Ungarn

Was ist und was noch werden kann

, von  Rudolf Ungváry

Was ist und was noch werden kann
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán beim Kongress der EVP im Frühjahr 2017 Foto: European People’s Party/ Flickr / Lizenz: CC-BY 2.0

Ein Kommentar zur politischen Lage und Zukunft Ungarns den vergangenen Wahlen im April, die Viktor Orbán erneut zum Ministerpräsidenten machten

Die Nachwelt wird über die heutige Opposition ein gnadenloses Urteil fällen, ohne Rücksicht auf Details und Feinheiten. Denn der Ausgang dieser Parlamentswahlen ist ausschließlich ihr anzulasten. Ihre Parteien haben sich über einen möglichen Sieg etwas vorgemacht und ihre Wähler haben sich täuschen lassen. Sie glaubten das Märchen, ihre Parteiführer hätten eine Chance, den neuen Ministerpräsidenten zu stellen. Sie waren emotionell ihrem Wunschdenken ausgeliefert und gedanklich in ihrem eigenen Weltbild gefangen. Ihnen war nicht bewusst, in welchem Land sie leben. Sie kannten weder das Volk noch sich selbst gut genug. Und was noch wichtiger ist: Sie waren nicht fähig, den Feind, der ihnen gegenüber steht, richtig einzuschätzen. Für sie gab es die Wirklichkeit nicht.

Während die oppositionellen Politiker das Orbán-Regime mit Worten attackierten, haben sie mit ihrem verhaltenen Auftreten den Anschein erweckt, sie würden in einem freien Land leben. Törichterweise haben sie geglaubt, sie könnten gegen Fidesz die Mehrheit erreichen, ohne sich in einem Linksblock zu vereinigen. Und wenn das nicht klappt, sind unsere Vertreter dennoch im Parlament – dachten sie. „Ungarn ist trotz allem eine Demokratie, und wird es auch immer bleiben“ – sagten sie. Dieser schwachsinnige Optimismus ist ihnen zum Verhängnis geworden und sie rissen auch ihre Anhänger mit in den Abgrund. Letztere sind jetzt wahrlich aufgeschmissen.

Seit 1998 Orbán zum ersten Mal an die Macht kam, hat die Opposition lernen müssen, dass er sie als Feind betrachtet. Sie haben bis heute nicht begriffen, dass sie für ihn nicht politischer Gegner, sondern in der Tat der Feind sind. „Unsere Gegner sind fremdartig, die Heimat kann nicht in der Opposition sein, unsere Kraft ist die Kraft des ungarischen Volkes“ – das sind die furchterregenden Slogans von Orbán. All das verdrängte die Opposition aus ihrem Bewusstsein: Das müsse man nicht so ernst nehmen, das seien nur Worte.

Genauso reagierten die vielen arglosen deutschen Demokraten auf Hitlers heillose Ansichten, bevor er an die Macht kam. Sie alle konnten nicht begreifen, dass in der Politik alles zuerst mit Worten beginnt, daraus kommen die Gedanken und dann erst beginnt die politische Kultur.

Mehrheitlich benahm sich bei den jetzigen Wahlen die demokratische Opposition wie eine echte Opposition im Westen - unter einem Regime, das sie als Feind behandelt. Sie haben einem ihnen aufgezwungenem Diktat von Scheindemokratie gehorcht, und dieses damit nebenbei ohne Umschweife bestätigt. Vom politischen Mafiaboss sprachen sie als „Herrn Ministerpräsident“. Sie brachten es nicht fertig, das System, das sowohl sie als das ganze Land zugrunde richtet, für das zu nehmen, was es ist: Eine in der ungarischen Geschichte beispiellose faschistische Diktatur, die im Mäntelchen der Demokratie daherkommt.

Sie haben die politische Realität, in der sie leben, unter den Teppich gekehrt, sich mit ihrer Situation abgefunden und sind so in einen Konflikt mit dem moralischen Empfinden der meisten ihrer Anhänger geraten. Die haben nämlich instinktiv gespürt, dass die Zeit des Taktierens vorbei ist. Leider war die Mehrheit von ihnen nicht mehr fähig, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Wie überzüchtete Kreaturen, die gegen nichts mehr immun sind.. Bestes Beispiel dafür: Die Einigung auf einen gemeinsamen Kandidaten der Opposition konnte kurz vor der Wahl nicht mehr erreicht werden.

Das deutliche Übergewicht bei der Abstimmung zugunsten des Orbán-Staates weist darauf hin, dass alle Enthüllungen über Korruption im großen Stil, alle Aufdeckungen von Lügen nichts bewirken, solange diese der ländlichen Bevölkerung von den ausschließlich zur Verfügung stehenden, regierungshörigen Medien vorenthalten werden. Und so haben diese Menschen ihre Seele an Orbán verkauft wie die Mehrheit der Deutschen einst an Hitler. Die Augen der Deutschen konnte selbst die Niederlage im 2. Weltkrieg nicht sofort öffnen. Nach 1945 war es nur auf Druck der Alliierten und Dank dem Generationswechsel in einigen Jahrzehnten gelungen, die rechten - nicht die linken! - deutschen Regierungen umzustimmen. So ist das Deutschland der Gegenwart zu einem lebenswerten Land geworden.

Auch in Ungarn ist es nur eine verschwindende Minderheit, die klar erkennen kann, was Demokratie ist und welche Schwierigkeiten oft mit ihr verbunden sind. Auf diese ist nur diese Minderheit vorbereitet. Für sie ist es selbstverständlich, dass man sich die Freiheit immer wieder neu erkämpfen muss. Das System Orbán ist nicht nur das Werk einiger resoluter Krimineller, sondern wird auch durch eine Schar von servilen Mitstreitern in der staatsgelenkten Wirtschaft am Leben erhalten.

Am verhängnisvollsten werden nicht die nächsten vier Jahre sein. Da werden die faschistoiden Klons von Fidesz mit Hilfe ihrer parlamentarischen Mehrheit die Pressefreiheit vollständig abschaffen, die Gerichte unterjochen, die zivilen Organisationen (NGO-s) diskreditieren. Das dicke Ende kommt erst nach ihrem Fall. Dann wird den Ungarn keine westliche Besatzungsmacht mehr aus eigenem Interesse auf die Beine helfen, wie es nach 1945 in Deutschland der Fall war.

Ungarn ist von vornherein nicht so ein bedeutendes Land. Durch die massenhafte Abwanderung wird das Land in den kommenden Jahren weiter ausbluten, es wird noch unbedeutender als jetzt. Uns bleibt nur noch die Hoffnung, dass die EU verhindert, dass Ungarn zum Brückenkopf des Russischen Reiches wird. Alles Weitere müssen dann in den nächsten Jahrzehnten unsere Kinder ausbaden.

Die gegenwärtige Staatsmacht ist vergleichbar mit der Türkenherrschaft von1552 bis1693; ganz unversehrt kann man sich ihr nicht mehr entledigen.

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