Kein Anschluss unter dieser Nummer?

, von  Marcel Wollscheid

Kein Anschluss unter dieser Nummer?
Im globalen Maßstab erscheint jedes Mitgliedsland der Europäischen Union zwergenhaft. Umso wichtiger ist eine stärkere gemeinsame europäische Außenpolitik. Foto: © gingerbeardman / Flickr (http://www.flickr.com/photos/45699499@N00/223971136) / CC BY-NC-ND 2.0-Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode)

2014 war ein Jahr der Krisen: Die Eskalation der Lage in der Ukraine, der wiederaufbrechende Gazakonflikt und der Terrorfeldzug des Islamischen Staates erschütterten die internationale Ordnung. Die Europäische Union ringt mit ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) von Fall zu Fall um Antworten - mit wechselhaften Ergebnissen. Welche Schritte empfehlen sich, um die europäische Außenpolitik in Zukunft strategiefähiger und durchsetzungsstärker zu machen?

„Wenn ich mit Europa reden will, wen muss ich dann anrufen?“ Diese Frage soll der frühere US-Außenminister Henry Kissinger während seiner Amtszeit gestellt haben. Eine Antwort fiel schon damals nicht leicht. Auch heute – vierzig Jahre später – müsste man Mr. Secretary auf eine lange Liste mit Telefonnummern verweisen.

Wen muss man anrufen, wenn man mit Europa sprechen will?

Gleichzeitig ist in diesen Jahrzehnten das Gewicht Europas gewachsen. Über 500 Millionen Menschen leben in der EU – mehr als die Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten von Amerika und Russland zusammen. Die Union vereinigt den größten Binnenmarkt der Welt, ist seit 2012 Friedensnobelpreisträgerin für ihren Beitrag zu „Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa“.

Die Krisen und Kriege auf der Welt sind dabei nicht weniger geworden. Im Gegenteil: Die globalen Konfliktlagen erscheinen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs immer unübersichtlicher, komplexer und unzivilisierter. In Syrien und im Irak mordet die islamistische Terrorgruppe IS für ein grenzüberschreitendes Kalifat. In professionell geschnittenen Werbevideos lässt die Organisation die Weltöffentlichkeit an Vertreibungen und Enthauptungen grausam teilhaben. In der Ukraine herrschen nach Moskaus Annexion der Krim bürgerkriegsähnliche Zustände, angetrieben durch Separatisten mit engen Verbindungen zum russischen Nachbarn. Noch immer ungeklärt ist der Abschuss einer malaysischen Passagiermaschine über dem Donbass, der 298 Menschen das Leben kostete. Mittlerweile erscheint gar ein Einmarsch Russlands in der Ost-Ukraine möglich. Im Nahost-Konflikt herrscht zwischen Israel und der Hamas nach wochenlangen Kämpfen eine Waffenruhe - sie wird wohl nur vorübergehend sein.

Ukraine, Irak, Gaza: Das europäische Ringen um Antworten

Wie reagiert die Europäische Union auf diese Herausforderungen? Die Methode, die sich durchgesetzt hat, ist mit folgendem Muster zu beschreiben: Ein Einzelstaat, wahlweise Deutschland, Frankreich oder das Vereinigte Königreich, ergreift die Initiative und sucht für seine Position eine „Koalition der Willigen“ innerhalb der EU. In manchen Fällen kann mit diesem Verfahren durchaus eine einheitliche europäische Linie entstehen. Gegenüber Russland zog die EU im Ukraine-Konflikt außenpolitisch bisher an einem Strang. Neben der stetigen Bereitschaft zum Dialog wurde der Druck auf Moskau aufrechterhalten. Die Mitgliedsstaaten haben die gemeinsam beschlossenen Sanktionsstufen konsequent durchgesetzt. Ein Gegenbeispiel findet sich in der derzeitigen Diskussion um Waffenlieferungen an die Kurden im Nord-Irak. Jeder Mitgliedsstaat entscheidet selbst darüber, ob er Waffen in das Krisengebiet ausführt oder nicht. Eine gemeinsame europäische Strategie und Perspektive für den Irak ist nicht zu erkennen.

