England? Wie oft denn noch … Wales!

, von  Eva Olschewski

England? Wie oft denn noch … Wales!
Die Kolumne „Wir in Europa“ erscheint jeden Sonntag auf treffpunkteuropa.de. Autoren berichten im Wechsel über ihre persönlichen Erlebnisse mit der EU, was es bedeutet, Europäer zu sein und welche Ängste und Hoffnungen sie mit der Gemeinschaft verbinden. Foto: © European Commission / 2004

Die EU bekommt immer mehr Kompetenzen, die einzelnen Mitgliedstaaten haben das Nachsehen – das verbinden viele mit Europa. Doch warum nicht die nationalen Werte pflegen und die EU dabei als Chance zur Weiterentwicklung begreifen? Mein Masterjahr in Wales hat mir gezeigt: Beides geht.

Ich sitze im Taxi und lasse mich vom Wortschwall des Fahrers berieseln, verstehe fast nichts, aber nicke alle paar Sekunden verständnisvoll mit dem Kopf: „Yeah, yeah, right“. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus: „Are you from Cardiff and is this how people talk here?“ Stolz dreht er sich zu mir: „Lived here my whole life!“ Bei mir kommt nur Lfdiermaihlf an. Aus dem begeisterten Blick des Fahrers schließe ich: Er ist Hauptstadtbewohner. Hoffentlich reden nicht alle so – im schönen Wales, wo ich ein Jahr meinen Master machen werde.

Wales nicht länger vernachlässigen

Araf, Heddlu, Ffordd allan – sie ist überall in Cardiff präsent, die walisische Sprache. Doch hört man in den Gesprächen auf der Straße, im Einkaufszentrum oder in der Uni nur Englisch. Alle Straßenschilder in Wales sind zweisprachig, die Buchstabenkombination sieht sehr fantasievoll aus, fast Walt Disney. Ich bewundere die Menschen, die sich aktiv gegen das Aussterben von Minderheitssprachen einsetzen – sie ist Teil ihrer traditionsreichen Kultur. Wie oft werde ich von Freunden und Bekannten unachtsam gefragt „Eva, wie war’s in England?“. Großbritannien besteht aus eigenständigen Nationen, die auch teilweise dieser Monarchie nicht angehören möchten. Wenn man sich umguckt, merkt man warum. „Vergleich mal unsere mit der englischen Eisenbahn“, entrüstet sich ein walisischer Kommilitone, „London entscheidet über die Transportgelder und die halten Gleise und Wägen, die aussehen wie aus dem 18. Jahrhundert, wohl für akzeptabel.“ Viele Eisenbahnrouten sind in Wales noch nicht elektrifiziert.

Walisische Patrioten verstehen sich auf Anhieb

In dem Kurs, den ich zum Thema Nationalismus in Europa belege, treffe ich zwei überzeugte Patrioten. Sie haben sich vorher noch nie gesehen, aber als klar wird, dass sie beide Mitglieder der walisischen Nationalpartei Plaid Cymru sind, ist es, als würden sie sich schon lange kennen. Wir anderen Studenten treten in den Hintergrund, als beide erhitzt Ideen austauschen und sich gegenseitig bekräftigen. Beispielsweise für die Ausweitung der Entscheidungsbefugnisse der National Assembly. Für mich als Deutsche ist es etwas neues und faszinierendes, diesen Stolz auf die eigene Nation zu sehen. Einige Kurse wie European Governance and Public Policy haben wir mit den Studenten aus Welsh Governance zusammen – die Plaid-Mitglieder erkennt man sofort an ihrer Diskussionswütigkeit. Immer wieder bringen sie Wales ins Spiel, ich erfahre viel über ein doch so kleines Land. Alle Welsh Governance-Studenten können Walisisch, haben es von zuhause mitbekommen. Wegen der Grammatik belegen sie zusätzlich Sprachkurse. „It’s my heritage and I don’t want the language to die out“, erklärt ein Mitstudent, der eine englische Mutter und einen walisischen Vater hat.

Kleine Nachbarschaftsquerelen

Mein englischer Mitbewohner regte sich oft über „die Waliser“ auf. Er bekommt bei den Studiengebühren keine Vergünstigungen wie sie, sondern wird wie jeder andere EU-Bürger behandelt. Er findet die Unabhängigkeitsbestrebungen lächerlich und macht sich über den Akzent lustig, aber vielleicht auch gerade weil seine zwei besten Freunde Waliser sind. Die Beziehung zwischen Engländern und Walisern ist mit Sicherheit ambivalent, man bekommt einen leicht snobistischen Ton von Seiten der Engländer mit, doch Freundschaften überwinden die Gräben.

EU-Enthusiasmus trotz Regionalismus

Noch nie habe ich solch patriotische Menschen getroffen, die gleichzeitig aber EU-Fan sind, wie in meinem walisischen Masterstudiengang. Ganz weit in der Zukunft sehen sie Wales als eigenständiges Mitglied der EU. Stärker zusammenwachsen in Europa bedeutet nicht, die kleineren Staaten zu vergessen und verschiedene Nationen in einander übergehen zulassen. Natürlich gibt es oft Schnittpunkte und es ist schön, in Europa viele Gemeinsamkeiten zu haben. Trotzdem sollte jede Nation die Möglichkeit haben, ihre Kultur und Traditionen zu leben und dafür im großen Gebilde Europa anerkannt werden.

Wichtig ist festzuhalten: Wir sprechen nicht immer dieselbe Sprache oder denselben Dialekt und wundern uns vielleicht manchmal über die Eigenheiten des Anderen. Wir verstehen uns trotzdem. Viele antworten auf die Frage, welche Identität sie sich zuschreiben, mit: Ich bin Europäer. Doch in vielen Ländern ist das Regionale viel ausgeprägter. Beides schließt sich jedoch nicht gegenseitig aus: Wir können sowohl Europäer als auch Regionalisten sein. Wir können stolz auf unsere eigene Sprache, eigentümlichen Dialekte und kulturellen Besonderheiten sein und gleichzeitig unseren Platz in der EU finden. Gerade das macht eine funktionierende Staatengemeinschaft aus.

Europa ist mehr als die Wirtschafts- und Finanzkrise. Europa sind die Menschen und ihren Erfahrungen mit der EU. Das wollen wir sichtbar machen. Deswegen erscheint nun jeden Sonntag auf treffpunkteuropa.de die Kolumne „Wir in Europa“. Autoren berichten im Wechsel über ihre persönlichen Erlebnisse mit der EU, was es bedeutet, Europäer zu sein und welche Ängste und Hoffnungen sie mit der Gemeinschaft verbinden.

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