiert. Jetzt sollen diese Maßnahmen zum ersten Mal zum Einsatz kommen: Fast eine halbe Milliarde Euro aus dem EU-Kohäsionsfonds sollen eingefroren werden. Rehn sieht das nicht als eine Sanktion, sondern als einen „starken Anreiz für eine solide Haushaltspolitik“.

... und führt Ungarn in die finanzielle Abhängigkeit

Orbán, der jedwede Kritik an seiner Regierungsführung als „Angriff der internationalen Linken auf die ungarische Nation“ wertet, versteht das alles natürlich nicht. Regierungssprecher Péter Szijjártó witterte voreilig, man wolle Ungarn mal wieder „aus politischen Gründen in die Ecke stellen“. Später ließ Orbán über die Website der Regierung verlauten, der Vorschlag sei „unfair und unbegründet“. Die ungarische Regierung habe „konsequent alle notwendigen Entscheidungen getroffen, um die Erwartungen und Anforderungen der EU zu erfüllen“. Ungarns Haushaltsdefizit habe 2011 erstmals seit dem EU-Beitritt 2011 unter 3 Prozent gelegen – eine Behauptung, die Kommissar Rehn als Ergebnis kosmetischer Pfuschereien enttarnt hat: Nur durch einmalige, außerordentliche Maßnahmen, wie beispielsweise die vorgenommene Zwangsverstaatlichung privater Rentenbeiträge, sei das Haushaltsdefizit auf dem Papier so niedrig. Rehn rechnet dem ungarischen Finanzminister Matolcsy vor, sein eigentliches Haushaltsdefizit betrage mindestens 6 Prozent.

In Wirklichkeit hat sich Orbán seinem „Kampf gegen die Schulden“ nämlich nur halbherzig gewidmet: Statt konsequent strukturelle Defizite anzugehen, hat er sich immer wieder in populistischen und klientelistischen Maßnahmen verrannt, wie der radikalen Senkung von Steuern und der Ablöse privater Fremdwährungskredite auf Kosten des Steuerzahlers und der Banken, die Ungarn seither immer empfindlicher meiden.

Auch die „Schuldenbremse“, die in der ungarischen Verfassung verankert wurde, entpuppt sich als Farce, denn sie kann nur unzureichend kontrolliert werden. Mit der neuen Verfassung wurden dem Verfassungsgericht die Kompetenzen in fiskalischen Fragen abgesprochen und einem „Haushaltsrat“ übertragen, dessen drei Mitglieder von der Regierung und dem Parlament ernannt werden.

Die unangenehme Wahrheit ist, dass Ungarn kurz vor dem Staatsbankrott steht. Orbán hat, um es mit der Vulgarität Gyurcsánys auszudrücken, wirtschaftspolitisch genauso viel „Scheiße gebaut“ wie sein Vorgänger. In seiner nationalen Verbohrtheit hat er sich monatelang konsequent Hilfe von außen verweigert, um jetzt umso stärker in der Abhängigkeit von IWF und EU zu stehen. Die Kommission beschreitet den richtigen Weg, wenn sie eine konsequente Sanktionspolitik fährt. Die kläglichen Versuche der Fidesz-Regierung, „nationale Unabhängigkeit“ durch immerwährendes Lügen und aggressive Agitatorendiplomatie zu demonstrieren, sind gescheitert und werden auch in Zukunft scheitern. Lange genug hat die ungarische Regierung mit dieser Strategie ihre wirtschaftspolitische Inkompetenz verstecken können. Das ungarische Volk hat ein Recht darauf, nicht mehr belogen zu werden. Nicht von Gyurcsány, nicht von Orbán, möge dieser auch dem reaktionären Geist, der in Ungarn momentan grassiert, eher entsprechen.

Vor sechs Jahren war es das Tonband von Öszöd, das die ungarische Regierung entlarvt hat. Heute ist es die Europäische Kommission, die in diesem Fall ihrer Rolle als Hüterin der Verträge alle Ehre macht.

Ihr Kommentar
  • Am 29. Februar 2012 um 07:24, von  Miklos Tverdota Als Antwort Die ungarische Finanzmaskerade

    Die Kredite in Fremdwährung

    In Ungarn der Immobilienmarkt ist Zusammengebrochen. Hätte die „Orban-Regierung“ keine Maßnahmen ergriffen wären die Verluste der Banken viel höher.

    Die Faule Kredite haben die Banken Vergeben nicht Orban!

    Die Banken haben aus der Sozialistische Zeiten gewisse Privilegien gehabt die in die Bürgerlichen Gesetzbuch widersprechen. Die Banken dürfen Verträge einseitig ändern. Durch diese Privileg haben die Banken Extraprofit kassiert.

    Nach der Meinung von vielen Rechtexperten die Verträge sind einfach Ungültig.

    Auch die Flatrate in Steuer trägt dazu bei, dass die der Immobilienmarkt sich langsam erholt.

    Wenn Ungarn mit europäischen Augen betrachtet, gibt es in Ungarn nur eine Steuerklasse. Das Einkommen „Mittelklasse“ ist so niedrig, dass in Deutschland würden Sie alle in der erste Klasse sein.

    Die EU-Forderung bedeutet Hungerlöhne für alle Ungarn!!

    Durch die Extremen hohe Steuerlast war die Anzahl der Steuerzahler sehr niedrig. Die Flatrate wird die Anzahle der Steuerzahler deutlich erhöhen. Alle „Sozialisten“ haben sich schon längst „off shore“ gemacht. ZB. Simor(Zentralbank) und Bajnai(ex Regierungschef). Simor als des „Zentralbank“ sollte „off shore“ Firmen bekämfen. Guten Morgen EU! Er ist schon längt Völlig unabhängig. Auf diese moralische Basis soll Orban noch mehr Geld aus Steuerzahlern auspressen??

    All das und die Schuldenberge sind Erbe der Linken.

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