Gefährdete Demokratie in Europa – eine Replik - commentaires Gefährdete Demokratie in Europa – eine Replik 2016-03-17T13:38:25Z https://www.treffpunkteuropa.de/gefahrdete-demokratie-in-europa-eine-replik#comment21819 2016-03-17T13:38:25Z <p>Zu deiner Idee der Staatsanwaltschaft : Ich sehe den prozeduralen Mehrwert, den du schaffen möchtest. Allerdings musst du dabei voraussetzen, dass es Straftatbestände gibt, auf die sich die Staatsanwaltschaft stützen kann. In Deutschland gibt es da etwa den § 81 StGB, der - nach meiner spontanen und vermutlich unzureichenden Recherche - etwa fünfmal und das vor allem in den 50erjahren angewandt (KPD) wurde. Er ist enorm abstrakt formuliert (zB Änderung der auf dem GG beruhenden verfassungsmäßigen Ordnung) und ich fürchte, das ist Ausdruck eines grundsätzlichen Problems : Strafrecht stellt im Rechtsstaat eine ultima ratio dar, mit der deutlich rechtswidriges Verhalten sanktioniert wird. Auf politischer Ebene wird jedoch ständig gegen das Grundgesetz verstoßen, etwa indem die Verhältnismäßigkeit eines Grundrechtseingriffs falsch eingeschätzt oder eine Kompetenz zu weit ausgelegt wird. Allein die jetzige Bundesregierung dürfte schon regelmäßig vor dem BVerfG gelandet sein, ohne dass sie massiv grundrechts- oder rechtsstaatsverletzende Maßnahmen getätigt hat. Eine Intention, den Rechtsstaat abzuschaffen, wird man ihr trotz allem nicht vorwerfen können. Die Frage ist also, wo konkret die Grenze zu ziehen ist zu einem strafrechtlichen Verhalten. Sind geänderte Verfahrensregeln innerhalb des Verfassungsgerichts schon strafbar oder lediglich Ausdruck des politischen Willens einer Regierung (und des Parlaments !) ? Ist die Entlassung oder Nichteinstellung eines Journalisten in staatlichen Medien die Abschaffung der öffentlichen demokratischen Debatte ? Strafbar ist stets ein konkretes Verhalten und nie eine bloße Intention (Gesinnungsstrafrecht ist selbst schon rechtsstaatlich fragwürdig). Die Frage ist also, wie du politische (Regierungs-/Gesetzgebungs-/Verwaltungs-)Tätigkeit strafrechtlich überhaupt handhaben kannst. Ich fürchte, die Praktikabilität dessen ist sehr gering. Bitte unterscheide dies von Parteiverbotsverfahren, wo es in der breiteren Sache um die gleiche Frage geht (Abschaffung der verfassungsmäßigen Ordnung), wo aber Programmatik, Mitgliederverhalten, Außendarstellung etc. in die Überlegung mit einbeziehen kannst. Dies ist bei der strafrechtlichen Bewertung des Verhaltens (d.h. konkrete Handlungen) eines einzelnen Politikers im Prinzip unmöglich, nicht zuletzt, da er sich stets auf das Verhalten seiner Mitpolitiker wird stützen können, da kein politisches System innerhalb der EU mehr auf dem Willen einer einzelnen Person - auch nicht Kaczinskys - basieren kann. Daher sehe ich zwar die beste Intention und auch gute Überlegungen in deinem Ansatz, halte ihn im Ergebnis aber für unpraktikabel und unzureichend.</p> Gefährdete Demokratie in Europa – eine Replik 2016-03-17T13:37:49Z https://www.treffpunkteuropa.de/gefahrdete-demokratie-in-europa-eine-replik#comment21818 2016-03-17T13:37:49Z <p>Du bringst das Problem der Rechtsdurchsetzung auf. Das besteht in der EU bisher zum Glück nur theoretisch. Die EU hat annähernd keine (vllt in einigen wenigen Bereichen) eigene Verwaltung, die direkt gegenüber Bürgern aktiv wird. Vollstreckungsorgane hat die EU keine. Deswegen ist es tatsächlich denkbar, dass ein Mitgliedstaat EU-Recht irgendwann einfach nicht mehr anwendet. De facto wäre das eine Frage, die sich jeder Verwaltungsbeamte (bspw. Polizist) stellen müsste : Folge ich der Anweisung meines Vorgesetzten, die offenbar rechtswidrig ist, oder wende ich entgegen der Weisung geltendes (EU-)Recht an. Auf Bundesebene gibt es auch hierfür eine Systematik, wenn auch zugegebenermaßen eine veraltete : Die Länder verwalten grundsätzlich Bundesrecht. Für den Fall der Nichteinhaltung sieht Art. 37 GG den Bundeszwang vor, der eine praktische Durchsetzung durch Bundesmittel erzingt, notfalls durch physische Machtübernahme (Einmarsch der Bundeswehr in das Bundesland). Ich halte ein solches System für im 21. Jahrhundert nicht handhabbar, solange nicht bürgerkriegsartige Zustände ausbrechen. Ich setze bisher auf die Rechtstreue der Verwaltung. Bisher hat jede Regierung und jede Verwaltung EU-Recht angewandt, selbst wenn es nicht in ihrem Interesse war. Sollte eine Regierung so weit gehen, EU-Recht in weitem Maße überhaupt nicht mehr anzuwenden, selbst wenn eine europäisches Verfassungsgericht die Verletzung von Staatsprinzipien festgestellt hat, dann stellt sich die Frage, ob dieser Staat überhaupt noch Mitglied der EU sein sollte, insbesondere wenn dessen Bürger offensichtlich überhaupt kein Interesse an der Einhaltung dieser Prinzipien zeigen. Einen solchen Fall gab es bisher nicht und ich sehe dafür spontan auch keine Lösung. Eine Entsendung europäischer ( = derzeit mitgliedstaatlicher) Armeen zur Übernahme der Macht halte ich hier für den falschestmöglichen Weg.