Zwischendurch war ich echt genervt: Während meiner Bosnienreise traf ich immer mal wieder auf PolitikerInnen aus der Föderation (bosnjakisch-kroatisch) und der Republika Srpska (serbisch), die zusammen eigentlich den Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina bilden. Über gemeinsame Perspektiven wird fast gar nicht geredet, kriegshistorische Ereignisse werden höflich beiseite gelächelt, Schuldzuweisungen werden gezielt eingesetzt, die Lage des Landes wird hervorragend beurteilt, aber Handlungsoptionen werden nicht entwickelt. Es wirkt wie ein politischer Stellungskrieg.
Wer trägt Schuld? Nicht nur die lokalen PolitikerInnen, die ihren Einfluss, ihre Macht und ihr Geld erhalten wollen, sondern auch die internationale Gemeinschaft. Vertraglich manifestiert im Dayton-Agreement von 1995, der durch großen Druck Clintons entstanden ist. Zum damaligen Zeitpunkt auch nur richtig, denn immerhin geschah Sebrenica: Mehr als 8300 Jungen, Männer, Väter, Großväter der muslimischen Bevölkerung sind durch serbische Truppen ermordet worden (Maldic, der damalige Befehlshaber steht endlich in Den Haag vor Gericht). Der Friedhof und die Ausstellungsräume zeichnen den Genozid spürbar nach. Dieses Ereignis erschwert die politische Annäherung der Entitäten, zuweilen stellt es weiterhin ein unüberwindbares Hindernis dar. Eine unsichtbare Mauer, die höher scheint als die Mauer zwischen Israel und Palästina.
Dem Grunde nach ist Bosnien-Herzegowina ein föderalistischer Staat, was jedes Mitglied der Jungen Europäischen FöderalistInnen erwärmt. Der Vertrag von Dayton räumt den Teilrepuliken mehr Gestaltungsspielräume ein als dem Gesamtstaat, es gibt ein Präsidium, das die Gesamtstaatsgeschicke leitet und natürlich mit drei Politikern (im Hinblick auf bosnische Politik kann ich das gendern sein lassen, da kaum Frauen in der Politik mitmischen) besetzt ist, von jeder Glaubensgemeinschaft einer. Mir wäre es lieber, denkende Politiker als gläubige zu haben, die die Zukunft ihres Landes im Blick haben und nicht ihre persönliche oder die ihrer Religion. Dabei beweisen bosnisch-herzegowinsche Politiker unglaublich viel Rechentalent: Sie kennen alle ihre Institutionen und wissen sehr genau, wie viele von wem wo und wann sitzen müssen. Bosnische Bruchrechnung funktioniert – kurzfristig. Denn allmählich verfestigt sich bei mir der Eindruck, dass diese durch den Vertrag von Dayton begründete Verteilung von Macht zu einer Bruchlandung führt. Ein föderalistisches Gerüst, das durchrostet. Soll heißen: Es muss gemeinsam mit den bosnischen Politikern und ihrer Bevölkerung eine neue Verfassung erarbeitet werden, die das Dayton-Agreement fortentwickelt beziehungsweise ersetzt. Politik sollte keine Rechenkünstler hervorbringen, sondern Persönlichkeit, die viele Ideen für die Zukunft ihres Landes haben und diese umsetzen wollen.
Und Bosnien könnte eine Menge leisten: Wasser für regenerative Energie nutzen, Agrarprodukte verkaufen, Tourismus trotz Minengefahr voranbringen, alte Industriezweige wieder aufbauen und so weiter...
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