British in Europe

Kein Abwarten und Teetrinken

, von  Jenny Hayhurst

Kein Abwarten und Teetrinken
British in Europe setzt sich aktiv für die Sicherung der Bürgerrechte britischer Bürger*innen in Europa nach dem Brexit ein. Foto: British in Europe, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de

Wie setzen sich Brit*innen in Europa für dich Sicherung ihrer durch den Brexit bedrohten Bürgerrechte ein? Ein Bericht aus Berlin.

Berlin, Februar 2018. Eine bittere Kälte weht durch die weitgehend menschenleeren Straßen der deutschen Hauptstadt. Ganz Europa friert. In Berlin plündert man seinen Kleiderschrank auf der Suche nach warmen Klamotten. Man wickelt so viele Schals um den Hals und Kopf, bis das Gesicht nicht mehr zu erkennen ist. An diesem Mittwochabend begibt sich eine Gruppe dick bekleideter Gestalten zu einer Adresse im Prenzlauer Berg. Sie stehen vor der Haustür, ziehen vorsichtig einen Finger aus dem Handschuh und klingeln.

Oben angekommen eilen sie schnell in die Wohnung und bilden eine ordentliche Warteschlange vor der Garderobe; jeder Schal, jede Mütze wird höflich beiseitegelegt. Mit beschlagener Brille grüßt man sich mit einer kurzen Umarmung oder gibt sich die Hand. Der Umzug schlängelt sich den Flur entlang und erreicht die Küche, wo heiße Tassen Schwarztee mit Milch in dankbare Hände gedrückt werden. Englisch schwingt durch den Raum: ein vertrautes, von Heimweh getöntes Gemurmel, das mit jeder Welle ankommender Gäste langsam lauter wird.

Ein Mann mit ernstem Gesichtsausdruck verteilt kleine blaue Zettel. Auf dem Tisch liegen mehrere Blätter. Man stellt sich vor. Es hat sich eine große Vielfalt an Berufen und Perspektiven versammelt. „Ich bin Anwältin,“ sagt eine Frau. Eine andere bringt Kindergärtner*innen Englisch bei. „Ich arbeite bei einer Logistik-Firma.“ „Ich arbeite bei einer Wohltätigkeitsorganisation.“ „Ich bin Studentin.“ Übersetzerin. Filmemacher. Wissenschaftler. Musiker. Eltern. Großeltern. Kinder. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt der etwa 107.000 Brit*innen, die in Deutschland leben, von denen jede*r einzelne*r eine eigene Geschichte zu erzählen hat. Einmal die Runde durch und es ist Zeit, die kleinen blauen Zettel umzuschlagen. Die deutsche Staatsbürgerschaft: Alles was Sie darüber wissen sollten.

Es handelt sich hier um ein Treffen von British in Germany. Seit dem Referendum im Juni 2016 hat sich eine grenzübergreifende Koalition europäischer Gruppen mit dem Ziel zusammengefunden, alle in der EU lebenden Brit*innen zusammenzubringen und ihre durch den Brexit bedrohten Bürgerrechte zu verteidigen. Mittlerweile hat British in Europe über 35.000 Mitglieder, die sich für die Zukunft der 1,2 Millionen Brit*innen einsetzen, die sich ein Leben im europäischen Ausland aufgebaut haben. Gleichzeitig betont die Initiative die enge Zusammenarbeit mit ihrer Schwesterorganisation the3million, die unermüdlich für die Rechte der 3 Millionen im Vereinigten Königreich wohnhaften EU-Bürger*innen kämpfen.

Bei einem so internationalen Unterfangen mag es überraschen, dass die größte Sprachbarriere in der Muttersprache liegt. Wer sind British in Europe? Jede Antwort darauf mündet in einen Zungenbrecher. „Brits abroad“ beschwört die unappetitliche Vorstellung von exzessiven Junggesellenabscheiden in Prag herauf, während „Expats“ nach abgehobenen Eliten klingt, die durch Schweizer Skiorte flanieren. Beide Bilder verweisen schon auf die Karikatur des Britisch-Seins in Zeiten des Brexits: Mit „stiff upper lip“ über die dunkle Klippe zu gehen, sich ohne Fallschirm aus dem Flugzeug zu stürzen, mit blauem Pass in der Hand den eigenen Ast abzusägen…oder welche Brexit-Metapher auch immer man verwenden mag.

Hier in Berlin sieht das alles etwas anders aus. Ein Mitglied erinnert sich an seine Entscheidung damals, England Anfang der 1990er Jahre zu verlassen als Großbritannien noch von der Austeritätspolitik der Thatcher-Regierung erschüttert gewesen sei. Viele sind wegen der Liebe nach Deutschland gezogen und haben hier bilinguale Kinder zur Welt gebracht. Einer kam sogar noch vor dem Mauerfall nach Berlin. Die jüngsten Mitglieder wären bis vor kurzem nie auf die Idee gekommen, sich einmal in einem Konflikt zwischen britischer und europäischer Identität wiederzufinden. Ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU hat ihnen ermöglicht, ihren Hoffnungen, Träumen und Leidenschaften überallhin zu folgen. Es ist einfach, Wurzeln zu schlagen. Es tut weh, sie wieder auszugraben.

