Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Bundestagswahl am 22. September nicht nur als richtungsweisende Entscheidung für Deutschland, sondern für die gesamte politische Linie der Europäischen Union. Die wahlentscheidende Frage werde sein: „Wo steht Europa und welche Vorstellungen haben wir von Europa".
Deutschland ist eines der wenigen europäischen Länder mit einem relativ stabilen Haushalt. So beläuft sich die Staatsverschuldung hierzulande in Relation zum BIP auf 81,2 Prozent, während Griechenland rund doppelt so viele Prozentpunkte belasten. Als potentieller Geldgeber verschafft sich die Bundesrepublik Einfluss auf wirtschaftspolitische Entscheidungen finanzieller Wackelkandidaten wie Griechenland und Spanien.
Unter der Regierung Merkels ist bisher ein harter Sparkurs Mittel zum Zweck der Haushaltskonsolidierung gewesen, doch sollte die christlich-liberale Koalition nicht wiedergewählt werden, könnte sich die deutsche Europapolitik drastisch ändern. Die Parteien haben die Tragweite der europäischen Frage für die wirtschaftliche und soziale Zukunft erkannt und den Zankapfel Europapolitik zu einem der großen Wahlkampfthemen für die Bundestagswahl 2013 gemacht.
Neue Wege in der Krise
Die SPD sieht die ungezügelten Finanzmärkte als Ursache der Krise, da die meisten europäischen Haushalte bis zur Finanzkrise 2008 geordnet waren. Um Zocker und unkontrollierte Spekulation zu verhindern, fordern die Sozialdemokraten in ihrem Wahlprogramm eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik, mit der sich die Haushalte der Euro-Staaten kontrollieren lassen sowie eine europäische Finanzverfassung mit einer besseren Regulierung der Märkte.
Europapolitisch bleibt die SPD ihrem sozialen Kurs treu und strebt den Aufschwung durch die Förderung sozialer, ökologischer und nachhaltiger Branchen an. Merkels Konsolidierungsplan wird scharf abgelehnt, da Sparen die Wirtschaft abwürge, worunter vor allem Rentner und junge Arbeitnehmer leiden würden. Ein Einstellungsstopp wie in Spanien, der zu einer Verdreifachung der Jugendarbeitslosigkeit binnen fünf Jahren geführt hat, müsse unbedingt verhindert werden. „Die Europäische Union muss Geld für die Förderung von Wachstum in die Hand nehmen und ihre Sparpolitik überwinden!“, fordert SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.
Zudem prangern die Sozialdemokraten den schwindenden Einfluss des Bundestags an. Anstatt die Interessen der europäischen Bürger zu verwirklichen, trete die Politik immer mehr Befugnisse an die Europäische Zentralbank ab, wie die Aufsicht über die großen deutschen Banken. Die Krise dürfe nicht dazu führen, dass die Rechte der nationalen Parlamente beschnitten werden, so die SPD.
Wir bleiben auf (Spar)kurs
Die CDU wiederum sehen die Stabilisierung des Euros durch weitere Sparmaßnahmen und härtere ökonomische Beitrittsbedingungen zur EU als ihr größtes europapolitisches Ziel. Hilfszusagen und Garantien sollen auch in Zukunft bedürftigen Mitgliedsstaaten zugesprochen werden, jedoch nur, wenn sie ihre Reformversprechen einhalten und Ausgaben kürzen.
Des Weiteren soll die politische Integration in die Europäische Union vorangetrieben werden. Europas Binnenmarkt mit seinem freien Personen-, Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr und der gemeinsame europäische Währung soll durch einen Weiterbau Europas zu einer politischen Union ergänzt werden, insbesondere bezüglich der Haushaltspolitik. Jedoch soll mit Sorgfalt geprüft werden, welche Projekte auf die europäische Ebene ausgelagert werden müssen und welche nicht.
