400 Jahre nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges: Katastrophe mit einer klaren Botschaft für das heutige Europa

, von  Theresa Bachmann

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400 Jahre nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges: Katastrophe mit einer klaren Botschaft für das heutige Europa
Die Kirche in Lützen, in der Gustav Adolf II. während des Dreißigjährigen Krieges starb, erinnert bis heute an die damaligen Ereignisse. Foto: Groundhopping Merseburg / Flickr / CC BY-NC 2.0

Auch vierhundert Jahre nach seinem Ausbruch wirkt der Dreißigjährige Krieg bis in die politische Gegenwart Europa hinein.

Mit dem Prager Fenstersturz am 23. Mai 1618 und dem darauf folgenden Aufstand böhmischer Protestanten gegen ihren katholischen Landesherrn wurde eine der bis dato größten Katastrophen der europäischen Geschichten in Gang gesetzt. Allein im damaligen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wurde ungefähr ein Drittel der Gesamtbevölkerung – rund 6 Millionen Menschen – von Krieg, Hunger und Seuchen dahingerafft. Die beiden Weltkriege haben das durch den Dreißigjährigen Krieg ausgelöste Kollektivtrauma in den Hintergrund geraten lassen. Doch auch für aktuelle Fragen und Problemlagen Europas bleibt der Dreißigjährige Krieg ein wichtiger Wegweiser.

Ein neues Denken und eine revolutionäre Friedensordnung folgen auf 30 Jahre Krieg, Leid und Elend in Europa

Oftmals wird der Dreißigjährige Krieg simplifizierend als religiös motivierter Konflikt dargestellt. Allerdings reduziert dies die komplexe Gemengelage auf nur einen Auslöser von vielen. Tatsächlich ging es aber um mehr als divergierende Positionen der christlichen Konfessionen. Es ging um die Vormachtstellung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Unabhängigkeit. Wirtschaftliche Interessen. Souveränität. Identitäten. Während der von Historikern in vier Phasen unterteilte Abschnitte des Krieges bekämpften sich eine Vielzahl von Akteuren, unter ihnen Staaten wie Frankreich, Dänemark, Österreich und Schweden. Am Ende lag nicht nur Mitteleuropa in Trümmern – insbesondere das heutige Süddeutschland wurde dem Erdboden gleich gemacht – forderten Seuchen, Hunger und plündernde Söldner weiterhin Opfer. Auch die Unabhängigkeit der Niederlande und der Schweiz sowie die Kleinstaaterei und große Macht der jeweiligen Landesfürsten im heutigen Deutschland wurden dadurch besiegelt.

Nach drei Dekaden setzten die Westfälischen Friedensverträge den fortlaufenden kriegerischeren Auseinandersetzungen ein Ende. Gleichzeitig schufen sie in den Worten des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog „die Grundlagen des künftigen Europa“. Erstmals kam es im Rahmen der Verhandlungen zu einer diplomatischen Zusammenarbeit nahezu aller europäischen Staaten. Die aus ihnen hervorgehende neue Friedensordnung verankerte zum ersten Mal vertraglich völkerrechtliche Prinzipien bzw. Konzeptionen wie die Achtung der Souveränität und des Territorialstaats und legte unter anderem fest, wann Kriege rechtmäßig sind. Im deutschen Fall schuf sie die Basis für das föderalistische Organisationsprinzip, das auch innerhalb der heutigen Europäischen Union eine tragende Rolle einnimmt.

Es war die Erfahrung des Dreißigjährigen Kriegs, die Philosophen wie Grotius, Descartes und Hobbes in ihrem Gedankengut entscheidend beeinflussten. Die von ihnen mitbegründete Strömung der Aufklärung sollte in der Folgezeit nicht nur Europa prägen, sondern fand auch in anderen Weltregionen starken Widerhall. Zur Beendigung des Krieges war es letztlich vor allen Dingen zentral, die Schlüsselakteure von einer Erkenntnis zu überzeugen: „Nur eine Ordnung, in die alle eingebunden waren, konnte den Kontinent auf Dauer vor ähnlichen Katastrophen schützen“ (Roman Herzog). Eine Erkenntnis, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg tragend war für den zunehmenden europäischen Integrationsprozess.

Europa befriedet – alles in Butter? Mitnichten!

Während der 300-jährige Jahrestag des Ausbruchs des Dreißigjährigen Krieges noch in den Wirren des Ersten Weltkriegs unterging, haben im Laufe des letzten Jahrhunderts fundamentale Veränderungen stattgefunden. Mit der großen Ausnahme der Jugoslawienkriege gab es seit 1945 keine größeren zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen mehr auf dem europäischen Kontinent. Für immer mehr Generationen ist die Vorstellung von Krieg und Zerstörung in Europa utopisch. Mehr noch, der fortschreitende Einigungs- und Integrationsprozess hat dazu beigetragen, ein neues, dauerhaftes Modell des friedlichen Zusammenlebens zu konsolidieren. Eine weitere zentrale Erkenntnis, die zur Unterzeichnung der Westfälischen Friedensverträge führte, ist damit zu politischer Realität geworden: „Pax optima rerum“ – der Frieden ist das höchste aller Güter.

Man könnte also meinen, dass Europa seine Lektion gelernt hat. Katastrophen wie der Dreißigjährige Krieg sind aus heutiger Perspektive völlig unrealistisch. Trotzdem geben aktuelle politische Entwicklungen Anlass, diese Argumentation zu überdenken. Weltweit nimmt die Zahl der bewaffneten Konflikte und Kriege nach Angaben des renommierten Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) seit Ende des Kalten Krieges derzeit wieder zu. Oftmals kommt Europa hierbei nicht nur aus historischen Gründen eine große Verantwortung zu. Umstrittene Waffenexporte in Krisenregionen tragen derzeit beispielsweise nicht nur zu anhaltenden kriegerischen Konflikten bei, sie lassen das Geschäft mit dem Krieg für europäische Unternehmen gar finanziell lukrativ werden. Dabei wäre doch auch über das militärische Mitmischen in Kriegsgebieten wie Afghanistan hinaus – gerade angesichts der europäischen Vergangenheit – eine aktive und vor allen Dingen effektive Friedenspolitik wünschenswert. Und das nicht nur national, sondern im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auch über die Europäische Union. In ihren Anfängen primär als großes Friedensprojekt angelegt, lehren uns Erfahrungen wie der Dreißigjährige Krieg, uns auf diese Ursprünge der europäischen Integration zu besinnen.

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