Sichere Herkunftsstaaten: Serbien

, von  Gesine Weber

Sichere Herkunftsstaaten: Serbien
Regierungsgebäude der Republik Serbien in der Hauptstadt Belgrad © only_point_five / Flickr / CC BY-SA 2.0-Lizenz

Serbien ist in den letzten Monaten zurück ins mediale Bewusstsein gerückt, als es seine Grenzkontrollen verschärfte, um die Flüchtlingszahlen im Land deutlich zu reduzieren. Der Balkanstaat, der Teil der wichtigsten Fluchtroute nach Europa ist, ist bereits von einigen Mitgliedsstaaten der EU als „sicherer Herkunftsstaat“ ausgewiesen. In unserem Länderporträt werfen wir einen Blick auf Politik, Wirtschaft und gesellschaftliche Situation des Landes.

Serbien liegt im Herzen der Balkanhalbinsel, grenzend an Ungarn, Rumänien, Bulgarien, EJR Mazedonien, Kosovo, Montenegro, Bosnien und Herzegowina sowie Kroatien. Der Staat ist etwas kleiner als Tschechien und zählt knapp gut sieben Millionen Einwohner, von denen die überwiegende Mehrheit Serben sind, aber dennoch etwa 17% einer der insgesamt 21 ethnischen Minderheiten angehören. Diese Pluralität spiegelt sich auch in den Landessprachen, wobei die Behörden die serbische Sprache in kyrillischen Schriftzeichen verwenden, sowie in der Religion, wobei die meisten Menschen der serbisch-orthodoxen Kirchen angehören.

Geschichte: Die Allgegenwärtigkeit des Krieges

Urkundlich erwähnt wurde Serbien das erste Mal im neunten Jahrhundert; bereits zuvor herrschten auf dem Gebiet unterschiedliche Dynastien, deren Einfluss bis etwa zur Jahrtausendwende andauerte, da das Gebiet ab dieser Zeit kurzzeitig unter die Herrschaft Byzanz fiel. Während des kompletten Mittelalters war das Land von Kriegen geprägt, die endgültige Eroberung durch die Osmanen fand im Jahr 1459 statt. Trotz unterschiedlichster Versuche und Aufstände wurde Serbien jedoch erst im Jahr 1804 teilweise befreit, es folgten weitere Kämpfe mit dem Osmanischen Reich, sodass die Situation erst auf dem Berliner Kongress im Jahr 1878 geklärt werden konnte, als die Unabhängigkeit Serbiens anerkannt wurde. Stabilität war damit jedoch keinesfalls gegeben, da die Region auch Anfang des 20. Jahrhunderts von verschiedenen Kriegen erschüttert wurde und auch von den beiden Weltkriegen nicht verschont blieb.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Serbien eigenständig als eine der sechs Teilrepubliken der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien unter Führung des diktatorischen Staatspräsidenten Josip Broz Tito. Trotz einer gewissen Instabilität der Föderation war so das alltägliche Leben stark durch den Kommunismus geprägt, der nahezu zur Staatsreligion wurde. Mit dem Tod Titos im Jahr 1980 schritt der Zerfall der Föderation jedoch schneller voran; befeuert wurde der serbische Nationalismus durch die Veröffentlichung des SANU-Memorandums durch die Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, die das jugoslawische System scharf kritisierte. Der Versuch einer politischen Lösung für die schwierige Lage der Föderation scheiterte, sodass die ersten Teilrepubliken ihre Unabhängigkeit erklärten, was zum Ausbruch des Jugoslawienkriegs führte. Hierbei kam Serbien, das bereits bei den gescheiterten Verhandlungen für ein Weiterbestehen der Föderation plädiert hatte, eine Schlüsselrolle zu: Da der Staat auch in anderen Teilrepubliken Serben finanziell und militärisch unterstützte und somit ethnische Säuberungen mittrug, gossen die Verantwortlichen zusätzlich Öl ins Feuer. Besonders eskalierte der Konflikt zwischen Kroatien und der selbsternannten Republik Serbische Krajina (RSK) auf kroatischem Gebiet, auch waren serbische paramilitärische Gruppen im Bosnienkrieg beteiligt und für das Massaker in Srebrenica an 8000 Bosniaken mitverantwortlich. Erst durch die Abkommen von Erdut und Dayton konnten die Kriege Ende des Jahres 1995 beendet werden, die Situation in Serbien konnte jedoch auf Grund der aufkommenden Unruhen im Kosovo nicht konsolidiert werden. Da die serbische Führung unter Slobodan Milošević auf diese Unruhen mit repressiven Maßnahmen reagierte, kam es zu einer Radikalisierung beider Seiten und schließlich zu einem blutigen Krieg, der das Eingreifen der NATO erforderte und erst mit einer Übergangsregierung durch eine UN-Resolution im Jahr 1999 beendet werden konnte.