Zuletzt ist der EU-Haushalt laut CDU-Wahlprogramm konsolidierungsbedürftig. Ziel sei es, die Ausgaben der Staatengemeinschaft auf ein Prozent der Bruttonationaleinkommen seiner Mitgliedsstaaten zu begrenzen und den deutschen Anteil der Beiträge zur Europäischen Union im Verhältnis zu anderen Nettozahlern nicht weiter erhöhen zu müssen. Jedes EU-Mitglied zahlt in den EU-Haushalt ein und erhält im Gegenzug Förderungen. Deutschland ist hierbei der größte Geber mit rund sechs Milliarden Euro Nettoabgaben und Polen der größte Empfänger mit etwa dem gleichen Betrag an Einnahmen.
Europa der Wirtschaftseliten
Auch die FDP erklärt die Stabilisierung des Euros zur größten Herausforderung in der Europapolitik. Die Grundlage für eine stabile Währung seien ausgeglichene Haushalte der Mitgliedsstaaten. Hilfen für andere Euro-Länder dürfe es nur gegen strenge Auflagen geben. Eurobonds, einen Altschuldentilgungsfonds, eine Haftungsunion oder europäische Steuern lehnen die Liberalen entschieden ab. Europa müsse unbedingt aus seinen Schulden herauswachsen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Ein wichtiger Grundpfeiler einer solchen Stabilitätsunion seien eine Zentralbank, die die Geldwertstabilität sichert, und ein klarer Ordnungsrahmen für den Bankensektor, zu dem auch stärkere Kontrollen gehören sollen.
Die Liberalen setzen sich dafür ein, das Europäische Parlament zu einem Vollparlament mit gleichberechtigtem Initiativrecht in der Gesetzgebung zu entwickeln und europäische Parteien mit staatenübergreifenden Listen antreten zu lassen. Ein weiterer Schritt zur Stärkung der Demokratie sei eine Direktwahl des Präsidenten der Europäischen Kommission durch die Bürger Europas.
Durch Europa zur globalen Demokratie
Auch die Grünen sprechen sich klar für ein Festhalten an Europa aus, das in den letzten Jahrzehnten Frieden, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für seine Mitgliedsstaaten gesichert habe. Europa müsse zum Vorbild für eine solidarische Weltordnung werden, und sich für die Durchsetzung der Menschenrechte, die Bekämpfung von Armut und Hunger, den kulturellen Austausch und Toleranz einsetzen. Europas Stärke liege sowohl politisch, als auch ökonomisch in seiner Einigkeit, deshalb sei eine gemeinsam ausgearbeitete und verbindliche Wirtschafts- und Außenpolitik ein bedeutendes Ziel zukünftiger Europapolitik.
An der EU-Erweiterung müsse in Zukunft festgehalten werden, da sie ein wirkungsvolles Instrument zur globalen Demokratisierung ist. Verhandlungen mit den Balkanstaaten sollen auch in Zukunft fortgeführt werden. Zuletzt sei in Europa mehr Bürgerbeteiligung notwendig. Deshalb müsse die bestehende Europäische Bürgerinitiative weiter gestärkt und mittelfristig ein europäischer Volksentscheid durchgesetzt werden.
Alles auf Anfang
Die Linke lehnt als einzige Partei die im Vertrag von Lissabon geregelten Grundlagen der EU ab und fordert eine vollständige Revision der primärrechtlichen Grundelemente der EU, die sie als militaristisch, undemokratisch und neoliberal bezeichnet. Aus diesen Ansichten folgt ihr sicherheitspolitische Ziel, alle Formen von Massenvernichtungswaffen abzuschaffen und die militärische Angriffsfähigkeit der europäischen Staaten zu verhindern. Durch die Entwicklung partnerschaftlicher Beziehungen in Europa und weltweit sollen kriegerische Einsätze überflüssig werden. Des weiteren setzt sich die Partei für den Kampf gegen Diskriminierung, Armut, Arbeitslosigkeit ein, sowie eine stärkere Kontrolle des Finanzmarktes.
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