Wie Shimon Stein und Sylke Tempel richtigerweise in einem Beitrag für den Tagesspiegel feststellen, fußt diese Form der Außenpolitik nicht auf einer institutionalisierten und beständigen gemeinsamen Analyse der Situation. Die europäische Außenpolitik ringt von Fall zu Fall um Richtung und Rhetorik. Um die gemeinsame Außenpolitik von ihrem derzeitigen Zustand als Stückwerk weiterzuentwickeln, empfehlen sich deshalb für die Zukunft drei Schritte.

Drei Empfehlungen für die Weiterentwicklung der GASP

Erstens braucht es eine grundsätzliche Verständigung der Europäer: „Eine Debatte, die die Rolle der EU in der Welt definiert, außenpolitische Interessen und Ziele bestimmt, kurz: die EU zu einer international handlungsfähigen Einheit formt“, schreibt Bernhard Schinwald auf The European. Zu dieser Debatte gehört ebenso die Einsicht, dass es sich bei der Europäischen Union nicht nur um eine Wirtschaftsgemeinschaft handelt, sondern um einen machtpolitischen Akteur. Die Erkenntnis der eigenen machtpolitischen Bedeutung unterstreicht das Bedürfnis nach einer gemeinsamen strategischen Außenpolitik. Nur mit diesem Bewusstsein – das nicht nur Werte und Normen, sondern handfeste Interessen umspannt – wird die EU als politische Einheit nach außen wirken können.

Auf dieser Grundlage ist in einem zweiten Schritt eine stärkere Institutionalisierung der gemeinsamen Außenpolitik geboten. Ein Reformvorschlag: die Einführung einer Art europäischen Sicherheitsrates. Dieses Gremium wäre einerseits mit einer kontinuierlichen Lageanalyse betraut und würde damit eine bessere Strategiefähigkeit der europäischen Außenpolitik ermöglichen. Andererseits sollte das Organ in kritischen Situationen schnell handeln können, etwa durch die Entsendung der EU -Battlegroups in Krisenregionen.

Drittens entscheidet eine Personalie über den künftigen Kurs der gemeinsamen Außenpolitik: Die Neubesetzung des Postens des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik durch die Italienerin Federica Mogherini. Das Stellenprofil für die Nachfolge von Catherine Ashton: Erfahrung, Charisma und diplomatisches Geschick. Als eine der ersten Aufgaben der neuen Hohen Vertreterin bietet sich die Neuformulierung der Europäischen Sicherheitsstrategie an. Sie stammt aus dem Jahr 2003. Nicht zuletzt ist Mogherini nun das öffentliche Gesicht der GASP. Auch wenn sie in den komplizierten Verhandlungen zwischen den Mitgliedsstaaten nicht stets Einigkeit herbeiführen wird, so sollte sie doch deutlich sichtbar die Fäden der Koordinierung zwischen den europäischen Staaten in der Hand halten. Umso besser wäre es, wenn Mogherini tatsächlich einen roten Faden der europäischen Außenpolitik entwickeln kann.

Die Welt wartet nicht auf die EU

US-Außenminister Kissinger wünschte sich eine einzige Telefonnummer für Europa. Es gibt diese eine Nummer nicht. Womöglich ist sie in der aktuellen Verfasstheit der Union nicht einmal wünschenswert. Was dagegen erstrebenswert und realisierbar wäre, ist eine gemeinsame europäische Außenpolitik aus einem Guss. Sie ist die Antwort auf die Komplexität der Herausforderungen und die nachhaltigste Einflussperspektive des Kontinents auf dem internationalen Parkett.

Dieser Artikel erschien im JEF-Mitgliedermagazin 02/2014

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