Auf dem Weg zu einem Europa der Energie?

Oder: wie lässt sich eine unabhängige Energieversorgung Europas absichern?

, von  Übersetzt von Célia Möller, Ronan Blaise

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Auf dem Weg zu einem Europa der Energie?

Diese Frage sollte im Zentrum der „euro-russischen“ Gespräche während des letzen G8-Gipfels stehen. Bekanntermaßen sind diese aber aufgrund des kürzliche Ausbruchs der internationalen Krise um Israel und Libanon zurückgestellt worden, die in diesem Juli die Bürger (und Kanzler) sehr bewegt hat.

Dennoch beschäftigt und betrübt dieses brennende Thema der Unabhängigkeit der europäischen Energieversorgung (oder eher der Abhängigkeit Europas von Poutins Russland...) seit mindestens letztem Winter die „euro-russischen“ Beziehungen.

Ein heikles Thema, dass kürzlich zur Publikation eines „Grünbuchs“ geführt hat und in dem sich die europäische Kommission speziell dieser Frage widmet. Und eine Frage, deren Beantwortung erst kürzlich zu einer der strategischen Prioritäten der aktuellen finnischen Ratspräsidentschaft erklärt wurde.

Kurzum, es zeigt sich heute in aller Deutlichkeit die Notwendigkeit einer integrierten europäischen Energiepolitik, um erneute Energiekrisen wie im letzten Winter zu vermeiden. Also: Wie steht es um ein Europa der Energie?

Die Abhängigkeit Europas

Aktuell werden 50% des natürlichen Gases und 75% des Öls, das in der E.U verbraucht wird, von Importen aus Nicht-EU-Ländern gedeckt. Unsere wichtigsten Versorger sind, was Gas betrifft, Russland, Norwegen und Algerien (mit jeweils 30%, 33% und 25% der Importe für das ehemalige Europa der 15).

Doch bis in 20 Jahren und angesichts der Aufzehrung der norwegischen Erdgasvorkommen wird die Abhängigkeit der europäischen Mitgliedsstaaten gegenüber Russland sicherlich eine bedeutende Steigerung erfahren.

Im Einzelnen stellen die europäischen Gasimporte zwischen 90 und 100% des Gasverbrauchs in den baltischen Ländern und einigen Balkanstaaten dar, [1] zwischen 70 und 80% in einigen Ländern Zentraleuropas und des Balkans, [2] ca. 60% in Polen und der Türkei, ca. 50% in der Ukraine und in Weißrussland, ca. 33% in Deutschland und Kroatien sowie ca. 25% in Frankreich und Italien [3].

Und wenn unserer Hauptlieferant sich neue politische Ziele setzt...

In der Tat ist Russland [4]inzwischen der wichtigste Produzent (und größte Exporteur) natürlichen Gases. Ein großes Russland, das heute über Reserven von mehr als 50.000 Milliarden Kubikmeter verfügt. [5]. Die Produktion [6] und Förderung werden heute von dem halb-staatlichen Unternehmen Gasprom sichergestellt: dieses Konsortium, mittlerweile die Nr.1 der Welt im Gassektor, gehört in Höhe von 51% des Kapitals dem russischen Staat (eine Firma also, deren Umsatz heute schon alleinig ca. 7% des russischen BIP stellt).

Dennoch hat sich die russische Regierung erst kürzlich neue Ziele in Bezug auf ihre Außen- und Energiepolitik gesetzt. Dabei visiert sie genauso die Sicherung neuer Marktanteile auf dem expandierenden europäischen Energiemarkt an wie auch die Nutzung der Ressourcen als politisches Druckmittel, um Russland erneut in den Vordergrund des Weltgeschehens zu drängen und so wieder zu jenem Rang und Einfluss bringen, nach dem diese ehemalige Großmacht noch heute sichtlich trachtet. [7].

So haben wir im vergangenen Winter beobachten können wie Russland diese „Energiewaffe“ ge- und missbraucht hat, um die ehemaligen post-sowjetischen Satellitenstaaten ( Ukraine, Georgien, Armenien etc.) zur Ordnung zu rufen, die unvorsichtigerweise -und sehr zum Missfallen Moskaus- öffentlich bekundet hatten, sich künftig mehr dem Westen zuwenden zu wollen.

Das Ganze zudem in einer geopolitisch durchaus besonderen Situation der Rückkehr Russlands auf die internationale Bühne, auf der, wie wir gesehen haben, 50% des offiziellen wirtschaftlichen Preises rein politischer Natur zu sein scheinen. Tatsächlich hat man in Folge dieser Energiekrise im letzten Winter eine unzureichende Energieversorgung einiger EU-Staaten beobachten können.

So haben (zum Beispiel) Polen, Rumänien und Italien Kürzungen ihrer Gaslieferungen um fast 40% des ursprünglichen Vertrages hinnehmen müssen. Für die Staaten der europäischen Union klang dies nach einer Warnung, zumal sich ab diesem Zeitpunkt ernsthaft die Frage nach der Absicherung und Fortführung unserer Gaslieferungen aus Russland stellte.

