Framing

Die unbewusste Macht der Sprache

, von  Jan Detering

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Die unbewusste Macht der Sprache
Die linke Hirnhälfte verarbeitet Sprache, die rechte ist für Emotionen zuständig - politisches Framing betrifft beide. Foto: Pixabay / ElisaRiva / CC0 1.0 Universell (CC0 1.0) Public Domain Dedication

Flüchtlingswelle, Willkommenskultur, Obergrenze, Massenzuwanderung – diese Schlagwörter stehen symbolisch für eine der größten Herausforderungen der aktuellen Zeit. Doch wäre es nicht auch Zeit zu reflektieren, wie wir über diese Themen diskutieren und kommunizieren? Ein Beitrag zur Macht der Sprache.

Der Duden definiert: „Sprache ist ein System von Zeichen und Regeln, das einer Sprachgemeinschaft als Verständigungsmittel dient.“ Sie ist von fundamentaler Bedeutung für das Zusammenleben zwischen Menschen, aber auch einer Gesellschaft. Sprache ist in dieser Hinsicht ein lebenslanger Lernprozess: Durch Erfahrungen werden neuronale Verbindungen im Gehirn geknüpft werden. Politische Sprache erweitert diese Definition um einen wichtigen Aspekt: Die Vermittlung von politischen Inhalten und Werten. Politisches Interesse, Überzeugungskraft und Sympathien sind nicht naturgegeben, sondern müssen über sprachliche Kommunikation erfolgen. Politische Ideen brauchen also einen sprachlichen Rahmen. Doch ist uns die potenzielle Einflussnahme durch Sprache überhaupt bewusst?

Framing und die Gestaltungsmacht der Sprache

Die sogenannte Framing-Theorie beziehungsweise Metaphern-Theorie von George Lakoff und Elisabeth Wehling thematisiert genau diese Fragen und erklärt aus sprachwissenschaftlicher Perspektive Gründe und Auswirkungen, die Sprache im politischen und gesellschaftlichen Umfeld haben kann. Framing meint in diesem Zusammenhang das Denken in Deutungsrahmen, den sogenannten Frames. Frames werden über Sprache im Gehirn aktiviert und sind dafür verantwortlich, wie wir politische Fakten wahrnehmen. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass diese Form der Sprache auf viele weitere Politikbereiche übertragbar ist und sich nicht nur auf die Migrationsfrage beschränkt. So können Begriffe wie beispielsweise „Asyltourismus“ oder „Flüchtlingswelle“ eine Debatte verfälschen und emotionalisieren. Die strategische Anwendung von Sprache kann auf diesem Wege Vorstellungen im Kopf des Menschen hervorrufen, die nachteilig für eine ausgewogene Diskussionskultur sind und es nahezu unmöglich machen, politische Ideen realitätsnah zu diskutieren. Das menschliche Denken findet zu 98 Prozent unterbewusst statt, weswegen die Framing-Theorie erklärt, dass die Auffassung eines rationalen und vernunft- orientierten Individuums nicht mehr aktuell ist. Fakten und Informationen erhalten ihre Bedeutung, indem Frames durch Sprache kommuniziert werden. Frames stellen somit ein Verhältnis zwischen unseren körperlichen Erfahrungen und unserem Kenntnisstand her.

Die Erkenntnisse zum Thema Sprache und ihren Auswirkungen auf die neuronale Struktur im menschlichen Gehirn zeigen, inwiefern Menschen durch vermeintlich bewusste Entscheidungen ihre politische Unabhängigkeit aufgeben. Darüber hinaus sind Menschen rezeptiv für sogenannte Metaphern – also sprachliche Bilder, die ebenfalls das Denken und Handeln bestimmen können. Sprache ermöglicht es, den politischen Diskurs so zu bestimmen, dass Menschen Gedanken entwickeln, durch neuronale Prozesse in ihren Gehirnen festigen und eine vorhersehbare Handlung vollziehen werden, wie Elisabeth Wehling in ihrem Buch „Politisches Framing“ beschreibt. Sprache ist nicht das Mittel zum Zweck, sondern das entscheidende Instrument in der politischen Meinungsbildung und letztendlich der wesentliche Faktor, der dazu beiträgt, welche Partei oder welche*r Politiker*in Wahlen gewinnt. Es stellt sich die Frage, ob diese Tatsache nicht viel öffentlicher diskutiert werden müsste, um Sensibilität bei allen Beteiligten aufzubauen.

Der Weg zur EU-Wahl 2019

Gerade mit Blick auf die EU-Wahl im Mai 2019 muss dieses Thema eine viel größere Rolle spielen. 27 Länder, rund 440 Millionen Menschen sind aufgerufen, die Mitglieder des Europäischen Parlaments zu wählen. Dieses Parlament wird für die nächsten fünf Jahre das Herzstück der europäischen Demokratie sein – und daher muss politische Sprache im Wahlkampf bewusst angewendet werden. Es geht nicht darum, Diskussionen zu zensieren, ganz im Gegenteil: aktuelle Herausforderungen sollen intensiver reflektiert betrachtet werden. Es bedarf einer ausbalancierten Kommunikation, um Emotionalität nicht vor die Realität zu stellen. Europa kann es sich in seiner jetzigen Verfassung nicht leisten, Diskussionen länderübergreifend aus dem Ruder geraten zu lassen und so Einheit und Stärke zu riskieren. Akute Herausforderungen – wie die Migration, das wirtschaftliche und soziale Gefälle zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten aber auch der Aufstieg populistischer Kräfte – benötigen realitätsnahe und pragmatische Lösungen, nicht aber endlose Scheindiskussionen ohne erkennbaren Mehrwert. Unabhängig davon, welche Inhalte Sprache kommuniziert, ob konservative, liberale oder populistische Werte, spielt es eine wichtigere Rolle, wie die Formulierung und Platzierung von Ideen stattfindet. In diesem Zusammenhang kommt die Metaphern-Theorie ins Spiel und die Frage, inwiefern sprachliche Metaphern und Frames Kommunikation beeinflussen können. Framing basiert auf der menschlichen Beeinflussbarkeit, sowie der Erkenntnis, dass Menschen nicht als rationale Wesen in ihrem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Umfeld agieren. Diese Tatsache kann und wird eine elementare Rolle in einem europäischen Wahlkampf spielen und schwerwiegende Folgen für das Wahlergebnis haben.

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