Einzelkämpfer im EU-Parlament: Arne Gericke (Familienpartei)

, von  Tobias Gerhard Schminke

Einzelkämpfer im EU-Parlament: Arne Gericke (Familienpartei)
„Im Europaparlament zu arbeiten, europäisiert.“, Arne Gericke Foto: Arne Gericke, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de

Die konservative Familienpartei hat seit 2014 mit Arne Gericke einen Vertreter im EU-Parlament. Der siebenfache Familienvater wuchs in Papua-Neuguinea auf und wurde von Mestemacher 2012 zum Spitzenvater des Jahres gekrönt. Heute berichtet er uns von seiner Arbeit im Parlament, von seinen Kollegen und persönlichen Erlebnissen in Brüssel.

Was hat Sie am meisten an der Arbeit im EU-Parlament überrascht?

Überrascht hat mich die sachliche, fraktionsübergreifende Zusammenarbeit. Es gibt hier keine Regierungsmehrheit, keine Opposition. Mehrheiten sind flexibel - und müssen täglich neu gefunden, mit guten Argumenten errungen werden. In meinen Augen ist das zutiefst demokratisch. Überrascht hat mich auch die Möglichkeit der Mitbestimmung. Dass ich Mitglied einer Kleinpartei bin, frägt hier niemand mehr. Ich bin sehr aktiver Teil der drittstärksten, meist mehrheitsbildenden Fraktion. Und genau so arbeite ich.

Was nervt Sie an der Europäischen Union?

Zwei Dinge: Zum einen die Bürgerferne. Ich merke - selbst bei den Abgeordnetenkollegen, die schon lange hier an Bord sind - viele haben es sich in Brüssel und Straßburg nett eingerichtet, haben sich ihre kleine, feine Welt gezimmert und arbeiten darin - vollkommen unabhängig von dem, was die Menschen bewegt. Und zum anderen: Die Selbstblockade, vor allem durch den Europäischen Rat. Wir könnten hier viel mehr - auch sinnvolleres - erreichen, wenn die Staats- und Regierungschefs oder aber ihre Ministerrunden nicht vieles davon blockieren würden. Teils aus rein nationalen Eitelkeiten. Besonders schmerzhaft erleben wir das aktuell in der Flüchtlingskrise.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit im EU-Parlament besonders?

Ich mag das Weltläufige. Wissen Sie, ich bin in der Weltstadt Hamburg geboren und aufgewachsen auf Papua-Neuguinea. Für mich ist es eine absolute Bereicherung, tagtäglich mit Kollegen aus 27 anderen EU-Mitgliedsstaaten zu arbeiten. Und mit jedem Gedankenaustausch lerne ich hinzu. Ein zweiter Punkt, der mir im wahrsten Sinn des Wortes gefällt: Unser Parlamentsgebäude in Straßburg. Ich habe schon viele Parlamente gesehen - aber kaum eines, das eine solch eindrucksvolle, architektonische Sprache spricht. Hier zu arbeiten, europäisiert.

Wie hat sich Ihre Partei durch den Einzug ins EU-Parlament verändert?

Wir haben uns weiter professionalisiert und wachsen. Unser schon immer bestehender Anspruch einer Partei mit Vollprogramm konkretisiert sich durch meine vielfältige Arbeit im Europäischen Parlament zusehends. Und ich merke: Durch mein Engagement bin ich Katalysator für viele Prozesse und Ideen in der Partei. Wir packen vieles an - und ernten die ersten Erfolge.

Welches Projekt liegt Ihnen noch besonders am Herzen für die kommenden Jahre?

Ich habe gleich zu Beginn meiner Arbeit im Europaparlament die Idee einer „Europäischen Familienstrategie“ formuliert. Ich will, dass sich Europa Gedanken darüber macht, wie wertvoll Familien und Kinder für die europäische Politik sind - und wo EU-Zuständigkeiten unsere Familien direkt betreffen. Teilweise bin ich selbst erstaunt darüber, wo überall Familie drinsteckt. Inzwischen habe ich zusammen mit mehr als 60 Familienverbänden ein Konzeptpapier mit über 20 familienpolitischen Zielen auf EU-Ebene zusammengetragen. Ziel wäre es, bis 2019 in der Hälfte der Fälle zumindest einen Grundstein zu legen.