Eine wohltuende Krise?

Die kürzliche Gaskrise im Energiesektor im letzten Winter hat also dafür gesorgt, die energetische Abhängigkeit der EU (und den Koordinationsmangel der Mitgliedsstaaten in diesem Bereich) in den Vordergrund zu katapultieren. Eine Krise, deren Ausmaß es auf jeden Fall erlaubt hat, die dringende Notwendigkeit eines wahrhaftig gemeinschaftlichen Weges in der Energiepolitik zu erkennen.

Tatsächlich bieten die heute gültigen Abkommen keine spezifische juristische Grundlage im Bereich der Energie. Und nähmen wir für morgen hypothetisch eine erneute Energiekrise an, so könnten die europäischen Institutionen lediglich „die Länder in der (alleinigen) Koordination der auf nationaler Ebene genutzten Instrumenten unterstützen“ (sic). Und falls dies sich als unzureichend erweisen sollte, so könnte die europäische Kommission mit dem aktuellen Zustand ihrer Schriften nie mehr als nur „Empfehlungen“ geben. Und nicht mehr als das.

Um die gemeinschaftliche Unfähigkeit wird kein Geheimnis gemacht. So geben selbst die Experten der Kommission zu, die exakte Höhe der Reserven der EU nicht zu kennen (denn die Statistiken werden von jedem Staat unabhängig erstellt und unterliegen nicht der Gemeinschaft). Doch es geht noch schlimmer: selbst wenn die EU über diese Statistiken verfügen könnte, wüsste sie damit nichts anzufangen, da es die gemeinschaftliche Energiepolitik offensichtlich noch aufzubauen gilt [8].

So spielen sich heutzutage, mangels juristischer Schriften, die Aktionen der Union in diesem Bereich nur im Rahmen von unterschiedlichen gemeinschaftlichen Politiken ab. Dies schränkt ebenso die Transparenz wie auch die Effektivität der Entscheidungsnahme ein.

Der Versuch, eine ausgeglichene Partnerschaft mit Russland herzustellen

Während die Explosion der Ölpreise die Debatte zu diesem Thema schon erneut ausgelöst hatte, kann man heute aus diesem Grund feststellen, dass die plötzliche und andauernde Gaskrise die Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Energiepolitik noch verdeutlicht hat. Und diese geht einher mit dem Aufbau einer ausgeglichenen Partnerschaft mit Russland.

In der Tat verfügt Russland heute über das Gas und das Öl, ohne das Europa im nächsten Winter frieren würde. Und ohne das Geld, mit dem Europa diese ersteht, wäre Russland zur Armut verurteilt. Insofern kann keiner der beiden Partner auf die Dienste des anderen verzichten. Mag Russland also heute damit drohen, seine Energie woandershin zu exportieren, so vermag es dies zweifelsohne erst in 15 Jahren zu tun.

Und wenn Europa heute behaupten mag, sich der übermächtigen Gasprom entledigen zu wollen, so wird es zumindest den gleichen Zeitraum benötigen, um die Energieversorgung durch andere Lieferanten und neue Atomkraftwerke sicherzustellen [9]. Daher rührt das Interesse an dem Versuch, mit Russland eine Partnerschaft ohne jegliche neo-imperialistische politische Tendenz herzustellen.

Auf diese Weise hat Finnland, das momentan das Amt der halbjährlich wechselnden Ratspräsidentschaft der EU innehat, vorgeschlagen, Russland in seiner Entwicklung durch die Ausbeute seiner natürlichen Ressourcen für die europäischen „Kunden“ zu helfen. In diesem Sinne hat Finnland- dass sich im Gegensatz zur Ukraine dazu gratulieren kann, verlässliche Verbindungen zu seinem großen Nachbarn hergestellt zu haben (jedoch zu 100% vom russischen Gas abhängt...)- einige Vorschläge gemacht.

Neue finnische Vorschläge also, und unter Ihnen der vom Finanzminister Eero Heinäluoma geäußerte [10], die „Europäische Investitionsbank“ enger an zukünftige Entwicklungsprojekte im Energiebereich in Russland zu binden. Das Ganze im technischen Rahmen von „euro-russischen Jointventures“ und einem Prozess „geteilter Entwicklung“.

Auf zu einem Europa der Energie?

So hat der Europäische Rat anlässlich seiner Sitzung von Hampton Court die Europäische Kommission damit beauftragt, „die Frage nach einem verstärkten Ansatz einer gemeinsamen Energiepolitik“ zu untersuchen.

Jene Europäische Kommission, die im März letzten Jahres ein “Grünbuch“ veröffentlicht hat, dass sich speziell diesem Thema [11] widmet und in dem sie versucht, eine gemeinsame und wahrhaft europäische strategische Analyse der Energieproblematik zu entwickeln: Ein Dokument, in dem die Kommission auch einige Vorschläge darlegt, die der Verbesserung der Funktionsweise des Energiemarktes und der Sicherheit unserer Versorgung dienen sollen. Und das Ganze im Rahmen einer sogenannten „nachhaltigen Entwicklung“ der Wirtschaft.

