Der Juncker-Fluch

Formen und Folgen einer EU-Finanztransaktionssteuer

, von  Anita Pöltl

Der Juncker-Fluch
Auch Jean-Claude Juncker, Vorsitzender der Euro-Gruppe, fordert die Finanztransaktionssteuer Bild vom 26. Oktober. Bestimmte Rechte vorbehalten von European Council

„Wir wissen, was wir tun müssen – wir wissen nur nicht, wie wir wiedergewählt werden könnten, wenn wir es getan haben.“ Dieses Zitat des Vorsitzenden der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, scheint die aktuelle Diskussion gut zu treffen – inzwischen kursiert es als „Juncker-Fluch“ sogar in wissenschaftlichen Analysen.

Über die prinzipielle Notwendigkeit einer Finanztransaktionssteuer (abgekürzt FTT, nach dem englischen financial transaction tax) scheint man sich auf den ersten Blick einig zu sein: Zumindest politisch findet sie Zustimmung in allen Lagern, gesellschaftlich wird sie ebenfalls wo nicht erbittert gefordert, dort doch wenigstens wohlwollend diskutiert. Woran liegt es also, dass weder im Rahmen der G20 noch des Europäischen Rates auch nur der Beschluss zu ihrer Einführung zustande kam?

Wer will die Steuer, wer ist dagegen?

Ein kurzer Blick auf Befürworter und Gegner scheint den Schluss nahezulegen, dass die Konfliktlinie in diesem Fall vor allem zwischen nationalen und nicht zwischen politischen Grenzen verläuft: Während Deutschland und Frankreich teilweise großen Druck zugunsten der Einführung einer FTT ausüben, stellen sich vor allem die Briten entschieden dagegen – verständlich, wenn man Gewinner und Verlierer einer solchen Steuer durchspielt: Englischsprachige Banken können ihr Personal noch leichter in Länder außerhalb einer eventuellen FTT-Zone verlegen als das Banken in Frankfurt oder Paris könnten - die Briten fürchten, ihre „City“ zu verlieren. Den Vorschlag, die Steuer notfalls nur für die Euro-Zone – also ohne London – durchzuführen, lehnte die FDP hierzulande wiederum unter Verweis auf die Nachteile für hiesige Banken ab, sollte London als einer der Hauptfinanzstandorte der EU keine Steuer entrichten müssen.

Die Kommission bemüht sich derweil um eine Einigung und legte bereits im September diesen Jahres einen ersten Entwurf vor, der eine Mindestbesteuerung von 0,1% pro zwischen Finanzinstituten gehandeltem Anteil bzw. Anleihe und 0,01% pro Derivat vorsieht – private Anleger wären demnach also ausdrücklich ausgenommen. Steuerkommissar Šemeta sprach zu diesem Zeitpunkt noch vollmundig von der Möglichkeit für einzelne Länder, diesen Mindeststeuersatz nach Gusto zu erhöhen. Drei Monate später ist jedoch klar: „Wenn der Langsamste das Tempo des Zuges bestimmt, kommen wir nie voran“ (Bundesfinanzminister Schäuble).

Im Internet formiert sich derweil der Protest: Auf verschiedenen Homepages können Petitionen unterschrieben werden, die die EU-weite Einführung der FTT fordern - gefördert werden diese – wen wundert’s – vor allem von Gewerkschaftsvertretern. Gegner der Steuer argumentieren ironischerweise mit den Ergebnissen der von der Kommission geförderten Studie zum Thema: In der von Šemata vorgeschlagenen Version würden die zu erwartenden Einnahmen i.H.v. bis zu 0,35% des EU-BIPs von den langfristigen Folgen der Abwanderung ins Ausland (geschätzte -0,5% des BIPs) vernichtet. Zudem würden die zusätzlichen Kosten vermutlich an Verbraucher weitergegeben werden, so dass die Last einer solchen Steuer im Endeffekt wieder die Steuerzahler treffen würde, die jetzt für eine Beteiligung der Finanzakteure an ihrer eigenen Rettung plädieren.

Ist die FTT also nur eine kurzfristige Rettungsleine?

Der IWF unterbreitete anlässlich eines G20-Treffens im April 2010 gleich zwei Alternativen zur FTT: Zum Einen eine Finanzaktivitätensteuer (FAT), bei der im Gegensatz zur FTT nicht einzelne Transaktionen, sondern jeweils der Gesamtertrag eines Finanzakteurs innerhalb eines vorher festgelegten Zeitraumes besteuert werden sollte. Macht selbiger in dieser Zeit keinen Gewinn, muss er auch keine Steuern zahlen. Die zweite Alternative wäre eine Bankensteuer, die auch unter dem Namen financial stability contribution (oder FSC) firmiert. Auch diese Vorschläge fanden jedoch harsche Kritik – diesmal vor allem von Seiten der Wissenschaft.

Neben mehr oder weniger offen formulierten wirtschaftlichen Interessen einzelner EU-Mitgliedsstaaten (und nichtstaatlicher Akteure) scheinen also auch die tatsächlichen Formen und Folgen einer – wie auch immer gearteten – Finanzsteuer unklar zu sein.

Angesichts der zunehmenden Eskalation der Diskussion zwischen Großbritannien und Deutschland muss man sich allerdings fragen, wie weit diese Debatte führen darf. Die Debatte um die Finanztransaktionssteuer könnte die EU am Ende weiter fragmentieren und so ihrem eigentlichen Ziel entgegenwirken: der Intensivierung einer wirtschaftspolitischen Regierung in der Union. Etwas, das sich wiederum als schlimmerer Fluch erweisen könnte als das Problem mit Junckers Wiederwahl.

Ihr Kommentar
  • Am 22. November 2011 um 09:42, von  Peter Als Antwort Der Juncker-Fluch

    Eine gute Zusammenfassung der aktuellen Konflikte um die FTT. Einmal mehr scheint es verlockend, Europa mit den willigen Ländern weiterzuentwickeln und allen anderen das spätere Mitmachen zu ermöglichen. Beim Euro wurde das ja auch gemacht. Auch da gab und gibt es genug Gründe, nicht alle von Anfang an mitmachen zu lassen.

  • Am 24. November 2011 um 09:58, von  Anita Als Antwort Der Juncker-Fluch

    Passend dazu die Schlagzeile der Times von gestern: Cameron told to choose between EU and the City...

  • Am 24. Februar 2012 um 16:51, von  roy.ly Als Antwort Der Juncker-Fluch

    Zur Finanztransaktionssteuer sollte noch ein Gesetz dazu, das Firmen(Chef’s) zwar erlaubt in’s Ausland zu gehen, aber die Maschinen,... hier bleiben müssen bis alle hier erhaltenen Subventionen an die Staatskasse zurück gezahlt worden sind.

    Das würde schnell andere Staaten(Vertreter/innen) auf die gleiche Idee kommen lassen und schon wäre es den Firmen(Chef’s) nicht mehr so einfach uns zu bestehlen.

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