„Großbritannien müsste dafür bezahlen, wenn es die EU verlässt“

, von  Manuel Müller | EurActiv.de

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„Großbritannien müsste dafür bezahlen, wenn es die EU verlässt“
Jo Leinen sitzt seit 1999 für die SPD im Europäischen Parlament. Er ist Mitglied in den Ausschüssen für konstitutionelle Fragen (AFCO), für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) sowie für Auswärtige Angelegenheiten (AFET) © Unión Europea en Perú / Flickr / CC BY 2.0-Lizenz

Am 23. Juni stimmen die Briten über den Verbleib in der Europäischen Union ab. Für die Tage danach haben sowohl das Europäische Parlament als auch der Europäische Rat Sondersitzungen eingeplant. Falls es tatsächlich zu einem Brexit kommt, stünde auch die EU vor wichtigen strategischen Entscheidungen. Ein Interview mit dem Europaparlamentarier Jo Leinen (SPD/S&D).

EurActiv: Wenn die Briten sich mehrheitlich dafür entscheiden, aus der Europäischen Union auszutreten, wie sollte die EU dann darauf reagieren?

Jo Leinen: Es wäre ein großer Schock und ein großer Knall, keine Frage. Es wäre das erste Mal, dass ein Mitgliedsland aus dem Verbund der EU austritt. Deshalb gibt es auch keine Blaupause für das Szenario am Tag danach. Aber natürlich kann man sich vorstellen, wie die Reaktionen aussehen könnten. Ich denke, dass Länder wie Deutschland und Frankreich die Initiative ergreifen müssten, um eine Botschaft auszusenden, dass trotz des Austritts von Großbritannien die Integration weitergeht und künftig noch stärker auf die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger geachtet wird.

Nigel Farage, der Vorsitzende der Brexit-Partei UKIP, hat jüngst behauptet, ein britischer Austritt könnte einen Domino-Effekt auslösen und wäre deshalb der Anfang vom Ende der EU. Haben Sie auch diese Befürchtung?

Nein. Ich kann mir auch eine gegenteilige Reaktion vorstellen, nämlich dass der Schock alle dazu bringt, enger zusammenzustehen. Großbritannien hat eine Sonderstellung; kein anderes Land könnte sich den Austritt aus der EU so leicht machen wie die Briten. Natürlich würde es auch anderswo heftigste Debatten über Sinn und Unsinn der EU geben, aber ich denke eher, dass es ein Zusammenrücken gäbe als ein weiteres Auseinanderfallen.

Und wie sollte die EU mit Großbritannien selbst umgehen? Auch viele Brexit-Befürworter würden ja gern im europäischen Binnenmarkt bleiben. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat hingegen vor einigen Tagen erklärt, dass er nicht an eine solche Konstruktion glaubt: Es gebe für Großbritannien nur die Wahl zwischen drinnen oder draußen.

Es kann für Großbritannien jedenfalls keine Extrawürste geben. Im Gegenteil: Der Austritt wird für das Land einen Preis haben; die Briten müssten dafür bezahlen, dass sie die EU verlassen. Aber natürlich würden wir weiter Beziehungen zu Großbritannien brauchen, das ja ein europäisches Nachbarland ist, das vierzig Jahre zur EU gehört hat. Es ist ein dickes Brett, das da zu bohren wäre: Welchen Status würde Großbritannien selbst anstreben, welchen würden die 27 Länder ihm geben wollen? Am Ende muss der Austritts- und Nachbarschaftsvertrag ja auch von allen anderen Staaten und vom Europäischen Parlament akzeptiert werden. Noch ist ganz unklar, was dabei herauskommen könnte.

Am besten wäre wahrscheinlich das norwegische Modell: Großbritannien würde dann in den Europäischen Wirtschaftsraum eintreten und am Binnenmarkt teilnehmen, müsste dafür aber weiterhin in die EU-Kasse einzahlen, so wie das auch Norwegen macht. Und natürlich müsste Großbritannien die Regeln des Binnenmarkts befolgen, einschließlich der Freizügigkeit des Personenverkehrs. Das dürfte in den Verhandlungen wohl der Knackpunkt sein.

Die Fragen für EurActiv stellte Manuel Müller.

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