Dank dieses „Grünbuchs“ und dank der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit (und ihrer Regierungen...) hofft man, dass die gemeinsame europäische Energiepolitik mit großen Schritten voranschreiten wird. Zumal eine solche Perspektive heute endlich ernsthaft von den gemeinschaftlichen Autoritäten und den Mitgliedsstaaten untersucht wird, wie es beim „Europäischen Gipfel“ im letzten März der Fall gewesen zu sein scheint.

Und zumal eine solche Perspektive heute von der Mehrheit [12] der europäischen Bürger ins Auge gefasst und unterstützt zu sein scheint, selbst wenn die Einzelheiten einer solchen gemeinschaftlichen Energiepolitik noch diskutiert werden müssen und Entscheidungen bezüglich einer größeren Rolle der Atomkraft, der Entwicklung alternativer und erneuerbarer Energien und/ oder der Investition in die Entwicklung (und Infrastruktur) Russlands.

Also, ist das „Europa der Energie“ auf dem Weg? Auf jeden Fall wurde – als Abschluss des „Europäischen Gipfels“ im vergangenen März- beschlossen, dass die Europäische Kommission den Mitgliedsstaaten zukünftig jedes Jahr einen ausführlichen Bericht der Situation in dieser Sache zu präsentieren hat.

Bereits jetzt wurden der Rat sowie die Europäische Kommission dazu aufgefordert, „eine Sammlung von Aktionen, begleitet von einem konkreten Zeitplan“ vorzubereiten. Kurzum, mit solchen guten Vorsätzen kann die Reflexion dieser Thematik nur voranschreiten.

Natürlich wird dies alles von der Klarsicht und dem Mut unserer aktuellen politischen Führungsriege abhängen. Dennoch scheint dieser integrierte, gemeinschaftliche Ansatz heute derjenige zu sein, der von den verschiedenen beteiligten Parteien als der sinnvollste beurteilt wird, um derartige Probleme zu lösen.

Dies ist zumindest der Ansatz, den die Europäische Kommission sowie die aktuelle finnische Ratspräsidentschaft der EU verteidigen. Ein Bestreben, dass in genau dieser Form schon in einem aktuellen Projekt definiert wurde…der europäischen Verfassung.

- Illustration:

Hochspannungsleitung (Quelle: flickr)

- Quellen:

«Gaz russe: le grand jeu», Bericht: erschienen während der Gaskrise im Winter 2005-2006, Courrier International, Nr.793, 12. Januar 2006

«La revanche de Poutine», Bericht: erschienen zum Anlass des G8-Gipfles (St.Petersburg) vom 16-18 Juli 2006, Courrier International, Nr.819, 13. Juli 2006

Dieser Artikel ist ursprünglich in unseren Rubriken vom letzten 19.Juli erschienen.

Anmerkungen

[1i.e.: Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Moldawien, Bulgarien, Serbien oder Makedonien

[2i. e.: Griechenland, Rumänien, Ungarn, Österreich, Tschechien, Slowenien

[3Zahlen von 2005 und 2006, aus diverse Quellen vom Courrier International gesammelt und in Nr. 819 vom 13. Juli 2006, S.29 veröffentlicht

[4mit ca. 20% des Weltexports an natürlichem Gas

[5d.h. mit mehr als 25% der am heute bekannten Reserven des Planeten...

[6wovon 2/3 für den russischen Markt und die russische Bevölkerung bestimmt sind

[7Um dies zu illustrieren, sollte man sich den kürzlich gemachten Ausspruch vom russischen Außenminister, Sergueï Ivanov, seit kurzem einer der möglichen Kandidaten für die Nachfolge Poutins im Präsidentenamt ab 2008, zu Gemüte führen: „In der Außenpolitik zählen Öl und Gas ebenso viel wie Atomwaffen in der Verteidigung nationaler Interessen“, sic

[8Quelle: „A Bruxelles, on plaide l’impuissance“, ein Artikel der Gazeta Wyborcza, veröffentlicht im Courrier International Nr. 793 vom 12. Januar 2006 (hier S.17).

[9Quelle: Zitat aus einem Artikel der Novaïa Gazeta aus Moskau, erschienen im Courrier International Nr. 809 vom 4 Mai 2006 (hier S.16).

[10zitiert im Figaro vom 3 Juli 2006 (S.5).

[11Dokument mit dem Titel „Grünbuch zur europäischen Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie“.

[12In Höhe von ca. 50%, laut der Untersuchung „Eurobarometer“ vom vergangenen Winter: 47% der befragten EU-Bürger glauben, dass energiepolitische Fragen am besten auf EU-Niveau zu klären sind, nur 37% glauben, dass solche Entscheidungen auf nationaler Ebene getroffen werden sollten.

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