Der Drahtseilakt – Kooperation mit der Türkei in der Flüchtlingskrise

, von  Gesine Weber

Der Drahtseilakt – Kooperation mit der Türkei in der Flüchtlingskrise
Der türkische Präsident Erdogan (im Bild bei einem Staatsbesuch in Mexiko) hat mit EU-Spitzenpolitikern über gemeinsame Maßnahmen in der Flüchtlingspolitik verhandelt. Die Türkei gilt als Schlüsselland zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. © Presidencia de la República Mexicana / Flickr / CC BY 2.0-Lizenz

Der türkische Präsident Erdogan hat sich in Brüssel mit EU-Spitzenpolitikern getroffen, um über einen Aktionsplan für die anhaltende Flüchtlingskrise zu beraten. Wenn die EU diese Kooperation eingehen sollte, muss sie sich auf einen politischen Drahtseilakt einstellen – mit dem Risiko, die eigenen Prinzipien fallen zu lassen.

Die Flüchtlingsströme in Folge des syrischen Bürgerkriegs und des IS-Terrors im Irak nehmen zu, für bereits 1,8 Millionen Flüchtlinge führte der Weg in die Türkei, für viele von ihnen weiter in ein Mitgliedsland der Europäischen Union. Die Türkei wie die EU sind in gleichem Maße überfordert; die Flüchtlingslager an der türkischen Grenze zu Syrien sind restlos überfüllt, die EU-Mitgliedsstaaten haben keine einheitliche Linie in der Flüchtlingspolitik. Es ist damit zu rechnen, dass die Konflikte in Syrien und im Irak noch andauern, sich verschärfen werden – und damit die Zahl der Flüchtlinge ansteigt. Flucht ist kein Problem, welches an Grenzen endet und dementsprechend sind die effizienten politischen Maßnahmen auch jene, die transnational sowie international angelegt sind.

Maßnahmen: eine Lösung außerhalb der EU

Die von der EU vorgeschlagenen Maßnahmen zeigen vor allem ihre Unfähigkeit, die EU-Innenpolitik an die Flüchtlingsströme anzupassen und entsprechende Mechanismen zu schaffen. Laut Medienberichten ist eine Kooperation mit der Türkei zur Kontrolle der türkisch-griechischen Grenze geplant, indem die Küstenwachen unter Koordination der EU-Grenzschutzorganisation Frontex gemeinsam patroullieren. Ebenso vorgesehen ist der Bau von sechs Flüchtlingslagern für zwei Millionen Menschen, die von dort aus in Kontingenten auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden sollen. Zudem will die Türkei in Syrien eine Pufferzone mit drei Containerstädten für je 100.000 Menschen bauen – und versucht der EU die dafür notwendige Zahlungsbereitschaft abzugewinnen, indem man diese Zone als möglichen Rückkehrort für eine große Zahl Flüchtlinge nennt. Dieser Forderung steht die EU, nicht zuletzt wegen einer daraus resultierenden Verletzung der syrischen Souveränität, skeptisch gegenüber. Viele der anvisierten Maßnahmen stammen aus dem Papier „The Merkel Plan“ der Denkfabrik „Europäische Stabilitätsinitiative“ (ESI). Generell zielen die Maßnahmen darauf ab, dass die Flüchtlinge zunächst in der Türkei verbleiben sollen. Dementsprechend würde die Flüchtlingspolitik außerhalb der EU-Grenzen durchgeführt und Asylanträge durch eine gemeinsame europäische Asylbehörde vor Ort geprüft. Da EU-Ratspräsident Tusk jedoch kürzlich verlauten ließ, dass eine Kooperation mit der Türkei nur dann zustande komme, wenn die Flüchtlingszahlen zurückgingen, ist vorerst nicht mit einer Umsetzung zu rechnen.

Erdogans Forderungen sind exorbitant

Die Gespräche des türkischen Präsidenten mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, EU-Ratspräsident Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker deuten auf schwierige Verhandlungen hin. Die Forderungen Erdogans belaufen sich nicht nur auf mehr Geld zur Bewältigung der Flüchtlingskrise: Erdogan fordert unter anderem Erleichterungen bei der Visapflicht für Türken bei der Einreise in die EU, außerdem die Aussicht auf den EU-Beitritt der Türkei. Das erklärte Ziel des türkischen Präsidenten ist die Bekämpfung des Terrors, wozu er auch die kurdische Arbeiterpartei PKK und ihren syrischen Ableger PYD zählt. Die Bombardierung dieser Gruppen will Erdogan ungehindert fortsetzen. Diesen Preis wird die Europäische Union nicht zahlen wollen: So kritisierte sie in der Vergangenheit jene Bombenangriffe der Türkei scharf, ebenso wie Erdogans hartes Vorgehen gegen Oppositionelle, Demonstranten und Journalisten.

Hohes Streitpotenzial: Die Türkei als sicheres Herkunftsland?

Ein zentraler Punkt ist die Frage, ob die Türkei, wie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen, auf einer gemeinsamen Liste der EU zum sicheren Herkunftsland erklärt wird. Bisher sieht nur Bulgarien die Türkei als sicheres Herkunftsland an und aktuell scheint diese Erklärung eher unwahrscheinlich, da sich ein sicheres Herkunftsland durch Freiheit von Verfolgung und Androhung von Gewalt auszeichnet, was bei Erdogans Kurdenpolitik mehr als zweifelhaft erscheint. Der jüngste Anschlag auf eine Demonstration linker und kurdischer Gruppierungen in Ankara mit 97 Toten zeigt, wie fragil die Sicherheitslage in der Türkei bleibt. Jedenfalls birgt der Vorschlag, der ebenfalls von ESI stammt, ein hohes Konfliktpotenzial: Die Erklärung zum sicheren Herkunftsland würde bedeuten, dass es für türkische Staatsbürger schwieriger wird, in die EU zu gelangen - Erdogan will dies tunlichst vermeiden.

Aktueller Kooperationsvorschlag: ein Drahtseilakt

Der aktuelle Kooperationsvorschlag gleicht einem Drahtseilakt für die EU – mit der Gefahr, durch die Pufferzone nicht nur das UN-Völkerrecht zu verletzen, sondern auch ihre eigenen Werte fallen zu lassen. Wer mit Erdogan kooperiert, geht nicht nur eine unzuverlässige Partnerschaft ein, sondern auch eine Partnerschaft mit einem Präsidenten, der Menschenrechte nicht achtet und den aktuellen Konflikt nutzt, um das innenpolitische Interesse der eigenen Partei durchzusetzen. Eine effiziente Zusammenarbeit ist unabdingbar – aber dafür muss der Fokus auf der Lösung des Problems liegen, nicht auf eigenen Interessen.

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