Abgasnormen für PKW: Von Regeln à la carte zu europäischer Durchsetzung

, von  Henning Deters

Abgasnormen für PKW: Von Regeln à la carte zu europäischer Durchsetzung
Der Assistant Professor der Uni Wien Henning Deters wirft einen Blick auf Abgasnormen für PKW aus einer europäischen Perspektive: „Auf nationaler Ebene bleibt die Durchführung der [Abgast]ests jedoch in der Hand privater Labors, die dafür von den Autoherstellern bezahlt werden. Diesen potentiellen Interessenkonflikt wollte die Kommission unterbinden, ist damit aber am Widerstand einiger Regierungen – darunter Deutschland – gescheitert.“ Foto: Paul Sableman / Flickr / Attribution 2.0 Generic (CC BY 2.0)

Ein Blick auf Abgasnormen für PKW aus einer europäischen Perspektive.

Auf die eine oder andere Weise hat die EU schon seit den 70er Jahren mit der Regulierung von PKW-Emissionen zu tun. Wie so oft fing alles mit dem Binnenmarkt an. Eines der wichtigsten Ziele der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bestand darin, die Schranken für den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen. So auch für Autos. Ein französischer Citroën sollte in Deutschland zu den gleichen Bedingungen angeboten werden können wie ein Mercedes, und südlich des Brenners sollten Fabrikate beider Unternehmen in fairer Konkurrenz mit Fiat stehen. Zollschranken waren zu diesem Zeitpunkt schon lange kein Hindernis mehr. Der freien Warenzirkulation standen vielmehr regulatorische Hindernisse standen im Wege. Denn die nationalen Behörden hatten unterschiedliche Vorstellungen davon, was als auf ihren Straßen und Wegen als sicher galt, welche Vorschriften ein Auto somit erfüllen musste, um für den Verkehr zugelassen zu werden.

Die europäische Typzulassung bat einen Ausweg. Statt auf „Vollharmonisierung“ setzte man anfangs noch auf optionale Standards. So konnten nationale Regeln zwar weitergelten, aber um im Ausland zugelassen zu werden, musste ein Fabrikat mit den europäischen Normen übereinstimmen. Das war in doppelter Hinsicht typisch dafür wie Europa oft funktioniert: Den Antrieb für europäische Regeln bilden Reibungen in grenzüberschreitenden Abläufen, die Lösung bildet am Ende ein Kompromiss mit viel Raum für nationale Eigenheiten.

Ebenfalls typisch: Die politisch unauffälligen und begrenzten Regelungen entwickelten langsam ein Eigenleben, indem sie neuen Problemen angepasst werden. In den 80er Jahren war das der Umweltschutz. In Deutschland machte man Autoabgase für sauren Regen und Waldsterben verantwortlich. Amerika galt als Vorbild: Hier hat man bereits strenge Abgasnormen eingeführt, und Katalysatoren gehörten zur Standardausrüstung. Schmutzige Luft bereitete den Briten weniger Sorgen. Die Insellage schaffte günstig Abhilfe. Aus ganz anderem Grund waren Frankreich und Italien skeptisch: Würde der teure Katalysator den relativ günstigen Kleinwagen von Fiat und Peugeot nicht einen wichtigen Konkurrenzvorteil gegenüber BWM und Co nehmen? Deutschland setzte sich am Ende durch, und zwar mit Hilfe der fortschrittlichen Holländer und Dänen. Diese produzierten zwar keine Autos, hatten aber ausreichend Marktmacht um mit eigenen, strengeren Abgasvorschriften zu drohen, sollten Großbritannien, Frankreich und Italien die Brüsseler Abgasnormen ausbremsen. Als „Trading Up“ ist dieser Mechanismus in der politischen Ökonomie bekannt.

Heute wäre die Drohung mit einem gelenkten Alleingang nicht mehr glaubhaft. Abgasnormen werden jetzt in einem gemeinsamen europäischen Rechstrahmen festgelegt, von dem die Mitgliedstaaten nicht abweichen dürfen. Auch ist die Rollenverteilung heute beinah umgekehrt: Beim Diesel und erst recht beim CO2-Ausstoß tritt Deutschland auf die Bremse, während Frankreich und Italien mit ihren sparsameren Modellen recht erfolglos für strengere Normen eintreten. Aber wie wir seit dem Skandal um erschummelte Abgaswerte wissen, machen die Grenzwerte ohnehin nur das halbe Bild aus. Mindestens genauso wichtig ist die Frage, ob sie auch umgesetzt werden. Zwar sind die Zulassungsregeln ebenso wie die eigentlichen Sicherheits- und Abgasnormen auf europäischer Ebene zentralisiert, aber deren Anwendung obliegt, wie im europäischen Recht üblich, den nationalen Behörden. Und genau das ist die klaffende Lücke im System, durch die Volkswagen und andere Hersteller mühelos hindurchschlüpfen konnten. So sahen es jedenfalls Umwelt- und Verbraucherverbände; und so sah es auch die Brüsseler Politik, die eine Chance erkannte, nun auch bei der Umsetzung mitzureden.

Zunächst war es der EU-Kommission nur gelungen, den so genannten Testzyklus zu reformieren, mit dem nationale Labors die Abgaswerte ermitteln. Dass der ursprüngliche Test wenig mit der Realität zu tun hat, war auch der Kommission seit langem bekannt, aber erst der Abgasskandal brachte den notwendigen Druck, um den Widerstand der industriefreundlichen Dienststellen zu überwinden. Der neue Labortest wird zudem durch Abgasmessungen unter echten Fahrbedingungen auf der Straße ergänzt. Diese Änderungen konnte die Kommission auf unpolitischem Wege mittels Erlass durchsetzen, aber um die Lücken im Zulassungsverfahren zu schließen, brauchte sie die Zustimmung der Mitgliedstaaten. Nach Verhandlungen, die sich über ein Jahr hinzogen, gaben die Regierungen im Dezember ihr informelles OK zu einem abgeschwächten Vorschlag. Ab 2020 soll die Kommission das Recht bekommen, die Zulassungsbehörden zu überwachen und deren Entscheidungen anhand von Fahrzeugen, die sich bereits auf dem Markt befinden, zu überprüfen. Damit kann die Kommission endlich mit der amerikanischen Umweltschutzagentur EPA gleichziehen, die den Abgasskandal aufgedeckt hatte. Auf nationaler Ebene bleibt die Durchführung der Tests jedoch in der Hand privater Labors, die dafür von den Autoherstellern bezahlt werden. Diesen potentiellen Interessenkonflikt wollte die Kommission unterbinden, ist damit aber am Widerstand einiger Regierungen – darunter Deutschland – gescheitert.

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