Es dürfte niemanden verwundern, dass die Erfolgsgeschichte dieser EU-Migrant*innen von einem riesigen, Brexit-förmigen Plot-Twist unterbrochen wurde. Jedoch geht das persönliche Gesicht des Brexits unter Verhandlungsparolen und Diskussionen über mögliche Freihandelsabkommen oft verloren. Die Menschen, die sich an diesem Berliner Küchentisch zusammengefunden haben, vertreten aber die größte nationale Gruppe, die vom Brexit getroffen wird. Geschätzten 80% von ihnen wurde eine Stimme im Referendum verwehrt, da das nationale Wahlrecht im Vereinigten Königreich nach fünfzehn Jahren Auslandsaufenthalt erlischt. Seitdem müssen sie mitansehen, wie ihre Rechte am Verhandlungstisch langsam verscherbelt werden. Stück für Stück verschwinden sie, wie etwa das kommunale Wahlrecht in den EU27 – siehe das Verhandlungsabkommen, das zwischen der EU und dem Vereinigen Königreich am 8. Dezember 2017 abgeschlossen wurde. Ein Mitglied bei British in Germany erzählt, wie er neulich in seiner Heimatkneipe in Südwestengland tätlich angegriffen wurde, unter dem Vorwurf, er habe sein Vaterland verraten.

Wenn das Dezember-Abkommen im aktuellen Wortlaut umgesetzt wird, wird die Freizügigkeit – sowie alle damit verbunden Rechte und Vorteile – der in der EU lebenden Brit*innen auf einen einzigen „Gaststaat“ beschränkt werden. Die beruflichen Auswirkungen dieser Entscheidung wären katastrophal: Arbeitnehmer*innen in grenzübergreifenden Regionen, Freiberufler*innen und Student*innen wären am härtesten betroffen. Entgegen des weit verbreiteten Klischees des britischen Rentners in Spanien sind diese Menschen keine kleine Gruppe: die überwiegende Mehrheit der Brit*innen in Europa ist im erwerbstätigen Alter. Zudem wird die grenzüberschreitende Arbeit zur Norm in Europa, gerade bei der Startup-Generation, die längst über nationale Grenzen hinausdenkt. Abgesehen davon ist seit dem Vorschlag der britischen Regierung zur Einführung eines „settled status“ Anmeldungs- und Aufenthaltsverfahren für EU-Bürger*innen im Vereinigten Königreich nach dem Brexit zu befürchten, dass Brit*innen in der EU27 ihrerseits vor 27 möglichen – und ebenso komplizierten und fehleranfälligen – Verfahren stehen. Auch die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen und akademischen Abschlüssen nach dem Brexit ist leider keine Selbstverständlichkeit mehr, was für sowohl etablierte Fachpersonen als auch junge Berufseinsteiger*innen katastrophal wäre.

Seit ihren Anfängen kämpft British in Europe für die gute Sache. Ehrenamtlich bündelt das Team seine Ressourcen und Expertise, um hochrangige Politiker*innen von der Wichtigkeit der Bürgerrechte post-Brexit zu überzeugen – nicht nur in Brüssel oder London. Um öffentlichkeitswirksam auf die unmittelbare Bedrohung der Rechte von vier Millionen EU-Bürger*innen aufmerksam zu machen hat British in Europe zum Beispiel zusammen mit the3million die „This Is Our Home“ Demonstration vor dem britischen Parlamentsgebäude mitveranstaltet. Erste Erfolge wurden hierbei bereits errungen, und der Wille vieler politischer Akteur*innen auf beiden Seiten des Ärmelkanals, diese Bürgerrechte zu bewahren, sollte nicht unterschätzt werden. Doch wie immer beim Thema Brexit gibt es keine einfachen Antworten. Besonders dramatisch ist jedoch, dass jede fehlende Antwort den davon betroffenen Menschen den Boden unter den Füßen wegzieht.

Zurück zu den kleinen blauen Zetteln. Nach deutschem Recht ist die ursprüngliche Staatsbürgerschaft abzugeben, wenn die deutsche verleiht wird und das Herkunftsland kein EU-Mitgliedsstaat ist. Für zwei Länder wird davon bislang eine Ausnahme gemacht, für das Vereinigte Königreich (noch) nicht. Selbst wenn sie alle Voraussetzungen erfüllen – Sprachkenntnisse, Finanzen, Dauer des Aufenthalts in Deutschland, Integrationsleistung – müssten Brit*innen in Europa, die sich nach dem Brexit in Deutschland einbürgern lassen, ihre britische Staatsangehörigkeit aufopfern. Bei dieser Entscheidung müssen sie jedoch mit den zunehmenden Beschränkungen von EU-Bürger*innen in Großbritannien rechnen. Was würde das für jemanden bedeuten, der sich zum Beispiel um seine alternden Eltern kümmern möchte? Für jemanden, der im Ausland studieren möchte? Und was heißt das schließlich in Fragen von Identität, von Chancen, von persönlicher und beruflicher Zukunft?

Trotz dieser existentiellen Fragen bleibt die Stimmung an jenem Februarabend in Berlin entschlossen positiv. Die Auswirkungen des Brexits auf diese Bürgerrechte sind noch nicht klar absehbar, noch weniger die endgültige Form des Austritts. Jetzt den Mut zu verlieren und diese grundlegenden Entscheidungen alleine den Männern und Frauen in den grauen Anzügen zu überlassen wäre sowohl unbritisch als auch uneuropäisch. Jeder einzelne von uns muss gegen den drohenden Verlust der Rechte unserer Mitbürger*innen vorgehen. Jeder einzelne von uns muss für den Wert der europäischen Migration und Mobilität für unsere Gesellschaften einstehen. Jeder einzelne von uns muss fordern, dass sich Europa für seine Bürger*innen einsetzt, egal wie sie ihren Tee trinken.

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