Die deutsche Bundestagswahl aus polnischer Sicht

, von  Mateusz Pawlak, Übersetzt von Franziska Pudelko

Die deutsche Bundestagswahl aus polnischer Sicht
Verstehen sich blendend: Angela Merkel und der polnische Premier Donald Tusk. Für die Polen steht fest, dass sich an dem deutsch-polnischen Verhältnis auch nach der Wahl nichts ändern wird. Foto: © Kancelaria Premiera: „Berlin: polsko-niemieckie konsultacje“, ://www.flickr.com/photos/kancelariapremiera/8184757758/. Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Generic: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Am 22. September entscheiden die Deutschen, wer sie zukünftig im Bundestag vertritt. Was zunächst nur Deutschland zu betreffen scheint, hat bei näherer Betrachtung Auswirkungen auf internationaler Ebene. Das Land ist sowohl wirtschaftlich als auch politisch ein wichtiger Akteur in der EU. Laut Weltbank belegte Deutschland 2011 den Platz als drittgrößter Exporteur und gehört zu den wichtigsten Geldgebern. Das Bundestagswahlergebnis betrifft somit auch Länder wie Polen.

Ein Zusammengang zwischen der deutschen Innen- und Außenpolitik wurde bereits deutlich, als die EU die letzten Entscheidungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus und zur Europäischen Bankenaufsicht so lange verschieben musste, bis das deutsche Bundesverfassungsgericht und der Bundestag ihre Entscheidungen dazu getroffen hatten. Deshalb ist der Ausgang der Wahl und ein möglicher Machtwechsel in Deutschland, oder eine schlichte Neuverteilung der Macht, umso bedeutender und das Wahlergebnis wird weltweit viel Aufmerksamkeit erregen.

Das polnische Statistische Zentralamt stuft Deutschland als wichtigsten Handelspartner ein. Die polnische Regierung betont regelmäßig die Wichtigkeit der deutsch-französisch-polnischen Beziehungen im Rahmen des Weimarer Dreiecks, auch mit Bezug auf die EU-Politik.

„Ich mache mir wenig Sorgen um Deutschlands Macht“

Die Erwartungen Polens gegenüber Deutschland und einer gemeinsamen Zusammenarbeit werden durch die Aussage des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski, im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise 2011, deutlich: „Ich bin vermutlich der erste polnischen Außenminister in der Geschichte, der dies sagen wird: Ich mache mir weniger Sorgen um Deutschlands Macht, als um Deutschlands Untätigkeit.“ Dies zeigt, dass die Bundestagswahl ein wichtiges Ereignis für polnische sowie internationale Entscheidungsträger ist. Das muss jedoch nicht heißen, dass die Wahlen wichtig für die internationalen Medien und besonders für die Bürger anderer Länder sind. Wie ist das in Polen?

Die polnischen Informationsquellen können bezüglich der deutschen Bundestagswahl in zwei Kategorien unterteilt werden. Einerseits gibt es polnische Denkfabriken, die den Leser mit verständlichen und verlässlichen Informationen versorgen. Das Institut für öffentliche Angelegenheiten (Instytut Spraw Publicznych) gestaltete eine eigene Webseite für die aktuellen Bundestagswahlen. Die Seite beinhaltet verschiedene Dossiers von politischen Experten über das deutsche Wahlsystem, die politischen Parteien und Programme, die Regierung, sowie Meinungsumfragen. Zudem veröffentlichte das polnische Institut für Internationale Beziehungen (Polski Instytut Spraw Międzynarodowych) eine interessante Studie zum Thema “Bundestag Elections 2013: Consequences for German Capitalism and European Integration.” Der Autor der Studie analysiert die größten möglichen Veränderungen in der deutschen Innen-und Außenpolitik, die bei einem Sieg der stärksten Opposition (SPD und Bündnis 90/Die Grüne) erwartet werden können. Obwohl diese Denkfabriken eine Fülle an Informationen bieten, werden diese nur von einer Minderheit der polnischen Bevölkerung verfolgt.

Ein Wahlsieg der CDU/CSU scheint am wahrscheinlichsten

Die zweite, viel beliebtere Informationsquelle zur deutschen Wahl sind die Massenmedien. Sie bieten ihren Leser kurze, aktuelle Informationen, die von der Mehrzahl der polnischen Bevölkerung bevorzugt werden. Jedoch werden in den Medien hierzulande hauptsächlich über große Veranstaltungen berichtet, wie zum Beispiel über das TV-Duell zwischen Angela Merkel und ihrem größten politischen Gegner, Peer Steinbrück. Außerdem fehlt es den Artikeln meist an Substanz und an einer tiefergehenden Analyse der Auswirkungen des Wahlergebnisses auf die auswärtigen Angelegenheiten Polens.

Die politischen Denkfabriken und die Medien in Polen sehen in Deutschland drei mögliche Wahlausgänge : Erstens, CDU/CSU gewinnen die Wahl und bilden entweder eine Koalition mit der FDP, oder stellen die Regierungsmehrheit selbst. Zweitens, CDU/CSU gewinnen die Wahlen und bilden eine Koalition mit der SPD oder mit Bündnis 90/die Grüne. Drittens, wird ein Wahlsieg der SPD vorgeschlagen, die dann eine Koalition mit Bündnis 90/Die Grüne oder mit der CDU/CSU bilden werden. Das erste Szenario wird als wahrscheinlichstes Ergebnis betrachtet, der Eintritt des letzteren als sehr unwahrscheinlich.

Polen nehmen Verhältnis zu Deutschland positiv wahr

Es ist schwer vorauszusagen, welches der möglichen Szenarien von Polen bevorzugt wird. Eine Studie, die 2012 von Agnieszka Łada vom Institut für öffentliche Angelegenheiten durchgeführt wurde, fand heraus, dass die deutsch-polnischen Beziehungen von Wählern aller politischen Richtungen als sehr gut oder eher gut wahrgenommen werden. Diese positive Meinung kann bedeuten, dass die Polen die Arbeit der aktuellen deutschen Koalition schätzen. Die Autorin der Studie betont außerdem, dass konservativen Parteianhänger (Wähler der größten Oppositionspartei in Polen) die aktuelle Koalition weniger unterstützen, als die Wähler bürgerlicher oder linker Parteien. Außerdem würden die rechtsradikalen Wähler die guten Beziehungen zwischen Angela Merkel und dem polnischen Premierminister Donald Tusk verurteilen. Neben der Diskussion über politische Vorzüge stellen sich die Polen folgende Fragen: Welche europäischen Visionen verfolgen die politischen Parteien in Deutschland? Wie nehmen sie die Beziehungen zu Russland wahr? Sind sie dazu bereit, die Zusammenarbeit des Weimarer Dreiecks zu stärken? Unterstützen sie die östlichen Partnerschaften der EU? Welche Position vertreten sie bei dem polnisch-deutschen “Vertriebenen-Problems”?

Keine radikalen Veränderungen erwartet

Schließlich muss in Betracht gezogen werden, dass die meisten polnischen Bürger die Wahlen ihrer Nachbarländer mit keinem großen Interessen verfolgen. Das hat zwei Gründe: Einerseits macht sich in Polen generell eine Politikverdrossenheit bemerkbar. Selbst auf nationaler Ebene ist es schwer, die polnische Bevölkerung für Politik zu begeistern (die Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen 2011 betrug weniger als 50 Prozent). Zum anderen betrachten die Polen Deutschland als stabiles und vernünftiges Land, von dem sie keine radikalen politischen Veränderungen erwarten.

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