Wie weiter mit der Ukraine?

, von  Danylo Bilyk, David Ruge, David Zajonz

Wie weiter mit der Ukraine?

Danylo Bilyk (l.) ist in der Ukraine aufgewachsen, David Ruges Familie stammt mütterlicherseits aus Russland. Heute leben beide in Deutschland und beschäftigen sich intensiv mit der politischen Situation in ihren Herkunftsländern. Im Doppelinterview erklären sie ihre Sicht auf den aktuellen Konflikt mit Russland in Osteuropa.

In den letzten Tagen wird vermehrt über einen Militäreinsatz Russlands in der Ostukraine spekuliert. Für wie wahrscheinlich haltet ihr ein solches Szenario?

David: Einen Militäreinsatz halte ich aktuell für unwahrscheinlich. Ich denke, das Szenario könnte an Aktualität gewinnen, wenn die Ukraine Teil der NATO werden würde. Momentan wird das jedoch von der ukrainischen Regierung ausgeschlossen.

Danylo: Ich halte das Szenario ebenfalls für eher unwahrscheinlich, da es in der Ostukraine mächtige Oligarchen gibt, die nicht an einer Destabilisierung der Situation interessiert sind und die genug Einfluss auf die Entscheidungsträger sowohl in der Ukraine als auch in Russland haben. Keiner will der zweite, dritte oder x-te in einem erweiterten Russland sein, wenn er als Nummer eins in der Ukraine agieren kann.

David, welche Strategie verfolgt Russlands Präsident Putin im Umgang mit der Ukraine?

David: Putin möchte die Ukraine in seine Eurasische Union einbinden. Aufgrund des Handelsvolumens zwischen beiden Ländern kann diese Union nur Gewicht bekommen, wenn die Ukraine ein Teil davon wird. Diese Form der Integration ist nun in absehbarer Zeit nicht mehr möglich. Putin sieht die Ukraine außerdem als seine rote Linie im Verhältnis zum Westen und insbesondere zur NATO. Russland hat ein geopolitisches Bedürfnis nach Sicherheit zu befriedigen. Dieses sieht Putin bedroht, falls die Ukraine Mitglied der NATO oder der EU wird.

Wie sollte sich Europa gegenüber Russland und der Ukraine verhalten?

Danylo: Die EU hat durch die ukrainische Krise eine historische Gelegenheit bekommen, sich als mächtiger und einflussreicher Akteur zu zeigen. Das kam der EU sehr gelegen, weil sie sich gerade selbst in einer tiefen Krise befindet. Daher sollte Europa der Ukraine erstens eine Mitgliedschaft klar in Aussicht stellen und zweitens wirtschaftliche Förderung betreiben. Ansonsten besteht die große Gefahr, dass die Enttäuschung der Bevölkerung zu politischer Instabilität führt.

David: Europa muss als allererstes verstehen, dass es vor den Scherben seiner eigenen fehlgeleiteten Außenpolitik steht. Russland hat lange versucht, Teil einer europäischen Sicherheitsarchitektur zu werden. Dies wurde von Europa ignoriert. Sobald Schritte in diese Richtung unternommen wurden, reagierten die Länder des Baltikums, die Polen und die Tschechen mit Hysterie. Vielleicht zurecht, denn diese Länder haben ihre eigene Geschichte mit Russland. Dennoch darf Europa Russland nicht weiter sanktionieren. Es trägt so zu einer Verschärfung des Konflikts bei. Die EU muss sich jetzt in einer beratenden Funktion am „Wiederaufbau“ der Ukraine beteiligen. Es ist wichtig, dass es zu einer OSZE-Beobachtermission kommt. Nur so kann sichergestellt werden, dass das Volk eine Regierung bekommt, die demokratischen gewählt ist. Aktuell ist dies nicht der Fall.

Danylo, vergangene Woche hatte das ukrainische Staatsfernsehen eine Rede von Putin gezeigt. Daraufhin haben mehrere Männer, darunter ein Abgeordneter der nationalistischen Swoboda-Partei, den Chef des ukrainischen Staatsfernsehens mit körperlicher Gewalt gezwungen, eine Rücktrittserklärung zu unterschreiben. Was bedeutet die Regierungsbeteiligung von Swoboda für die Demokratie in der Ukraine und ihr Verhältnis zur EU?