</p> Gefährdete Demokratie in Europa – eine Replik 2016-03-14T18:30:49Z https://www.treffpunkteuropa.de/gefahrdete-demokratie-in-europa-eine-replik#comment21804 2016-03-14T18:30:49Z <p>Danke für deine Antwort ! Mir leuchtet eines allerdings nicht so ganz ein : Das Grundgesetz enthält ja, wie du schreibst, Sicherungen gegen die Aushebelung des Rechtsstaates. Die polnische Verfassung tut das auch. Das kümmert aber die polnische Regierung nicht. Das polnische Verfassungsgericht hat ja gesagt, seine eigene Neubesetzung sei verfassungswidrig, aber die Regierung weigert sich, darauf irgendwie zu reagieren. Das ginge in jedem Land. Jetzt den Polen zu sagen, sie müssten eben den Rechtsweg gehen, hilft ihnen da doch nicht. Eine Regierung, die sich über ihr eigenes Verfassungsgericht hinweg setzt, wird sich vom EuGH nicht aus der Ruhe bringen lassen. Dass repressive Maßnahmen im Falle des Fiskalpaktes nicht so toll funktioniert haben, ist bekannt, aber die richteten sich ja auch immer gegen STAATEN, nie gegen einzelne Personen. Genau das würde die Strafverfolgung durch einen europäischen Staatsanwalt aber tun - nicht ganz Polen würde sanktioniert (wie es ja auch jetzt in einem Vertragsverletzungsverfahren passieren würde), sondern nur der entsprechende Politiker. Wenn in NRW der Ministerpräsident eine absolute Monarchie errichtet, gibt es ja auch keine Wirtschaftssanktionen oder so was, sondern einen Besuch der Bundespolizei bei der Staatskanzlei in Düsseldorf. Natürlich bietet auch das Missbrauchsmöglichkeiten, aber mein vorgeschlagener Staatsanwalt (der natürlich mit einer Rechtsanpassungder Grundrechtecharta einhergehen müsste, als deren Folge man sich direkt auf sie berufen könnte) hätte ja nicht mal eine eigene Polizei. Er könnte sich lediglich nationale Polizeikräfte ausleihen, was dann eben zur Folge hätte, dass ein Möchtegerndiktator nicht von seiner eigenen Polizei festgenommen wird, aber sein Land nicht mehr verlassen kann</p> Gefährdete Demokratie in Europa – eine Replik 2016-03-11T08:49:34Z https://www.treffpunkteuropa.de/gefahrdete-demokratie-in-europa-eine-replik#comment21797 2016-03-11T08:49:34Z <p>Lieber David,</p> <p>ich stimme dir im Grundsatz vollkommen zu und habe Ähnliches (<a href="http://www.foederalist.eu/2013/03/wer-die-demokratie-abschafft-verletzt.html" class="spip_out" rel='nofollow external'>hier</a> und <a href="http://www.foederalist.eu/2016/01/eu-demokratie-rechtsstaatlichkeit-polen.html" class="spip_out" rel='nofollow external'>hier</a>) auch selbst schon geschrieben. Allerdings denke ich nicht, dass die Werte in Art. 2 « rein deklaratorischer und unverbindlicher Art » wären, wie du schreibst. Art. 3 Abs. 1 EUV erklärt es zum « Ziel der Union », ihre Werte zu fördern, und Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet die Mitgliedstaaten, « alle Maßnahmen [zu unterlassen], die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten ». Maßnahmen der Mitgliedstaaten, die gegen die Werte der Union verstoßen, sind deshalb offenkundig vertragswidrig.</p> <p>Noch deutlicher wird das daran, dass es mit Art. 7 EUV ja auch ein konkretes Verfahren gibt, um Mitgliedstaaten zu sanktionieren, die die Werte in Art. 2 EUV verletzen. Das Problem dabei sind nur die höhen Verfahrenshürden (Einstimmigkeit der Regierungen), die Art. 7 EUV praktisch unbenutzbar machen. Insofern scheint mir die entscheidende Frage, ob Art. 7 abschließend ist oder ob daneben noch andere Sanktionsverfahren gegen Verletzungen der Werte der Union möglich sind - etwa in Form eines normalen Vertragsverletzungsverfahrens vor dem EuGH. Ich neige zu letzterer Ansicht. Allerdings hat die Kommission bis jetzt noch nicht versucht, ein derartiges Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.</p>