Visegrád: Aufstand aus dem peripheren Zentrum

, von  Alexander Steinfeldt

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Visegrád: Aufstand aus dem peripheren Zentrum

Mit ihrem Plan B zur Flüchtlingspolitik hat die Visegrád-Gruppe aus Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei am Montag ein starkes Zeichen an die immer engere Union des Kerneuropas gesendet. Ein geeintes und solidarisches Europa ist nur zusammen mit den Staaten jenseits der Gründungsstaaten zu machen.

Die Außenminister der EU-Gründungsstaaten (Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien, Luxemburg und Deutschland) waren vergangene Woche in Rom zusammengekommen, um sich gegenseitig zu versichern, weiterhin für eine immer engere Union einzustehen. „Die sechs Länder sprechen sich dafür aus, dass wir nichts unversucht lassen, zu einer gemeinsamen europäischen Lösung zu kommen“, erklärte Außenminister Steinmeier dazu. Notfalls müsse man mit verschiedenen Geschwindigkeiten die Integration erreichen.

Das informelle Treffen diente als Selbstvergewisserung, ist aber auch als Warnschuss an die zögernden und zweifelnden Staaten Europas zu verstehen. Während täglich tausende Menschen aus Syrien Griechenland erreichen, weigern sich immer mehr Staaten Flüchtlinge aufzunehmen. Großbritannien möchte sich gleich komplett aus der Union zurückziehen. Der Appell aus Rom spricht daher eine eindeutige Sprache. Wer nicht weiter mit der „Koalition der Willigen“ an einem Strang ziehen will, wird abgehängt. Das Kerneuropa macht zur Not alleine weiter.

Osteuropas Einfluss in Brüssel ist gering

Ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten könnte in einem Kerneuropa den Integrationsprozess beschleunigen und zu Kooperationen auf verschiedenen Politikgebieten führen. Eine Wirtschaftsunion oder gar eine europäische Armee blieben dann nicht mehr nur Fantasien von Europaoptimisten.

Die Folgen ließen sich jedoch nur schwer abschätzen. Europa könnte zerbrechen, weitere Mitglieder aus dem Bund austreten. Besonders der Osten der EU, in dem sich vehementer Widerstand insbesondere gegen die von Merkel diktierte Flüchtlingspolitik regt, würde sich schnell abkoppeln.

In diesem Rahmen ist das Treffen der Visegrád-Gruppe in Prag am Montag zu verstehen. Die Regierungschefs der V4, bestehend aus Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, feierten nicht nur ihr 25-jähriges Jubiläum, sondern machten erstmals deutlich, dass sie gemeinsam eine Machtposition einnehmen wollen. Nur wenige Tage vor dem Ratstreffen in Brüssel zeigten sie mit ihrem Plan B eine Alternative zur europäischen Flüchtlingspolitik auf.

Druck auf Brüssel durch Geschlossenheit

Durch ihre Einigkeit, ihr politisches Gewicht und die bereits geschaffenen Fakten durch die Entsendung von Grenzsoldaten an die mazedonische Grenze, wird an ihnen bei den weiteren Verhandlungen kein Weg vorbeiführen. Diese Geschlossenheit war nicht immer so deutlich. Nachdem die vier Staaten ihr gemeinsames Ziel, die EU-Mitgliedschaft, 2004 erreicht hatten, wurden die lose Kooperationen nur mäßig aufrecht erhalten. Polen unter dem bürgerlich-liberalen Donald Tusk strebte im Windschatten des Weimarer Dreiecks in die erste Reihe der EU-Staaten, Ungarn unter Orbán weigerte sich die starken Staaten Österreich und Slowenien mit in die Runde aufzunehmen.

Jetzt, da eine gemeinsame Herausforderung von innen (die Abwendung der europäischen Flüchtlingspolitik) und die Etablierung von populistischen Regierungen (insbesondere unter der neu gewählten polnischen Ministerpräsidenten Beata Szydło, dem sozialistischen Regierungschef aus der Slowakei Robert Fico und dem nationalistischen ungarischen Ministerpräsidenten Orbán) die Visegrád-Gruppe eint, können sie genügend Druck aufbauen.

Neuer Mut der V4

Nicht nur die Sprache der Visegrád-Gruppe, auch ihre politischen Lösungsvorschläge zeichnen ein dunkles Bild von der Europäischen Union. Als ein „Diktat der EU“ (Fico), „Außengrenzen außer Kontrolle“ (Szydło) und „einer Gefährdung des Friedens“ (Orbán) wird über die derzeitige EU-Flüchtlingspolitik geurteilt.

Unabhängig von der politischen Wirksamkeit oder der moralischen Verantwortung des sogenannten Plan B der Visegrád-Gruppe hat sich erstmals wieder ein starker osteuropäischer Block gebildet. Immerhin lebt jeder achte Europäer in einem dieser vier Länder.

Auch die Interessen der Staaten von der Ostsee bis zum Mittelmeer, die nicht zum „Kerneuropa“ zählen, müssen in einem solidarischen Europa angehört und berücksichtigt werden. Natürlich wird Europa keine „Einfachstlösungen“ akzeptieren (Steinmeier), aber die Flüchtlingspolitik kann auch nicht an einer Mehrzahl der Mitglieder vorbei erzwungen werden. Der neue Mut der Visegrad-Gruppe hat dies deutlich gemacht.

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