Was haben Sie persönlich in Europa verändert? Was haben Sie erreicht?

Offen gesprochen: Schon nach einem Jahr mehr, als ich noch vor der Wahl gedacht habe. Beispiel Familie: Dank mir hat das Europäische Parlament erstmals eine konsequente Familienfreundlichkeit als Ziel einer europäischen Tourismuspolitik beschlossen. Auf meine Initiative hin haben 15 Parlamentskollegen mit mir in 12 EU-Staaten das Projekt „Stillende Mamas willkommen“ für stillfreundliche Orte in Europa gestartet. Stichwort Wirtschaft: Als erster Europaabgeordneter habe ich es geschafft, den von Kirchen, Verbänden und der IHK hochgehaltenen Begriff des „Ehrbaren Kaufmanns“ bereits mehrfach in offiziellen Dokumenten des Europaparlaments zu verankern. Oder auch im Kleinen: Ich habe durch meinen Einsatz einem kleinen Cafe in Hessen geholfen, einen aberwitzigen Markenrechtsstreit mit einem Weltkonzern zu verhindern. Der Prozess hätte das Aus des Familienunternehmens bedeutet. Stichwort Umwelt: Auf meinen Antrag hin ist der europäische Begriff der „Blue Economy“ um den Bereich der Verwertung der millionen Tonnen Plastikmüll in den Weltmeeren erweitert. Das sind nur ein paar Beispiele von vielen.

Was bleibt Ihnen europapolitisch auch nach diesem ersten Jahr in Erinnerung?

Ein prägender Moment war für mich der Besuch von Papst Franziskus im Europaparlament. Viele seiner Worte klingen bei mir heute noch nach. Und zum zweiten: Unser Bemühen in der Flüchtlingskrise. Ich habe das Gefühl, es gab lange kein Thema mehr, das die Abgeordneten und Mitarbeiter - vielleicht auch zum Teil mehr hinter den Kulissen - persönlich so berührt wie dieses.

Was ist ihre Vision von Europa?

Europa als ein Kontinent, der weiß, dass seine Zukunft nur eine Zukunft des Miteinanders sein kann. Europa als familienfreundlicher Kontinent, der Kinder von Anfang an wirklich willkommen heißt und den Wert der Familie, die Leistung der Eltern schätzt. Europa aber auch als ein politisches Konstrukt, das seine Grenzen kennt - in der Vertiefung wie in der Erweiterung. Ein Europa, das die Menschen erreicht, weil echte Menschen es menschlich gestalten.

Wie rechtfertigen Sie es, dass sie mit ALFA und der AfD ist einer Fraktion sitzen?

Die Frage muss heißen: Wie rechtfertigen die beiden Parteien, dass sie mit mir in einer Fraktion sitzen. Wenn Sie sich erinnern: Die AfD wusste lange nicht, wohin - selbst dieser Beitritt war umstritten. Ich war lange vor den Kollegen Teil der EKR-Fraktion. Aber fragen Sie die Kollegen gern mal, warum sie meinem Beispiel folgen wollten.

Zuletzt drei Spontanantworten: Jean-Claude Juncker ist ein...

erfahrener Politiker, dem ich gerne mein Vertrauen schenken möchte - in der Hoffnung, nicht enttäuscht zu werden.

Martin Schulz würde ich gerne sagen, dass...

das Wort Präsident vom lateinischen prae-sidere kommt und ein Mindestmaß an Überparteilichkeit verlangt.

Marine Le Pen sollte...

ihre Stimmkarte lieber immer bei sich tragen.

Alexis Tsipras halte ich zugute, dass...

er die Krawattenlosigkeit auf der politischen Bühne etabliert hat.

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