Stabilität entstand dadurch jedoch weder in der Region noch in Serbien, das bis dato gemeinsam mit Montenegro die Bundesrepublik Jugoslawien bildete und den Anspruch, legitimer Nachfolger der Föderation zu sein, sowohl bei den Vereinten Nationen als auch in weiteren Bereichen der internationalen Beziehungen durchzusetzen versuchte. Seit der Unabhängigkeit Montenegros im Jahr 2006 und der völkerrechtlich umstrittenen und von Serbien nicht anerkannten Sezession des Kosovo im Jahr 2008 hat sich die Situation stabilisiert.

Auf dem Weg in die EU

Eine Stabilisierung der Situation ist in vielerlei Hinsicht im Interesse Serbiens; so hat die Wirtschaft während der Kriege stark gelitten, eine Konsolidierung gelingt nur langsam. Das Wachstum ist eher gering, die Wirtschaft basiert auf der Landwirtschaft, deren Erträge auf Grund klimatischer Bedingungen stark schwanken, die Industrie ist veraltet und Serbien somit in diesem Sektor kaum wettbewerbsfähig. Im Rahmen eines Standby-Agreements mit dem Internationalen Währungsfond hat sich Serbien vor zwei Jahren zu Modernisierungsmaßnahmen verpflichtet; diese sind für das Land auch unter dem Gesichtspunkt wichtig, dass es EU-Beitrittskandidat ist und der Union erst beitreten kann, sofern gewisse wirtschaftliche Kriterien erfüllt sind.

Serbiens Weg in die EU ist ein langer, er ist gepflastert mit den Problemen des Landes, vor denen auch die Außenpolitik nicht verschont bleibt. In den Verhandlungen, die im Dezember 2015 begonnen wurden, wurden zwei Kapitel geöffnet: Finanzkontrolle und Beziehungen zum Kosovo. Als Balkanstaat muss Serbien zudem zusätzlich die Kriterien von einer stabilen Region und guten Nachbarschaftsbeziehungen erfüllen, weshalb die EU seit 2013 einen hochrangigen Dialogprozess zwischen Serbien und Kosovo zur Normalisierung der Beziehungen organisiert. Aber auch in anderen Bereichen ist Serbien noch nicht auf EU-Standards; insbesondere im bereits geöffneten Kapitel der Finanzkontrolle könnte es schwierig werden für Serbien, folgt man der Einschätzung des Freedom House Index für Serbien. Zwar gilt das Land als konsolidierte Demokratie, aber noch immer ist grassierende Korruption eines der Hauptprobleme des Landes, eine Verbesserung in den vergangenen zehn Jahren ist kaum sichtbar. Dies zeigt sich auch in anderen Lebensbereichen wie beispielsweise der richterlichen Unabhängigkeit oder dem Justizsystem, welches ebenfalls große Defizite aufweist. Während zwar eine große Anzahl relativ frei agierender zivilgesellschaftlicher Organisationen existiert, hat sich die Situation bezüglich der Pressefreiheit in den letzten zehn Jahren verschlechtert. Trotz mehrfacher Betonung der Pressefreiheit durch Premierminister Aleksandar Vučić waren vielerseits Eingriffe hoher Politiker in die Pressefreiheit zu beobachten, auch durch den Premierminister selbst auf das Balkan Investigative Reporting Network. In vielen Bereichen werden die Menschenrechte geachtet, jedoch sind Diskriminierungen und Intoleranz gegenüber ethnischen und sexuellen Minderheiten Bestandteil des täglichen Lebens.

Dass Serbien dennoch zum „sicheren Herkunftsstaat“ erklärt wird, ist wahrscheinlich: Zunächst galten im Jahr 2014 nur 1,8% der Asylanträge als begründet, andererseits gelten EU-Mitgliedsstaaten grundsätzlich als sicher. Da Serbien vergleichsweise die beste Beitrittsperspektive hat, wäre also mit einer Einstufung zu rechnen, sofern eine europäische Liste erstellt wird.

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