Danylo: Die Beteiligung von Swoboda an der Regierung von Jazenjuk ist eine logische Konsequenz aus den Protesten, die politisch vor allem von drei Parteien mitgesteuert wurden. Entsprechend hatte jede dieser Parteien einen Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung. Da die Regierung laut der aktuellen Version der ukrainischen Verfassung von der Koalition in einem demokratisch gewählten Parlament gebildet wurde, halte ich sie für demokratisch legitimiert. Die Gefahr der nationalistischen Ausrichtung von Swoboda wurde aber vor allem von Timoschenkos Vaterlandspartei unterschätzt. Die erzwungene Rücktrittserklärung hat Putin in die Hände gespielt, das ist klar. Ich halte es für richtig, dass sich alle mächtigen politischen Akteure in der Ukraine davon distanziert haben, die Swoboda-Führung hat die Abgeordneten aus der Partei geschmissen. Jetzt wird die Vaterlandspartei beim gemeinsamen Regieren wohl versuchen, sich möglichst deutlich von Swoboda zu distanzieren und nach den Präsidentschaftswahlen im Mai eine Koalition mit ihr vermeiden. Das gilt auch für die anderen großen Parteien in der Ukraine.

David: Ich sehe in der Swoboda durchaus eine politische Gefahr. Diese jetzt zu unterschätzen wäre ein großer Fehler. Im Falle einer weiteren Stärkung und einer Regierungsbildung nach den Wahlen stellt sich früher oder später die Frage, wer das Innenministerium oder das Amt des Vizepremiers mit den entsprechenden Kompetenzen bekommt.

Eure Vorstellungen von der Zukunft der Ukraine, zum Beispiel im Bezug auf eine mögliche EU-Mitgliedschaft, scheinen weit auseinander zu liegen. Wo seht ihr Chancen für einen politischen Kompromiss?

David: Ein Kompromiss kann meiner Meinung nach nur in einer neutralen Ukraine bestehen. Ein Minimalkonsens würde bedeuten, dass die Ukraine nicht Mitglied der NATO wird. Auch eine EU-Mitgliedschaft sollte ausgeschlossen werden, zumindest solange gegen Russland Sanktionen seitens Europas bestehen. Gerade die jungen Leute wollen jedoch nicht neutral sein. Sie schauen nach Russland und sehen dort ein politisches System mit stark begrenztem Zugang zu politischer Macht für einfache Leute und ein Land, in dem die Presse und sexuelle Minderheiten schlecht behandelt werden. Wenn sie nach Europa schauen, dann sehen sie dort ihre Zukunft. Das böse Erwachen kommt, wenn Sie merken, dass eine EU-Integration auch Opfer mit sich bringen würde.

Danylo: Einen Kompromiss mit dem Regime von Putin sehe ich im Moment leider nicht. Das liegt vor allem an seinem Vorgehen auf der Krim. Die Mehrheit der Ukrainer hält dieses für inakzeptabel, wie auch alle relevanten Kräfte im Parlament. Einen Minimalkonsens sehe ich in einer EU-Mitgliedschaft ohne NATO-Mitgliedschaft.

Der Westen der Ukraine gilt als pro-europäisch, während der Osten eher russlandfreundlich ist. Haltet ihr vor diesem Hintergrund eine Teilung der Ukraine für möglich und sinnvoll?

David: Ich halte das für sehr problematisch, insbesondere weil es keine genaue Grenze für diese „prorussische Ostukraine“ gibt. Hier sehe ich großes Gefahrenpotential. Leider ist es nicht unrealistisch, dass der industriell geprägte Osten nach einem möglichen EU-Beitritt der Ukraine mit großen Problemen zu kämpfen haben wird. Der aufgebaute Konkurrenzdruck und die sozialen Probleme, die hier entstehen könnten, würden die Frage einer Angliederung an Russland wieder aktuell werden lassen.

Danylo: Man darf nicht vergessen, dass es außer der West- und der Ost-Ukraine, die tatsächlich als Gegenpole gelten können, auch die Zentral-Ukraine gibt. Diese stellt eine Art Pufferzone dar, in der sich die starken Gegensätze aufheben. Diese Konstellation des ukrainischen Staates hat bisher funktioniert. In den 1990ern war von der Ost-West-Teilung kaum die Rede. Die Frage wurde erst während des Wahlkampfs 2004 vor allem vom damaligen Präsidentschaftskandidaten Janukowitsch thematisiert, um den Osten und den Süden des Landes zu mobilisieren. Da es jedoch damals und auch mehrfach danach geklappt hat, das Land zu spalten, scheint eine Teilung tatsächlich möglich zu sein. Sinnvoll ist diese aber auf keinen Fall, da kein realpolitisches Interesse seitens der Eliten und der Mehrheit der Bevölkerung besteht. Die ukrainische Wirtschaft ist in sich stark verflochten, selbst die Oligarchen aus der Ostukraine betreiben einen wichtige Teil ihrer Geschäfte im Westen des Landes.

David und Danylo, vielen Dank für eure Einschätzungen.

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